Fachmann kritisiert:

„Für die Medizin ist der Mensch eine Maschine“

Tirol
13.02.2019 19:30

In seinem Buch „Was uns krank macht, was uns heilt“ fordert Psychotherapeut und Forscher Christian Schubert ganzheitliche Medizin ein. Bei körperlichen Krankheiten auch auf die Psyche schauen - das ist die Botschaft des Wissenschafters aus Innsbruck. Mit der „Krone“ sprach er über das Gripperisiko Stress, Maschinenmedizin und die heilsame Wirkung von Psychotherapie.

Prof. Christian Schubert ist Forscher, Arzt, Psychologe, Psychotherapeut. Er leitet das Labor für Psychoneuroimmunologie an der Universitäts-Klinik für Medizinische Psychologie in Innsbruck. Schubert gehört zu den unermüdlichen Mahnern, die eine ganzheitliche Medizin einfordern. Was er damit meint, wird am Beispiel der derzeit grassierenden Grippe deutlich:

Herr Schubert, Grippezeit ist. Es werden Medikamente verschrieben, es wird geimpft, es werden Hausmittel ausprobiert. Reicht das?

Medikamente können kurzfristig gute Wirkung zeigen. Aber wir müssen uns auch die Frage stellen, warum es einige Menschen häufig trifft, andere aber nicht. Das hängt mit der körperlichen, aber eben auch mit der psychischen Verfassung zusammen. Stichwort Stress! Es ist nur logisch, dass die Grippewelle nach Weihnachten anrollt. Dieses Fest ist nicht nur schön, sondern kann uns auch psychisch sehr belasten. Stress und sozialer Druck hemmen unser Immunsystem und machen uns anfällig für Krankheiten.

Warum ist unsere Gesellschaft so gestresst?

Stress wird heute besser wahrgenommen als früher. Dennoch würde ich sagen, dass wir auch tatsächlich gestresster sind. Ständiges Wirtschaftswachstum, Globalisierung, Multimedialität – wir kommen einfach nicht mehr zur Ruhe. Im Job, in der Freizeit, in der Familie. Wir wollen alles zugleich, alles in Perfektion, von allem immer mehr. Das bleibt nicht ohne Folgen für unseren Körper.

Und wenn dieser nicht richtig funktioniert, wird ein Arzneimittel verschrieben.

Die Medizin hat leider einen sehr technischen Ansatz. Sie sieht den Menschen als Maschine, schaut auf den körperlichen Defekt und fängt dort mit der Reparatur an. Aber viele Patienten merken bereits, dass die reduzierte Maschinenmedizin zu wenig ist, sind unzufrieden mit diesen Reparaturwerkstätten für Menschen.

Wie schaut eine gute medizinische Versorgung aus?

Sie hat einen ganzheitlichen Ansatz. Der Ansatz, für den wir uns an der Klinik für Medizinische Psychologie seit Jahrzehnten einsetzen. Zwar bestreitet heute kaum noch ein Arzt den Zusammenhang zwischen Körper und Geist – doch in der Praxis wird die Psyche völlig vernachlässigt. Die Mediziner werden dafür kaum geschult und im Alltag nehmen sich zu wenige Ärzte Zeit dafür, auch weil unser derzeitiges System es ihnen unmöglich macht. Viele Aspekte des Lebens werden in der Medizin einfach ignoriert. Das muss sich ändern.

Aber wie?

Am Beispiel Krebs lässt sich das veranschaulichen: Hart gesottene Onkologen wollen uns immer noch weismachen, dass die Erkrankung nichts mit der Psyche zu tun hat. Einige Zusammenhänge sind aber klar belegt. Patienten können mit Hilfe von Psychotherapie sehr viel erreichen – zuerst den Stress durch die Krankheit minimieren und in der Auseinandersetzung mit der persönlichen Geschichte psychische Belastungen entlarven, die anfällig für Krankheiten machen.

Das klingt zeitaufwendig.

Ist es auch. Psychotherapie ist hochkomplex, braucht Zeit und eine gute Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Mit ein paar Entspannungstropfen ist das Ganze nicht erledigt. Im Sinne des ganzheitlichen Ansatzes sind aber alle Mediziner gefordert, sich mehr Zeit für Fragen rund um die Psyche zu nehmen und ein körperliches Leiden von allen Seiten zu beleuchten.

Was kann die Vortragsreihe „psyche kompakt“ leisten, die ab 13. Februar monatlich in Innsbruck stattfindet?

Sie kann die Zuhörer darin bestärken, beim Arzt den ganzheitlichen Ansatz einzufordern, um nicht nur als Röntgenbild oder Laborwert wahrgenommen zu werden.

Vortragsreihe „psyche kompakt“ gestartet
Sieben Vorträge zu Themen rund um psychische Gesundheit umfasst die neue Reihe „psyche kompakt“. Die Gratis-Veranstaltung hat der Tiroler Landesverband für Psychotherapie (TLP) - in dem rund 600 Psychotherapeuten vertreten sind - mit Unterstützung von Land, Stadt Innsbruck und Tiroler Gebietskrankenkasse organisiert.  Alle Vortragstermine und Themen: www.psychotherapie-tirol.at

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