
Der Orchestermusiker hebt einen zwei Meter langen Stiel, an dessen Ende ein hölzernes Rechteck überdurchschnittlicher Größe befestigt ist. Das gesamte Orchester steuert in Intensität und Dynamik ihres Spiels auf einen vom Komponisten vorbereiteten Höhepunkt zu.
Das Streichertremolo mündet in ein exzessives Fortissimo, tiefes und hohes Blech holen den maximalen Klang aus ihren Instrumenten, das Donnerblech wird geschwungen, Tam-Tams, Becken, Pauken und die große Trommel erklingen in wahnhaftem Getöse. Dann lässt der Musiker sein hölzernes Ungetüm zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt in der Partitur zu Boden rasseln.
Sie hören: den Hammerschlag. Ein ganz besonderer Moment in der Partitur eines Konzertabends.
Große Komponisten wie beispielsweise Gustav Mahler verwenden diesen für dramaturgische Wendungen in ihren Sinfonien und Tondichtungen. Meist bereiten diese Komponisten diese musikalischen Höhepunkte in ihren Werken minutenlang vor. Sie mischen die musikalischen Farben behutsam und langsam aufbauend zusammen, um dann die volle Aufmerksamkeit des Publikums für harmonische Eckpunkte zu fixieren. Egal ob Dirigenten eines Orchesters, Chorleiter, Instrumentalisten, Blasmusikkapellmeister oder Musiker einer Band. Alle wissen: Eine musikalische Interpretation braucht Höhepunkte. Diese wirken aber nur in Verbindung mit klug eingesetzten Kontrasten. Da braucht es viele andere Schattierungen einer Interpretation davor.
Sebastian Kurz beispielsweise bevorzugt den politischen Hammerschlag. Bereits zu Beginn der Covid-Krise hat er alle Möglichkeiten seiner kommunikatorischen Klaviatur ausgeschöpft: Wir werden alle jemanden kennen, der an Covid-19 verstorben ist, ließ er uns im März wissen. Danach sprach er von bis zu 100.000 Toten, die zu erwarten seien, wenn nicht gehandelt werde.
Angst, Einschüchterung, großes Drama. Und dazwischen immer die Inszenierung des strahlenden Superhelden mit seinem Hammer, der, dank seiner Fähigkeiten, letztlich doch im Alleingang das Virus zertrümmern werde.
Daneben der Gesundheitsminister im Ostinato-Modus. In der Musik ist das Ostinato ein sich ständig wiederholendes rhythmisches Element. In Ravels Bolero oder Strawinskys Le Sacre du Printemps sind Ostinati gut gewählte Mittel, rhythmischen Linien, durch ständiges Wiederholen, Nachdruck zu verleihen. Damit das Publikum nicht abstumpft, braucht es unterschiedliche Akzentuierungen, abwechselnde Phrasierungen und den Willen, sich auch einmal - im Sinne des Gesamtwerks - zurückzunehmen.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ging von Anfang an einen ganz anderen Weg. Durch und durch Wissenschaftlerin hat sie die Grunddynamik ihrer Interpretation protestantisch distanziert angelegt. Merkels großer Vorteil: Sie kann immer noch die Dosis erhöhen. Falls notwendig, hat sie noch ausreichend Werkzeug, um die Dramatik ihrer Interpretation der Situation anzupassen. Sie hat ihre Munition besonders in den Dynamiken Forte bis Fortissimo kühl gehalten und kann diese noch in ihre Tondichtung einbauen.
Österreichs Regierung hingegen ist am Limit. Das virologische Quartett hat so oft und exzessiv die Hämmer, Donnerbleche, Streichertremoli und Bläserakkorde eingesetzt, dass das Publikum nun ermattet in den Konzertstühlen hängt. Da ist kein Murmeln, kein sanfter Ellbogen-Stoß in des Konzert-Nachbars Rippen, wenn der Hammer nach oben geht. Man hat das alles in den vergangenen Monaten immer wieder und wieder gehört.
Die Glaubwürdigkeit, dass besondere Vorsicht geboten ist, ist dahin. Vielleicht fehlt deshalb die Aufmerksamkeit, um Covid-19 unter Kontrolle zu bringen.
Populisten brauchen den permanenten Ausnahmezustand, den schrillen Grundton. Besser wäre in der politischen Kommunikation zur Bekämpfung einer Pandemie auf die großen Meister zu hören.
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