Vorarlberg spricht

„Lieber den Spatz in der Hand als nichts“

Vorarlberg
21.03.2021 09:55

Alt-Landesstatthalter Karlheinz Rüdisser über Kompromisse bei der Modellregion Vorarlberg, den vernachlässigten Kulturbereich, ungerechte Regeln und seine neue Lebensqualität trotz Pandemie.

Krone: Sie haben jetzt jeden Tag Sonntag?
Rüdisser: So ist es. Oder 365 Tage Urlaub - wobei, 365 Tage sind es nicht ganz, ein paar Aufgaben habe ich ja noch. Aber im Gegensatz zu früheren Zeiten muss ich jetzt sonntags nicht mehr arbeiten und mich auf die kommende Woche vorbereiten. Es gibt keine Abendtermine mehr. Das ist schon eine ganz andere Lebensqualität.

Wie schwer ist Ihnen der Abschied aus der Politik gefallen?
Naja, in Summe war ich fast 30 Jahre politisch tätig. Erst als Vizebürgermeister in Lauterach, dann elf Jahre in der Regierung. In dieser Zeit baut man natürlich ein gutes Netzwerk mit Persönlichkeiten im ganzen Land auf. Sie und auch die Mitarbeiter, mit denen ich zum Teil 20 Jahre und mehr intensiv zusammengearbeitet habe, gehen mir natürlich schon ab. Aber es war andererseits auch ein enorm herausfordernder Job, der sehr kräfteraubend war. Deshalb genieße ich den neuen Lebensabschnitt sehr. Und ein paar interessante Aufgaben habe ich ja noch.

Sie sind unter anderem bei der Vogewosi?
Ja, dort bin ich Vorsitzender des Aufsichtsrats, zudem bin ich im Aufsichtsrat der Hypo Vorarlberg und von vkw Netz. Nach dem ich mich aus der Politik zurückgezogen hatte, wurde ich vom Bischof gefragt, ob ich nicht den Vorsitz im Diözesankirchenrat übernehmen würde. Da geht es unter anderem um die Genehmigung des Budgets und den Rechnungsabschluss der Diözese. Schließlich bin ich noch Mitglied im Pfarrkirchenrat in Lauterach. In Summe sind das sehr interessante, sehr unterschiedliche Aufgaben, die bereichernd sind. Den Rest meiner Zeit verbringe ich mit Dingen, die mir Spaß machen. Meine Frau und ich haben zwei Enkel. Der eine ist dreieinhalb, der andere gerade auf die Welt gekommen.

Die Besuche der Enkel dürften coronabedingt nicht sehr ausufernd ausgefallen sein?
Das stimmt. Das mit den Grenzen und Enkeln ist ein wenig mühsam, zumal der Ältere in München, der Jüngere in Baden-Württemberg wohnt und in jedem Land andere Bestimmungen gelten. Aber inzwischen funktioniert das mit den familiären Besuchen in Deutschland relativ gut. Doch es gibt nicht nur bei den Enkelbesuchen pandemiebeschränkte Einschränkungen. Die sozialen Kontakte und die Jassrunde fehlen mir sehr, aber unterm Strich ist das Jammern auf sehr hohem Niveau.

Sie reisen gerne in Länder, die nicht gerade zu den die typischen Touristenzielen gehören. Was ist aus ihren Reiseplänen geworden?
Unter anderem hatten wir eine Reise zu den historischen Stätten des Irans geplant. Das ist wegen der Pandemie gleich mal weggefallen, Marokko ebenfalls. Dann haben wir gesagt: Okay, fahren wir nach Südtirol.

Was vor einem Jahr auch nicht die beste Wahl war?
Im Herbst dann schon. Und im Sommer waren wir in Lech. Wenn dort Enzian und Alpenrose blühen, ist die Flora und Fauna sehr beeindruckend. Außerdem haben wir die Sommerfestspiele besucht - ein ganz besonders Erlebnis, Kultur und Natur auf einem hohen Niveau zu genießen.

