Endlich neues Album

Lana Del Rey: Trauerballaden im geschützten Kokon

Musik
22.03.2021 06:00

Man musste es befürchten - am musikalischen Meisterwerk „Norman Fucking Rockwell!“ konnte Lana Del Reys neues Album „Chemtrails Over The Country Club“ nur scheitern. Doch die 35-Jährige mit dem untrüglichen Hang zur Nostalgie erweitert ihre traurige Pop-Kunst mit neuen Facetten und breitet sich damit möglicherweise einen Weg für die nähere Zukunft.

(Bild: kmm)

Den einen war sie schon immer zu langweilig und vorhersehbar, andere wiederum erquickten fröhlich ob der bewusst zur Schau gestellten Nostalgie und der akustischen Verbildlichung eines Amerika, wo noch alles möglich war und sich die ganze Welt danach sehnte, ein Teil dieses Kapitalismusmärchens unfassbaren Ausmaßes zu sein. Lana Del Rey zeichnet seit mittlerweile exakt zehn Jahren, da gelang ihr der große Durchbruch mit der Single „Video Games“, das nur schwer zu erschütternde Bild einer Welt, die heute wie eine verklärte Utopie wirkt. Anfangs noch nach dem richtigen Sound suchend steigerte sich die heute 35-jährige Elizabeth Grant mit jedem Album zu neuen kompositorischen Höchstleistungen, bis sie vor zwei Jahren mit Taylor Swift-Intimus Jack Antonoff den richtigen Mann an ihrer Produzentenseite fand. „Norman Fucking Rockwell!“ wurde von Fans und Kritik zurecht in den Himmel gelobt und zeichnete ein Bild eines Amerika, das sich irgendwo zwischen der malerischen Präriesonne der 60er-Jahre und dem tragischen Abbild seines vergänglichen Glanzes in der Trump-Ära befand.

Zurück in den Kokon
In den letzten Jahren stolperte Del Rey aber nicht nur über die Hater ihres Sounds, sondern auch über die Ambivalenzen der modernen Gesellschaft. Ihre Art von feministischer Haltung spießt sich gewaltig mit der des Zeitgeists und Kritik an der weiblichen Darstellung von Beyoncé, Cardi B und Co. in deren Musikvideos und Bühnenauftritten brachten ihr gar den Vorwurf des Rassismus ein. Freilich ein Blödsinn, aber als Diskussionsgrundlage würden Lanas Ansichten durchaus dienen, wären die Fronten im Social-Media-Zeitalter nicht so dermaßen verhärtet, sodass an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Terminus Feminismus und seinen unterschiedlichen Ausformungen in der Gegenwart offenbar kein ernsthaftes Interesse besteht. Doch so schnell wie das Netz sich empört, so schnell vergisst es auch wieder und Lana begab sich wieder in den sie schützenden Kokon der Patina-behafteten Nostalgie. Business as usual, könnte man sagen.

Frei nach dem Prinzip „never change a winning team“ hat sich Del Rey natürlich wieder mit Antonoff zusammengetan, aber wie es nach allumfassenden Meisterwerken meist der Fall ist, wäre eine Neuorientierung klüger gewesen als das konziliante Festhalten an einer alten Erfolgsformel. „Chemtrails Over The Country Club“, schon im Albumtitel ein geschicktes Spiel aus Glanz und Glamour der USA und den heraufziehenden Verschwörungsschwaden, die wie Gift auf die gediegene Seele der einstigen Weltmacht wirken, versucht sich zwar nicht direkt an der „Norman Fucking Rockwell!“-Nachfolge, ist aber nicht mutig genug, um sich aus dem breiten Schatten zu stellen. Ein zweifellos wunderbarer Song wie „Let Me Love You Like A Woman“ kommt dem Klanggestus des Vorgängers schon beträchtlich nahe, aber selbst in den stärksten Momenten eines solchen Songs merkt man schnell, dass an Genre-Grundpfeilern wie „Venice Bitch“ oder „Mariners Apartment Complex“ nicht zu rütteln ist.

