Album „Scaled & Icy“

Twenty One Pilots: Den Sommerrhythmus im Blut

Musik
25.05.2021 08:00

Drei Jahre nach ihrem Konzeptalbum „Trench“ geht das US-amerikanische Hit-Duo Twenty One Pilots dank der Corona-Pandemie und erzwungener Isolation ganz neue Wege. Weniger Drums, keine stringente Story, dafür mehr Leichtigkeit und sehr viel Pop-Appeal. Ein fröhlich klingendes Klangexperiment, das aber nicht alle Fans glücklich machen wird.

(Bild: kmm)

Der rasante Aufstieg des aus Columbus, Ohio stammenden Duos Twenty One Pilots ist noch sechs Jahre später eine mittlere Sensation. „Blurryface“ war 2015 bereits das vierte Album von Frontmann und Multiinstrumentalist Tyler Joseph und Drummer Josh Dun, doch angeführt von der Hit-Single „Stressed Out“, mit der Joseph tief in sein Inneres blicken ließ und damit einer ganzen Generation an Teenagern aus dem Herzen sprach, veränderte sich das Leben des Duos radikal. „Stressed Out“ wurde zum ersten Rock-Song, der die Schallmauer von einer Milliarde Spotify-Streams durchbrach, die Band spielte plötzlich die größten Festivals und füllte weltweit riesige Arenen, nahm einen Track für die leidlich gescheiterte Comic-Verfilmung „The Suicide Squad“ auf und heimste so ganz nebenbei auch noch einen Grammy ein. Ziemlich mächtig für eine Band, die im Februar 2014 noch vor einer Handvoll Begeisterter im Wiener Gürtellokal B72 konzertierte, nur um eineinhalb Jahre später die Wiener Stadthalle zu füllen.

Perfekte Mischung
„Wir haben schon sehr früh darüber nachgedacht wer wir sind, was wir darstellen wollen, was wir zu sagen haben und wie wir das sagen wollen“, erzählt Frontmann Joseph der „Krone“ im Interview, „wir waren außerdem schon einige Jahre unterwegs und wurden vom Erfolg nicht erschlagen. Ich bin noch immer unheimlich froh darüber, dass bei uns alles in der richtigen Zeit und auch in der richtigen Reihenfolge passierte. Wir haben über die letzten Jahre in allen Belangen dazugelernt und waren bereit, als immer mehr Menschen zu unseren Gigs strömten.“ Die Twenty One Pilots kratzten mit ihrem Sound, ähnlich wie The 1975, am gängigen Zeitgeist. Rock, Punk, Pop, Hip-Hop und Emo-Klänge wurden in einen großen Soundtopf zusammengemischt und mit authentischen Texten über die Tücken und Hindernisse des Lebens gewürzt. Dazu lieferten die beiden Hobbysportler und Familienmenschen auch noch exaltierte Liveshows ab, die dem Publikum in teils schwindelerregendem Tempo aufs Tablett gelegt wurde. Stunts, Tricks und Illusionen inklusive.

„Intern reden wir schon oft darüber, wie lange wir bei steigendem Alter diesen Energielevel halten können“, lacht Joseph, „ich sehe Konzerte prinzipiell als Workout. Es ersetzt mein Kardio-Training und macht mir umso mehr Spaß. Wir haben früher auch bei den Club- und Garagenkonzerten alles in die Show gelegt. Wenn du die Leute abholen willst, dann geht es nicht nur um die Musik und den Sound, sondern auch um die Performance und wie du dich auf der Bühne bewegst.“ Anstatt den Erfolg des ernsten, aber doch eingängigen Werkes „Blurryface“ einfach zu wiederholen, hat sich Joseph für den 2018er-Nachfolger „Trench“ ein Konzept überlegt. In 14 opulenten Songs geht es um den Hauptcharakter Clancy und eine Gruppe namens „Banditos“, die sich im fiktionalen Land DEMA von bischöflichen Unterdrückern befreien wollen. Ein üppiges und gewagtes Unterfangen, das aber musikalisch immer nach den Twenty One Pilots klang und daher weiterhin auf Anklang stieß. 2019 wurde die Band schließlich zum ersten US-amerikanischen Act aller Zeiten geadelt, bei dem jeder einzelne Song von „Blurryface“ und dem Vorgänger „Vessel“ (2013) mit Gold ausgezeichnet wurde.

