Kosovo-Premier

Europarat: Thaci in Organhandel und Morde verwickelt

Ausland
15.12.2010 19:00
Gerade eben feierte er noch seinen Wahlsieg, jetzt holt den Regierungschef des Kosovo, Hashim Thaci, offenbar seine düstere Vergangenheit ein. Laut einem Dossier des Europarats soll er Ende der 90er-Jahre als Boss einer Mafia-Organisation aktiv gewesen sein bzw. bis heute mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung stehen. Der Premier und Polit-Galionsfigur der UCK sei in Organhandel, Auftragsmorde und Drogenschmuggel verwickelt. Und: Westliche Länder sollen von den Verbrechen gewusst haben.

Thaci hat sich erst am Montag zum Sieger der ersten Wahl seit der Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien erklärt. Gegen seine Partei wird allerdings der Vorwurf des massiven Wahlbetrugs erhoben. Ausgerechnet in Thacis Hochburgen gäbe es Indizien, die Opposition will die Wahl gerichtlich anfechten.

Den Europarats-Bericht wies die Regierung am Mittwoch zunächst als "haltlos und verleumderisch" zurück und drohte mit juristischen Schritten. Der Bericht sei ein Versuch, das Ansehen der UCK zu beschmutzen und eine Kampagne, um den Ministerpräsidenten auszubremsen. Später am Abend signalisierte Thacis Partei PDK dann jedoch zumindest Kooperationsbereitschaft bei möglichen Ermittlungen.

Dossier mit "Quellen aus erster Hand"
Thaci war Mitbegründer und nach dem Krieg politischer Führer der Rebellengruppe "Befreiungsarmee des Kosovo" (kurz: UCK). Nach dem Krieg bewegte er die Rebellen in die PDK, die Demokratische Partei des Kosovo. Seit der Ausrufung der Unabhängigkeit, versucht sich der 42-Jährige zusehends als Staatsmann zu profilieren. In dem Dossier des Sonderberichterstatters des Europarats, Dick Marty, wird Thaci nun aber als Chef eines albanischen Netzes innerhalb der UCK identifiziert, das mit kriminellen Aktivitäten unmittelbar vor Beginn des Kosovo- Krieges im Jahr 1998 begonnen hatte und das noch immer starken Einfluss auf die Regierung ausübe.

Unter Berufung auf "Quellen aus erster Hand" heißt es, dass Thaci und seine engsten Mitarbeiter Dutzende Morde, Gefangennahmen und Misshandlungen zwischen 1998 und 2000 angeordnet hätten. Thaci habe dabei als regionaler Kommandeur der UCK in Drenica begonnen und damals keineswegs nur den politischen Arm der Rebellen vertreten. In Drenica soll er die Entführungen von Menschen und gesetzwidrigen Organhandel organisiert haben. Die Organe seien in einer Klinik im Norden Albaniens entnommen worden und dann auf dem internationalen Schwarzmarkt verkauft worden.

Transportminister und PDK-Funktionär als Vertraute
Die Drenica-Gruppe habe geheime Gefängnisse in Albanien geführt, in denen im Kosovo entführte Zivilisten festgehalten worden seien. Neben Thaci, dem Anfang der 90er-Jahre Waffenschmuggel aus dem Schweizer Exil und die Beteiligung an Angriffen auf jugoslawische Kasernen und Polizeistationen vorgeworfen wurden, werden im Bericht auch enge Vertraute wie der derzeitige Transportminister Fatmir Limaj und PDK-Spitzenfunktionär Azem Syla genannt.

Die EULEX-Mission (Rechtsstaatsmission der EU, Anm.) ermittelt derzeit gegen Limaj wegen organisierter Kriminalität, Syla wiederum steht im Verdacht, nach Kriegsende Morde an politischen Gegnern der Partei Thacis organisiert zu haben. Die serbische Justiz hat Thaci bereits vor Jahren Beteiligung an Kriegsverbrechen vorgeworfen. 1998 wurde er in Abwesenheit wegen Terrorismus und Beteiligung an Morden zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Mafia nützte Kriegschaos aus und ist bis heute aktiv
Laut Marty - ein Schweizer Europaratsabgeordneter und ehemaliger Staatsanwalt, der 2006 und 2007 mit Enthüllungsberichten über CIA-Geheimgefängnisse in Osteuropa für Aufregung sorgte - soll es gleich nach dem Ende des Kosovo-Kriegs zum Organhandel gekommen seien, noch bevor internationale Sicherheitskräfte die Kontrolle über die südserbische Provinz übernommen hätten. Man habe das "Chaos" nach dem Kosovo-Krieg ausgenützt.

Den Gefangenen sei Blut abgenommen worden, um zu bestimmen, ob sich ihre Organe für eine Transplantation eigneten. In den albanischen Städten Rripe und Fushe-Kruje seien die Opfer von Männern untersucht worden, die sich als Ärzte ausgaben.

