VERLORENER JAHRGANG?

Infiziert Corona gleich den ganzen Lebensweg?

Leben
30.08.2020 06:10

Schule daheim, abgesagte Praktika und holpriger Start ins Berufsleben. Infiziert Corona gleich den ganzen Lebensweg? Oder lässt sich noch alles aufholen? Experten und Betroffene geben Antwort.

Ironie des Schicksal: Es ist eine harte Wende für diese Generation. Aufgewachsen während eines Wirtschaftsbooms, stand ihnen die Welt offen – bis vor Kurzem. Nach dem Abschluss für ein paar Monate ins Ausland? Um den Globus reisen? Dann ein Job. Lebensqualität und Familie oder doch ein Erasmus-Semester an einer der Elite-Universitäten Stanford oder Harvard. Oder gar ein Start-up gründen? Nichts war unmöglich.

Jung, motiviert, abgehängt – so formulierte es der „Spiegel“ treffend. Eine Krise kommt selten allein. Covid-19 löste nicht nur eine weltweite Pandemie und damit eine Gesundheitskrise aus, sondern auch eine soziale Krise, Bildungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise. Die Misere trifft besonders junge Menschen hart.

Die Jugendarbeitslosigkeit stieg rasant, während gleichzeitig die Lehrstellenlücke immer größer wurde. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus hat eine weltweite Rezession und einen enormen Anstieg der Arbeitslosenzahlen zur Folge. Jugendliche haben ein höheres Risiko, ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder gar nicht erst einen zu finden. Im Juni vergangenen Jahres waren österreichweit 25.112 junge Menschen zwischen 15 und 25 beschäftigungslos. Zum gleichen Zeitpunkt heuer gab es bei derselben Gruppe eine Steigerung von 80,5 Prozent (45.317). Gleichzeitig suchten im Juli um knapp 3000 mehr als im Vorjahr eine Lehrstelle.

Experten befürchten, dass Betriebe jede zweite Lehrstelle streichen werden. Betroffen sind vor allem Branchen, die besonders von der Krise gebeutelt wurden. Es gilt jetzt, Maßnahmen zu treffen, um eine verlorene Generation zu verhindern und den jungen Menschen eine Perspektive zu geben, forderte ÖGB-Chef Herbert Katzian jüngst. „Das ist fatal für diese jungen Menschen, denen ein Stück Zukunft geraubt wird.“

Finden Jugendliche erst gar keinen Arbeitsplatz?
Corona hat auch viele Ferialpraktika-Stellen zunichtegemacht. Tobias Karigl ist Schulsprecher der Tourismusschule Wassermanngasse in Wien. Ihm selbst ist es diesen Sommer so ergangen. „Zusätzlich zum Ausfall unserer Praktika kommt natürlich auch noch der Entfall des Praktikumsentgelts, das für viele BHS-Schüler die einzige Einnahmequelle ist.“ Und mit Nachdruck fügt er hinzu: „Bis heute weiß niemand, wie es für diejenigen im Herbst weitergeht, die diesen Sommer kein Praktikum finden konnten. Die momentane Perspektivlosigkeit und Unsicherheit bezüglich unserer Ausbildung ist immer noch unter uns Jugendlichen. Wir hoffen, dass wir im Herbst nicht mehr im Stich gelassen werden.“

Bundesschulsprecherin Jennifer Uzodike hat im Corona-Jahr maturiert. Vor einigen Tagen hat die 19-Jährige Rechtswissenschaften inskribiert und steht ihrer Zukunft positiv gegenüber. Ob es ein Nachteil gewesen sei, 2020 die Reifeprüfung abgelegt zu haben? „Nein, ganz im Gegenteil. Mein Jahrgang hat gezeigt, wie gut wir mit neuen Situationen umgehen können, aber auch mit der Ungewissheit. Wir wussten ja lange nicht, ob und wie die Matura abgehalten wird. Wir haben unser Bestes gegeben und ein hohes Maß an Flexibilität und Selbstständigkeit unter Beweis gestellt.“

Lukas Sustala, Ökonom und Publizist, hat bereits in seinem Buch „Zu spät zur Party“, erschienen Anfang Jänner, also noch bevor Corona als Pandemie eingestuft wurde, darauf hingewiesen, dass einer ganzen Generation, den Millennials, droht, den Anschluss zu verlieren. Denn die Babyboomer, geboren zwischen 1946 und 1964, haben ihren Nachfolgern jede Menge Probleme hinterlassen. Seit 2008 etwa haben wir beobachten müssen, so Sustala, dass gerade junge Erwachsene in eine Doppelmühle geraten sind.