Wären Sie noch Regierungsmitglied, was würde Ihnen am meisten Sorgen machen?
Dass die gesellschaftliche Balance in eine Schieflage gerät. Darum ist es extrem wichtig, arbeitsmarktpolitische Instrumente einzusetzen. Das machen AMS und Land - soweit ich das aus der Distanz beurteilen kann - wirklich gut. Ein Sorgenkind ist natürlich der Tourismus, während sich bei den Produktionsbetrieben gezeigt hat, dass diese gar nicht so stark gelitten haben.

Aber auch dort gab es zu Beginn der Krise Probleme.
Es mussten Produktionen eingestellt werden, weil Lieferketten unterbrochen waren. Es hat sich gezeigt, dass das Sich-Verlassen auf permanent funktionierende Distributionsketten in einer solchen Situation auch eine Illusion sein kann und es nicht klug ist, das Lager quasi ausschließlich auf die Straße zu verlegen. Es macht Sinn, einen gewissen Vorrat zu haben - das gilt auch für manche Produkte wie Masken. Die müssen gelagert werden - und ich meine jetzt nicht zum Umpacken vom chinesischen in „Masken made in Austria“ - sondern zum Umpacken von größeren in kleinere Chargen, die dann bestimmten Regionen zugeteilt werden.

Was ärgert Sie, wenn Sie das politische Geschehen verfolgen?
Grundsätzlich finde ich, dass die Krise - auch im Vergleich zu anderen Ländern - sowohl auf nationaler wie auch auf Ebene des Landes sehr gut gemanagt wird. Manche Dinge sind allerdings schwer nachvollziehbar. Ich finde zum Beispiel, dass der Kulturbereich zu sehr vernachlässigt wurde. Ich habe es unlängst zu meiner Frau gesagt, als wir am Sonntag in der Kirche waren. Da waren 100 Menschen, die den Abstand eingehalten und eine Maske getragen haben. Das geht, auch ohne testen, aber ein Kultursaal durfte bisher nicht geöffnet werden. Und es ärgert mich, dass ein Ein-Personen-Unternehmen kein Spielzeug verkaufen durfte, während auf größeren Verkaufsflächen das gleiche Spielzeug mit bestem Wissen und Gewissen verkauft wird. Da ist etwas aus den Fugen geraten.

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Grundsätzlich finde ich, dass die Krise - auch im Vergleich zu anderen Ländern - sowohl auf nationaler wie auch auf Ebene des Landes sehr gut gemanagt wird.

Karlheinz Rüdisser

Wie finden Sie die Idee der Modellregion Vorarlberg?
Grundsätzlich ist das intelligente Aufsperren viel schwieriger als das Zusperren. Der Vorarlberger Weg und die damit verbundene Teststrategie sind vernünftig. Man kann allerdings schon fragen, ob die Gasthäuser wirklich um 20 Uhr schließen müssen. Das wollte das Land Vorarlberg ja auch nicht. Lösungen setzen Kompromisse voraus. Und da war wohl die Überlegung lieber einen Spatzen in der Hand als gar nichts. Andererseits ich verstehe auch den Gesundheitsminister, der zusätzlich unter Druck kommt, denn alles, was er den Vorarlbergern jetzt zugesteht, wollen die anderen später auch.

Aber war in den ersten Gesprächen nicht etwas mehr zugesagt worden?
Ich weiß nicht, was man gesprochen hat. Aber glauben Sie, dass Landeshauptmann Markus Wallner sagt, dass im Rahmen des regionalen Modells die Gastronomie innen und außen offen sein kann, obwohl das in Wien nicht so besprochen war? Das wäre eine mutige Ansage gewesen! Außerdem ist ja schon eine Beleidigung des Intellekts, wenn man behauptet, es war nur die Rede davon gewesen, außen zu öffnen. Wir reden ja von einem Zeitraum von Mitte bis Ende März. Und da zu glauben, ich kann zum Beispiel in Bildstein auf der Terrasse unterm Kastanienbaum ein Schnitzel essen - das kann es ja wohl nicht sein. Das halte ich für eine Beleidigung des Hausverstandes.

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