EU-Krisengipfel

750 Milliarden Euro schwerer Nofallplan beschlossen

Ausland
10.05.2010 11:31
Die EU-Finanzminister und der IWF haben in der Nacht auf Montag in einer bisher beispiellosen Aktion einen 750 Milliarden Euro schweren Rettungsschirm, ähnlich dem Griechenland-Paket, für strauchelnde Euro-Länder beschlossen. Damit soll die Gemeinschaftswährung vor Spekulationsangriffen auf den Finanzmärkten geschützt werden. Die Börsen reagierten am Montag mit Kurssprüngen.

Der in der Geschichte der Union einmalige Notfallfonds setzt sich aus 60 Milliarden Euro von allen Unions-Mitgliedern, dazu 440 Milliarden in Form von Garantien der Euro-Mitgliedstaaten zusammen. Der IWF selbst könne diese Summe noch um die Hälfte bis maximal 250 Milliarden Euro ergänzen. Österreichs Haftungsrahmen im "Griechen-Paket für alle" würde übrigens bis zu 13 Milliarden Euro betragen.

Finanzminister unter Zeitdruck
Durch das monatelange Gezerre in der EU über eine Hilfe für das schwer verschuldete Griechenland ist einerseits der Euro gegenüber dem Dollar abgesackt, andererseits haben die lediglich stückweise und oft zu spät ergriffenen Maßnahmen die Märkte nicht beruhigt. Spekulationsangriffe gibt es nun auch vermehrt auf die angeschlagenen Euro-Länder Spanien und Portugal, für Montag wurde eine regelrechte Welle an Angriffen befürchtet. 

Die Finanzminister standen damit unter einem gewaltigen Zeitdruck. Spätestens bis 2 Uhr früh (Öffnung der Börsen in Asien) musste eine Einigung über ein Rettungspaket für die Gemeinschaftswährung erzielt sein. Mit der Einrichtung eines fixen Notfallmechanismus für den Ernstfall soll der Euro nun erstens vor weiteren Verlusten und strauchelnde Mitgliedsländer von einem "Ansteckungseffekt" bei Griechenland bewahrt werden. Zweitens sollte das Signal des Ministerrats so klar und deutlich sein, dass die Euro-Länder noch vor der Öffnung der Börsen am Montag den Spekulanten den Wind aus den Segeln nehmen. Grundlage für den Notfall-Mechanismus ist jedenfalls Artikel 122 des EU-Vertrages, der sich auf "außergewöhnliche Ereignisse" bezieht, die sich der Kontrolle eines EU-Mitgliedslandes entziehen.

Börsen im Aufwind, Euro klettert auf 1,29 Dollar
An den Börsen schien der beispiellose Krisenfonds Montag früh erste Wirkungen zu zeigen: Zu Handelsbeginn in Tokio stieg der Euro-Kurs über die Marke von 1,29 Dollar und stabilisierte sich im Laufe des Vormittages auf diesem Wert. Am Freitag war er beim Börsenschluss in New York noch bei 1,2755 Dollar gelegen.

Um 10.40 Uhr notierte der DAX in Frankfurt mit 5.932,94 Punkten, das entspricht einem Plus von 217,85 Einheiten oder 3,81 Prozent. In London stieg der FT-SE-100 207,5 Einheiten oder 4,05 Prozent auf 5.330,55 Zähler. Der die 50 führenden Unternehmen der Eurozone umfassende Euro-Stoxx-50 gewann 185,29 Einheiten oder 7,41 Prozent auf 2.685,47 Punkte. Auch die Wiener Börse hat sich kurz nach dem Handelsstart mit Aufschlägen gezeigt. Der ATX reagierte mit einem Kurssprung um 126,58 Punkte oder 5,48 Prozent auf 2.438,35 Zähler. Bei den Staatsanleihen purzelten indes die Renditen: Musste Griechenland für eine zehnjährige Anleihe am Freitag noch mehr als 12 Prozent Zinsen zahlen, so wurden am Montag "nur" mehr 7,6 Prozent gefordert.

Die EU-Kommission als Bank
Eine offizielle Erklärung der Minister gab es erst nach elf Stunden um kurz nach zwei Uhr früh am Montag: Konkret soll das bestehende System der Zahlungsbilanzhilfen von bisher maximal 50 Milliarden Euro an die Nicht-Euro-Länder durch zusätzliche 60 Milliarden Euro Garantiekapital von allen EU-Staaten auch auf die Euro-Länder ausgeweitet werden. Das heißt, die EU-Kommission selbst darf mit diesen 60 Milliarden als Sicherung Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen, um dann wie eine Bank direkt den Euro-Ländern zu helfen. Theoretisch könnte die EU-Kommission sogar das Zehnfache des Garantiekapitals an Krediten aufnehmen. Die Kommission bekommt die günstigsten Konditionen am Kapitalmarkt, weil die EU-Staaten für sie bürgen.

Der IWF, der 220 Milliarden an bereitstehenden Hilfen im Notfallplan versprach, würde auf das Garantiekapital der EU-Kommission noch einmal 30 Milliarden drauflegen, hieß es. Es habe die ganze Zeit informelle Gespräche mit IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn gegeben, berichtete Finanzminister Josef Pröll, der bei dem Krisengipfel Österreich vertrat. Strauss-Kahn hat am Montag das Hilfspaket begrüßt: "Das sind starke Maßnahmen, die helfen werden, die Stabilität der globalen Wirtschaft zu sichern."