„Die Jahrgänge, die nach der Finanzkrise auf dem Arbeitsmarkt Fuß gefasst haben, sind im Schnitt mit kaum wachsenden oder stagnierenden Einkommen konfrontiert - im Vergleich zu ihren Vorgängern. Gleichzeitig aber sind die Lebenshaltungskosten, die Mieten und Immobilienpreise kräftig gestiegen.“ Und sie müssen die Versprechen schultern, die in den vergangenen Jahrzehnten im Sozialstaat abgegeben wurden. Das werde wegen des demografischen Wandels, in dem weniger Einzahler immer mehr Pensionisten versorgen müssen, immer schwieriger.

Vor ein, zwei Generationen war Bildung der sichere Schlüssel für den sozialen Aufstieg und einen fixen, dauerhaften Beruf. Das hat sich aber dramatisch geändert: Der Master von heute ist in Branchen wie den Banken oder der Verwaltung die Matura von damals. Deshalb schreiben Soziologen etwa davon, dass Bildung immer noch notwendig ist für den sozialen Aufstieg, aber weil die Anforderungen auch gestiegen sind und so viel mehr Menschen sich höher bilden, ist es aber nicht immer ausreichend, um sich die eigenen Berufsziele zu erfüllen.

Der Druck ist groß – Corona erhöht ihn noch
„Corona wird mit Sicherheit nicht die letzte Herausforderung sein, die in Zukunft plötzlich über uns hereinbricht. Daher sollten wir bei unseren Kindern viel mehr Wert auf soziale Fähigkeiten wie emotionale Stabilität legen. Diese kommen aber in den Lehrplänen viel zu kurz“, meint Bildungsexperte Andreas Salcher. „Zum Glück verfügen wir Menschen über psychische Widerstandsfähigkeit, um Krisen zu bewältigen und sogar besondere Stärken daraus zu entwickeln. Hier sehe ich die wirkliche Herausforderung für diese Generation.“

Ob eine Arbeitszeitverkürzung Früchte trägt? Lukas Sustala ist skeptisch: „Die Vorstellung, wir müssten einfach nur die bestehende Arbeit auf mehr Köpfe verteilen, ist etwas naiv. Wir müssen ja vielmehr dafür sorgen, dass wir die Rahmenbedingungen für mehr und neue Jobs verbessern. Junge Menschen brauchen einen dynamischen Arbeitsmarkt und Jobs mit Zukunft. Und ja, diese Jobs mit Zukunft werden auch mit neuen Arbeitszeiten oder Arbeitsformen einhergehen. Gerade in Branchen mit Fachkräftemangel werden sich Arbeitgeber auch gut überlegen, wie sie passende Arbeitszeitmodelle als Anreiz für junge Talente einsetzen.“

Die Jungen werden Zugeständnisse machen müssen – zum Teil auch in finanzieller Hinsicht, ist sich auch Managerin und Personalberaterin Martina Gruber von Iventa International Management Consulting sicher. Auch werden Jobs öfter gewechselt werden, um den ursprünglichen beruflichen Zielen näherzukommen. Kreativität hinsichtlich Fortbildung bis hin zum Wagnis, vorübergehend etwas ganz anderes im Bereich seiner Talente zu machen, kann sich entsprechend einer wandelbaren, flexiblen und digitalen Arbeitswelt von morgen als gut genutzte „Lücke“ im Lebenslauf erweisen.

Susanne Zita, Kronen Zeitung

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(Bild: kmm)



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