Richtungsänderung
Dementsprechend verwundert es wenig, dass das heiß ersehnte sechste Studiowerk „Scaled And Icy“ in eine ganz andere Richtung geht. Frei nach dem Motto, niemals stehen zu bleiben, aber die eigenen Trademarks nicht vollständig dem Veränderungswillen zu opfern, hat man sich für die sommerliche Leichtfüßigkeit entschieden. Joseph schrieb die Tracks, Dun trommelte am anderen Ende der USA seine Songs Corona-gerecht ein. Das System hat für die beiden sehr gut funktioniert, allerdings geht es stark zu Lasten der sonst so ausgeprägten Drum-Parts. Nur mehr im eher mediokren Song „Choker“ lässt er seinen wirbelnden Gefühlen freien Lauf, ansonsten sind Synthies und zugängliches Pop-Feeling hervorstechend. Der Albumtitel heißt einerseits ausgesprochen „Scaled Back And Isolated“ und beruft sich dabei direkt auf die Pandemie, andererseits ist „Scaled And Icy“ ein Anagramm für „Clancy Is Dead“, wodurch man die Brücke zum Protagonisten des vorherigen Konzeptalbums schlägt.

Gerade in der erzwungenen Isolation sah Joseph keinen Grund, die ohnehin schon existente emotionale Schwere auch noch mit schwermütigen Songs zu verstärken - und entschied sich für den gegenteiligen Weg. Das Ergebnis rückt die Twenty One Pilots auf jeden Fall näher an den Mainstream, wird für so manch altgedienten Fan aber zwischen gewöhnungsbedürftig bis enttäuschend ausfallen - je nach Toleranzlevel des Hörers. Dabei zitieren die beiden kräftig bei den Großen der Pop-Historie. Schon der Opener „Good Day“ weckt Erinnerungen an das Electric Light Orchestra, mit der bereits vorab ausgekoppelten Single „Shy Away“ gelingt ein Ohrwurm mit leichten Millenniums-Pop-Punk-Referenzen und das medienkritische „Never Take It“ könnte mit der Stimme von Bono ein astreines U2-Lied sein. Die Botschaft des sommerlichen Albums ist dabei unmissverständlich: lasst uns das Leben feiern, wie es kommt. Gewisse Dinge kann man ohnehin nicht ändern, aber die Lust am Tanzen lassen wir uns nicht verbieten.

Schritt zur Seite
Mit diesem offen zur Schau gestellten Optimismus rückt leider die emotionale Dringlichkeit der drei Vorgängeralben in den Schatten, was man möglicherweise etwas besser austarieren hätte können. Andererseits versuchen Joseph und Dun sich bewusst experimentell von den Fesseln der eigenen Nostalgie zu lösen und mit einem selbstständigen und selbstbewussten Album neu aufzufallen. So ist „Scaled And Icy“ wohl weder Rückschritt noch Fortschritt, sondern ein fröhlicher Schritt zur Seite, der gleichermaßen eine baldige Live-Party garantiert, wie auch die weiteren Pläne für die Zukunft offenlässt. „Sorge dich nie darum, ob du cool rüberkommst oder nicht“, erläutert Joseph, „aufgesetzte Zwanghaftigkeit verändert einen meist nur zum Schlechten. Ich habe gelernt, dass es den Mut nicht braucht um einen Song zu schreiben, sondern um ihn zu veröffentlichen. Es kann sehr schmerzhaft sein, deine Gedanken den Löwen da draußen zum Fraß vorzuwerfen. Aber daran kann man wachsen.“ Die Twenty One Pilots folgen eben keinen Trends, sie geben die Richtung selbst vor.

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