Neues Album „Hell“

Die Ärzte: Zeit für die zornige Rockgitarre

Musik
23.10.2020 06:00

In den besten und stabilsten Beziehungen braucht man manchmal den nötigen Abstand. Das wissen auch die Ärzte, die ganze acht Jahre lang nichts mehr Neues von sich hören ließen, nun mit dem Album „Hell“ aber wiedererstarkt zurückkehren. Die Durchschnaufpause war einfach nötig.

(Bild: kmm)

Die Ärzte veröffentlichten 2012 das Album „auch“. Es sollte acht Jahre dauern, bis die „beste Band der Welt“ ihre Fans mit einem Nachfolger beglückt. „2013 waren wir nach der Tournee ausgebrannt und hatten, ehrlich gesagt, ein bisschen voneinander die Nase voll“, erzählte Bela B (Drums, Gesang) im APA-Interview. Nun aber ist das Trio als Einheit zurück - mit „Hell“, einem „sehr vielseitigen Album, beherrscht von einer zornigen Rockgitarre“, so der Musiker.

Rücksicht fehlte
Die Ärzte hätten bereits vor zwei Jahren ins Studio gehen können, wenn es ums Geldverdienen gegangen wäre, betonte Bela. „Aber in unserer romantischen Vorstellung muss eine Band auch intakt sein.“ Warum sie das nicht war? „Nun, wir haben aufeinander nicht mehr so Rücksicht genommen wie früher“, sagte der 57-Jährige ganz offen. Das hat sich mittlerweile geändert, und 2019 spielte das Trio dann ein paar Festivals (u.a. beim Nova Rock in Nickelsdorf) und eine Clubtour, „um zu schauen, wie es läuft“. Es lief wunderbar, so dass sich alle in Sachen neues Album rasch einig waren: „Kommt, lasst uns das angehen!“

Gleich mit der ersten Auskopplung aus „Hell“, „Morgens Pauken“, präsentiert sich die Band als Einheit. Das Lied klingt nicht wie ein Song von Bela B oder von Farin Urlaub (Gitarre, Gesang) oder von Rod González (Drums, Gesang), sondern nach Die Ärzte. „Das war auch einer der Gründe, warum wir es als Single gewählt haben, obwohl das Lied fürs kommerzielle Radio etwas zu lange, etwas zu hart und zu aggressiv ist. Die Ärzte kümmern sich aber nicht um Konventionen - und müssen das zum Glück auch nicht.“

Bandplatte
Zum Vergleich von „Hell“ mit dessen unmittelbaren Vorgängern sagte Bela: „Bei ‘auch‘ haben wir erstmals beschlossen, dass von jedem von uns gleich viele Songs drauf sein sollten. Es ist ein besonderes Album geworden, weil es drei Individuen zeigt, die ihren eigenen Weg gehen. Daher hat es im Ärzte-Kosmos seine Berechtigung. Aber es ist keine homogene Platte wie davor ‘Jazz ist anders‘ (von 2007, Anm.). Wir haben alle das Gefühl, dass ‘Hell‘ nicht nur an ‘Jazz‘ heranreicht, sondern in Sachen Vielfältigkeit der Musik und Experimentierfreude auch übertrifft.“

Das neue Album „hat zwei Gesichter“, führte Bela aus und begründete: „Manche Texte sind noch absurder als bisher. Zum anderen gibt es viele Kommentare zum allgemeinen europäischen Rechtsruck. Die AfD hat sogar einen eigenen Song bekommen.“ 1993 hatten sich Die Ärzte nach zwischenzeitlicher Trennung mit „Schrei nach Liebe“, einem Song gegen Rechtsradikalismus, zurückgemeldet. 2020 ist das Thema noch immer aktuell. „Ich weiß nicht, ob die Menge an rechtsgerichteten Menschen größer wird“, sagte Bela. „Diese Leute sind aber auf alle Fälle auffälliger geworden und in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Rechtsgerichtete Parteien versuchen, die Grenze des Sagbaren immer weiter zu verschieben, zugleich sich als Opfer zu stilisieren.“

Gegen Hass und Populismus
Über politische Schreihälse hat Bela so seine eigenen Gedanken: „Will man denn so sein? Will man denn immer nur schlechte Laune haben, mies drauf sein und nur schimpfen? Wo ist da der Spaß? Also gut, wo der Spaß ist, habt ihr in Österreich ja gesehen: auf Ibiza mit einer scharfen Russin. Aber ernsthaft: Wie kann man sich glücklich fühlen und glauben, tolle politische Arbeit zu leisten, wenn man nichts tut als zu hetzen? Die Menschen sind ihnen egal. Ihre Agenda ist Hass und Populismus und damit lässt sich sogar noch Geld machen. Widerlich.“

Zurück zu „Hell“: Das Album funktioniert auch ohne Beachtung der Texte, betonte Bela. „Wir wurden über die Jahre oft auf unsere Texte reduziert. Das passiert bei einer deutschsprachigen Band fast automatisch. Aber die Musik spielte bei uns immer auch eine ganz wichtige Rolle. Bei manchen Liedern auf ‘Hell‘ kann man die Worte vollkommen ausblenden und nur die Musik genießen.“ Der Musiker führte als Beispiel „Polyester“ von Rod an: „Das Lied hat einen tollen Text über die Verwandlung des Menschen zum Plastik, eine Umweltkritik, aber auch eine unfassbare Gitarrenwand, die dich ummäht.“

Ode ans Nichtstun
Es gibt auch eine Ode an die Langeweile, „Achtung Bielefeld“, auf „Hell“. Laut Bela ist das der „hektischste Song auf dem Album mit der Botschaft, man solle sich doch mal gepflegt langweilen und nicht immer versuchen, jede freie Sekunde auszufüllen mit Wissensanhäufung übers Internet oder der Selbstoptimierung auf den sozialen Medien. Nichtstun scheint heutzutage fast ein Verbrechen zu sein. Sorgen, die eine Mutter in Moria z.B. sicher gern hätte.“ Außerdem finde man auch „viel Persönliches“ auf dem Album. „Farin hat eine tolle Ballade, ‘Liebe vor dem Tod‘, begesteuert. Beim Mix-Abhören sind mir echt die Tränen gekommen, das ist mir noch nie passiert.“

Wegen Covid waren Die Ärzte übrigens im Studio quasi „eingeschlossen und so konzentriert“, dass sie „Hell“ in sieben Wochen eingespielt haben. „Geplant hatten wir drei Monate“, berichtete Bela. Apropos Coronavirus: „Ich kann allen Leuten nur raten: Versucht aus den Lehren, die wir jetzt gerade ziehen, etwas Positives mitzunehmen - der ganze Planet zieht schließlich durch diese Pandemie an einem Strang. Solidarität ist gefragt“, sagte der Künstler. Und was das Maskentragen betrifft: „Das ist ein Akt der Solidarität und nicht nur Selbstschutz. Die Maske hilft zu allererst ja deinem Gegenüber. Es gibt halt auch die Covidioten, die das als Zeichen der Unterdrückung werten. Warum auch immer - manchmal erscheint mir Dummheit als die noch krassere Krankheit.“

Live in Österreich
Die Ärzte haben für ihre 2020 abgesagten Konzerte bereits Ersatztermine angekündigt: am 11. Dezember 2021 beim „Snow & Sound“ in Bad Hofgastein, sowie am 17. und 18. Dezember 2021 in der Wiener Stadthalle. Alle weiteren Infos unter www.bademeister.com

APA/Wolfgang Hauptmann

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