"Kleine, aber unvorstellbar mächtige Gruppe" in der UCK
Thaci und seine Vertrauten bildeten ein "kleine, aber unvorstellbar mächtige Gruppe von UCK-Mitglieder", die seit 1998 die organisierte Kriminalität unter ihre Kontrolle gebracht habe. Die diplomatische und politische Unterstützung der USA und anderer westlicher Länder habe dem heutigen Premier nach dem Kosovokrieg den Eindruck gegeben, "unberührbar" zu sein, schrieb Marty.

Die Aktivitäten setzen sich auch bis heute fort, behauptet Marty. Der Schweizer Liberale verwies auf aktuelle Ermittlungen der EULEX-Mission über Organhandel, der vor einer Privatklinik in Pristina im Jahr 2008 betrieben wurde. Sieben ehemalige Mitarbeiter der Klinik, darunter ein Funktionär des kosovarischen Gesundheitsministeriums, wurden inzwischen angeklagt. Laut dem unabhängigen Belgrader Sender "B92" heißt es im Bericht, dass zahlreiche Zeugen der Ereignisse nach dem Kosovo-Krieg getötet worden seien, während die noch lebenden aus Angst nicht aussagen wollten.

"Staatengemeinschaft ingorierte die UCK-Verbrechen"
Der Bericht enthält auch starke Kritik am Verhalten der internationalen Staatengemeinschaft. Sie habe die serbischen Verbrechen im Kosovo verurteilt und deswegen die UCK-Verbrechen ignoriert, "um kurzfristige Stabilität zu erreichen", schreibt Marty.

Laut Marty wurden Thaci und seine Mitarbeiter in den vergangenen zehn Jahren sogar in vertraulichen Berichten von Behörden zur Bekämpfung des Drogenhandels in mindestens fünf Staaten als jene Gruppe bezeichnet, die den Heroin- und sonstigen Drogenhandel mit Gewalt kontrolliere. Er habe verschiedene und umfangreiche Berichte mit dem Gefühl der Bestürzung und der moralischen Schande gelesen, stellte der Sonderberichterstatter fest.

55-seitige Neubewertung der Befreiungsarmee
Martys 55 Seiten starker Bericht kommt einer Neubewertung der Befreiungsarmee UCK gleich, die während des Kosovo-Krieges 1999 uneingeschränkt von den USA gegen die Serben unterstützt wurde. Der Ex-Staatsanwalt nennt den Bericht einen Versuch, Verbrechen aufzudecken, die in der Nachkriegszeit vertuscht worden seien.

Warum der Europaratsbericht just unmittelbar nach der Wiederwahl Thacis an die Öffentlichkeit gerät und nicht etwa davor, wurde am Mittwoch offiziell nicht erklärt. Der Ausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarats für Rechtsfragen und Menschenrechte werde sich am Donnerstag in Paris offiziell mit dem Bericht Martys befassen, hieß es. Seine Annahme durch die Parlamentarische Versammlung soll am 25. Jänner erfolgen.

Der Europarat ist eine 1949 gegründete und heute 47 Staaten umfassende europäische internationale Organisation. Er ist institutionell nicht mit der Europäischen Union verbunden, auch wenn beide dieselbe Flagge verwenden. Offizielle Aufgabe ist es, "einen engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen". Angesichts seiner Themenschwerpunkte kann der Europarat als Hüter der Demokratie und der Menschenrechte betrachtet werden.

Del-Ponte-Buch gab Anstoß für Bericht
Anlass für die Ermittlungen war übrigens ein Buch der früheren UNO-Chefanklägerin Carla del Ponte aus dem Jahr 2008. In dem Werk mit dem Titel "Im Namen der Anklage - Meine Jagd auf Kriegsverbrecher und die Suche nach Gerechtigkeit" hatte die Schweizer Juristin berichtet, dass sich die Tribunalsanklage 2004 auch mit dem angeblichen Handel mit Organen serbischer Zivilisten in Albanien befasst habe. In dem Kapitel über den Kosovo-Krieg schrieb Del Ponte über die Verschleppung von rund 300 Serben durch Mitglieder der UCK nach Nordalbanien im Jahr 1999. Dort hätten UCK-Mitglieder den Gefangenen Organe entnommen und sie anschließend ermordet.

Wegen fehlender Beweise wurden von Anklägern des UNO-Tribunals allerdings nie Ermittlungen eingeleitet. Die kosovarischen Behörden hatten die Vorwürfe Del Pontes zurückgewiesen.

Thaci nun Belastung für den Kosovo - EU will Beweise
Den neuerlichen Sieg seiner PDK bei der Parlamentswahl am Sonntag feierte Hashim Thaci zuletzt als "Referendum für die europäische Zukunft des Kosovo". In Wirklichkeit könnte sich der Premier nun als Belastung für den kosovarischen Weg nach Europa erweisen. Galt er nach dem Kosovo-Krieg noch als "unberührbar", muss Thaci nun ernsthaft um sein politisches Überleben fürchten.

Die EU hat indes Marty aufgefordert, seine Vorwürfe gegen Thaci zu belegen. "Wir könneerine Ashton am Mittwoch. Sie betonte, die EU nehme Vorwürfe des kriminellen Organhandels sehr ernst. Der Kampf gegen Kriminalität sei eine Verpflichtung der Westbalkan-Länder, auch des Kosovo, und "eine Schlüsselpriorität".

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