Kleine Länder wehrten sich: Garantien statt Kredite
Der Löwenanteil des "Rettungsschirmes" - der am lautesten von Deutschland geforderte 440 Milliarden Euro schwere Haftungsrahmen durch Euro-Länder - muss gemäß dem Pakt jedoch ähnlich dem Modell der Griechenland-Hilfe von den Euro-Ländern selbst abgewickelt werden, wobei die Länder hierbei Garantien abgeben und keine direkten Kredite gewähren sollen. Aufnehmen soll die Kredite eine noch zu gründende Finanzierungsgesellschaft.

Gegen eine 1:1-Übertragung des Griechenland-Schemas bei einem fixen Rettungsschirm hatte es starken Widerstand kleinerer Länder gegeben. Deutschland hatte ursprünglich auf Kredite der Euro-Länder bestanden, sei aber letztlich bereit gewesen, ein "Spezialvehikel" zu schaffen, berichtete Pröll. Ihm sei wichtig gewesen, dass nicht Geld flüssig gemacht werde zusätzlich zur Griechenland-Hilfe, sagte Pröll. Ein zwischenzeitlich angedachtes Mischmodell aus Krediten und Haftungen habe er abgelehnt.

Wie es am Montag hieß, beteiligen sich neben den Euro-Ländern an diesem Teil des Rettungsschirmes auch die Nicht-Euro-Länder Polen und Schweden. Ihr genauer Anteil ist aber noch unbekannt.

Spanien und Portugal kommen an kurze Leine
Abseits des Rettungsschirms haben die Finanzminister beschlossen, konkrete Defizitreduktionsziele für Spanien und Portugal vorzuschreiben, verlautete Sonntagnacht aus EU-Kreisen. Sie sollen für die nächsten beiden Jahre zu Einsparungen verpflichtet werden. Sowohl Spanien und Portugal sind wegen ihrer Schuldenprobleme massiv Ziele von Spekulationsangriffen geworden.

Laut Salgado wurde außerdem verdeutlicht, im Bereich der Regulierung der Finanzsysteme und bei der Aufsicht schneller vorankommen zu müssen. Vor allem gehe es um den Markt für Derivate. Salgado unterstrich auch die Möglichkeit einer Transaktionssteuer. Die Einführung einer solchen Steuer auf Finanztransaktionen - sie wird unter anderem von Österreich schon seit längerem gefordert - müsse geprüft werden, sagte die spanische Sozialistin in einer Pressekonferenz nach der elfstündigen Sitzung.

Notenbanken kaufen Staatsanleihen
Die Schuldenkrise in der Eurozone hat nun auch die Währungshüter zu ungewöhnlichen Schritten gezwungen. Um die Märkte am Leben zu halten, will die EZB in Zukunft auch Anleihen von hochverschuldeten Euro-Staaten oder auch privaten Schuldnern aus diesen Ländern kaufen, hieß es nach dem Beschluss des Notfallplans. Vor einigen Tagen hatte EZB-Chef Jean-Claude Trichet bereits angekündigt, auch griechische Anleihen mit schlechter Bonität als Sicherheit anzunehmen. Die EZB kündigte nun an, sie plane "Eingriffe" in den privaten wie den staatlichen Anleihenmarkt.

Der unabhängigen Zentralbank ist zwar verboten, direkt Staatsanleihen zu erwerben, doch kann sie damit auf Umwegen trotzdem den Staaten Geld leihen. Die Notenbanken der Euro-Länder haben jedenfalls am Montag damit begonnen, Staatsanleihen zu kaufen. Wie aus geldpolitischen Kreisen verlautete, konzentriere man sich auf die Länder mit den größten Schwierigkeiten.

Pröll: "Kritischste Situation seit Jahrzehnten"
Laut Finanzminister Pröll war der Umfang der Garantien beim Gipfel "heftig umstritten". Letztendlich sei es aber ein "klares Signal der Europäischen Union und der Euro-Gruppe in der Frage der Stabilisierung unserer Währung" sowie auch der ökonomischen Perspektive der EU. Vor Beginn des Gipfels um 15 Uhr nachmittags hatte Pröll erklärt, es handle sich um die "kritischste und angespannteste Situation seit Jahrzehnten, aber sie ist zu lösen". Die Situation für den Euro bezeichnete er als "schwere Belastungsprobe" und sprach von einer "unglaublichen Bewährungsprobe für die europäische Politik". Er wandte sich allerdings dagegen, "den Spekulanten die Probleme in die Schuhe zu schieben. Denn es kann nur erfolgreich spekuliert werden gegen Staaten, die über Jahre und Jahrzehnte fahrlässig Haushaltspolitik betrieben haben".

Fr nicht ins EU-Ministerratsgebäude, sondern musste stattdessen ein Krankenhaus in der belgischen Hauptstadt aufsuchen. Zu seiner Vertretung beim Gipfel reiste dann der deutsche Innenminister Thomas de Maizière nach Brüssel.

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