Fehlende Stringenz
Dementsprechend lassen sich die stärksten Momente dort verorten, wo Unerwartetes passiert. Etwa im famosen Opener „White Dress“, wo sich Del Rey mit zerbrechlicher Falsettstimme an ihre Zeit als Kellnerin in Orlando zurückerinnert, oder „Dark But Just A Game“, wo ihre angeborene Eleganz in den Infight mit Mainstream-Popstrukturen geht. Der Plan geht zwar nicht ganz auf, aber schon der schiere Versuch des Gespanns Del Rey/Antonoff, die Arme doch ein bisschen mehr gen Common-Mainstream auszustrecken verdient eine kurze Runde Sonderapplaus. Die folkige Ruhe der beiden letzten Swift-Alben konnte Antonoff hier angenehm mitnehmen, denn Tempo und Eruptionen sind Del Reys Sache nicht, doch „Chemtrails Over The Country Club“ scheitert zu einem großen Teil an der fehlenden Hitdichte. Songs wie „Tulsa Jesus Freak“, die David-Lynch-Hommage „Wild At Heart“ oder das krude „Not All Who Wander Are Lost“ leben alle von guten Ansätzen, schaffen es aber nicht, die kompositorische Stringenz der jüngeren Vergangenheit durchzuziehen.

Lana bleibt eine unverbesserliche Träumerin, die mehr mit Doris Day, Marilyn Monroe und Katherine Hepburn gemein hat als mit Taylor Swift, Lady Gaga und all den anderen schillernden Künstlerinnen, die sich in punkto Zeitgeist und Vorwärtsgewandtheit täglich überbieten wollen. Die Produktion und Zugangsweisen auf dem neuen Werk wirken fragiler und bewusst dünner gestaltet, so als wollte die verletzliche Künstlerin verstärkt darauf hinweisen, dass Emotionen und Trauer die wichtigsten Attribute ihrer Kunst sind. Dass sie inhaltlich noch tiefer geht und persönlicher wird als je zuvor ist gutzuheißen, denn dafür braucht man Mut - vor allem nach den Social-Shitstorms. Zu den großen Poeten der Singer/Songwriter-Kunst fehlt Del Rey aber noch immer das Handwerk der spannenden Erzählung. Besonders gut gelungen sind dafür die Kooperationen. Die Country-Ballade „Breaking Up Slowly“ mit Nikki Lane ist ein stilles Meisterwerk und das Joni-Mitchell-Cover „For Free“ intoniert sie mit der grandiosen Weyes Blood und Zella Day so herzhaft und ehrfürchtig, als wäre es ihr eigen ausgetragenes Baby.

Sanfte Adaptierung andenken
Die wirklich wichtigen Botschaften liegen bei Lana zwischen den Zeilen begraben. Wer genau hinhört oder im Netz nachliest, der findet Spitzen gegen die Musikindustrie, Klagen über Selbstzweifel und Gedankengänge ob der ewigen Unsicherheit, eine bestimmte Rolle in der Gesellschaft personifizieren zu müssen. Bei „Chemtrails Over The Country Club“ ist die Gleichförmigkeit der einzelnen Songs noch deutlicher herauszuhören, doch in ihren Film-Noir-artigen Erzählungen geht es der Künstlerin seit jeher nicht darum, mit Finten und Spannungen aufzuwarten, sondern vielmehr in das „Pleasantville“ längst vergangener Tage zu entführen. Neuerfindungen und Persönlichkeitswechsel sollen andere machen. Lana Del Rey bleibt ihrer Fasson treu und begeistert ihr Stammpublikum damit einmal mehr. Doch zusammengerechnet ist der bewusst gewählte Stillstand ein kleiner Rückschritt. Ihr Konzept des frühen „Bedroom-Pop“ hat Lana Del Rey noch nicht ganz auserzählt, für die nächsten Jahre wäre eine sanfte Adaptierung aber sicher dienlich. In ihrem Fall wohl mehr Richtung Alt-Country als Richtung große Pop-Geste.

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