Verzweiflung im Web

London: So suchen Verwandte nach den Vermissten

Ausland
15.06.2017 10:02

Nach der Brandkatastrophe in einem Hochhaus in London in der Nacht auf Mittwoch werden noch Dutzende Bewohner des 24-stöckigen Hochhauses vermisst. Verwandte suchen verzweifelt nach ihren Familienangehörigen und starteten dazu auf sämtlichen Social-Media-Kanälen Kampagnen, wo sie Fotos der Vermissten veröffentlichten. Vermisst werden etwa ein zweijähriger Bub mit seine Mutter.

Wie viele Menschen tatsächlich noch vermisst werden, ist unklar. "Wir haben eine Liste von vermissten Personen. Es sind so viele, sicher mehr als 50, möglicherweise sogar 100", sagte eine Bewohnerin gegenüber der britischen "DailyMail". Bei dem gewaltigen Brand im Zentrum Londons wurden 65 Menschen von der Feuerwehr aus den Flammen gerettet, anderen gelang selbst die Flucht. Nach Angaben der Rettungskräfte wurden mindestens 79 Patienten in Kliniken behandelt, 18 von ihnen seien in einem kritischen Zustand. In dem Gebäude mit 120 Wohnungen lebten britischen Medienberichten zufolge zwischen 400 und 600 Menschen.

Angehöriger: "Ich befürchte das Schlimmste"
Verwandte suchen derzeit verzweifelt nach ihren Familienangehörigen. Auf Facebook oder Twitter haben sie Fotos von ihren Liebsten veröffentlicht. "Bitte helft uns, sie zu finden", appellierte eine Frau gegenüber der "DailyMail", die auf der Suche nach ihren drei kleinen Nichten ist. Francis Dean sagte gegenüber dem "Telegraph", dass er seine Schwester Zainab und deren zweijährigen Sohn vermisse. "Meine Schwester rief mich Mittwoch in den frühen Morgenstunden an und sagte, dass es einen Brand gegeben hätte. Ich sagte ihr, dass sie das Haus verlassen solle, doch ein Feuerwehrmann riet ihr dazu, in ihrer Wohnung zu bleiben. Seither habe ich nicht mehr von ihr gehört. Ich befürchte das Schlimmste." Vermisste werden viele Ehepaare mit ihren Kindern. "Ich suche meine 12-jährige Cousine. Ich habe sie zuletzt kurz nach dem Ausbruch des Feuers gesehen, als sie eine Feuerleiter hinabgestiegen war", twitterte Natalie Garcia.

"Freundin mit Kindern in Wohnung eingeschlossen"
Andere Familienangehörige oder Bewohner, denen die Flucht rechtzeitig gelungen war, schilderten die dramatischen Szenen nach Ausbruch des Feuers. Eine junge Frau erhielt am Mittwoch gegen 3 Uhr ein Snapchat-Video ihrer Freundin. "Sie wohnt in der obersten Etage, ihr Mann war nicht daheim, weil er im Urlaub ist. Sie schilderte mir, dass sie und ihre zwei kleinen Kinder nicht aus der Wohnung gehen können, weil der Rauch zu stark sei. Seither konnte ich sie nicht mehr erreichen."

Video: Großeinsatz in London - Hochhaus in Vollbrand

Ein Augenzeuge berichtete, dass ein Feuerwehrmann sein Telefon verwendet hatte, um mit seiner Schwester zu telefonieren. "Er sagte ihr, sie solle Ruhe bewahren und er sie aus den Flammen befreien würde. Dann sagte er zu ihr, dass er sie lieben würde und der Kontakt brach ab." Reshad Habib berichtete, dass er auf der Suche nach seinem Onkel sei. "Er lebt seit 20 Jahren in einer Wohnung im letzten Stock. Er rief mich in der Nacht an und sagte, dass er im MOment keine Hilfe bekommt."

Polizei: "Zahl der Toten wird steigen"
Wie der Sender BBC am frühen Donnerstagmorgen meldete, loderten in einigen Wohnungen - mehr als 24 Stunden nach Ausbruch des Brandes - noch immer die Flammen. Die Feuerwehr leuchtete von einer Hebe-Plattform von außen in das Gebäude, berichtete eine Reporterin. "Ich erwarte, dass die Zahl der Toten steigen wird", sagte Stuart Cundy von der Londoner Polizei am Mittwochabend. Nach neuen Angaben der Polizei starben mindestens 17 Menschen.

May kündigt "sorgfältige Untersuchung" an
Die Ursache des Brands ist noch nicht geklärt. Bürgermeister Sadiq Khan versprach umfassende Aufklärung. "Es wird im Laufe der nächsten Tage viele Fragen zur Ursache dieser Tragödie geben, und ich möchte den Londonern versichern, dass wir dazu alle Antworten bekommen werden." Auch Premierministerin Theresa May kündigte eine "sorgfältige Untersuchung" an. Wenn aus dem Feuer Konsequenzen zu ziehen seien, würden Maßnahmen ergriffen, sagte May am Mittwochabend.

Experte: "Wie in der Dritten Welt"
Der britische Brandschutz-Experte Jon Hall nannte den Brand im Grenfell Tower einen Unfall, wie er in der "Dritten Welt" vorkomme. "Alle Bestandteile der Feuersicherheit und des Gebäudemanagements" müssten versagt haben, vermutete er auf Twitter. Matt Wrack, der Chef der Feuerwehr-Gewerkschaft, sagte, nach dem Brand hätten die Bewohner des Gebäudes das Recht, kritische Fragen zu stellen - etwa, ob die Fassadenverkleidung die Feuersicherheit beeinträchtigt habe.

Hochhaus nicht einsturzgefährdet
Nach der Katastrophe ist das Hochhaus im Stadtteil Kensington entgegen ersten Befürchtungen nicht einsturzgefährdet. Spezialisten hätten den Sozialbau untersucht und für weitere Lösch- und Bergungsarbeiten sicher befunden, teilte die Feuerwehr am Abend mit. Nach Angaben der Polizei wird der Rettungseinsatz noch mehrere Tage dauern. Indes spendeten Hunderte Londoner Decken, Kleider oder Babynahrung für die Bewohner. Auch mehr als eine Million Pfund an Spendengeldern wurden gesammelt. Das Gebäude wurde 1974 erbaut und von 2014 bis 2016 saniert. Es hatte bereits Beschwerden über unzureichenden Brandschutz in dem Hochhaus gegeben.

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