"Krone"-Reportage

Türkischer Frühling: Die Österreicher vom Gezi-Park

Österreich
14.06.2013 17:00
Seit mittlerweile zwei Wochen streiten in der Türkei Regierung und Demonstranten um die Zukunft des Gezi-Parks, der letzten Grün-Oase im Herzen Istanbuls. Die Zwischenbilanz der teilweise von Gewalt begleiteten Proteste im ganzen Land: mehrere Tote und Tausende Verletzte. Die "Krone" traf in der Bosporus-Metropole viele Landsleute, die sich dem Protest, der sich angesichts des gewaltsamen Einsatzes der Polizei auch gegen die als autoritär empfundene Politik von Premier Recep Tayyip Erdogan richtet, angeschlossen haben.

Die Mistsäcke kommen zuerst. Noch bevor der Morgentau, der sich über Nacht auf den Zelten in Istanbul ausgebreitet hat, im ersten Licht der frühmorgendlichen Sonne verdampft, bildet sich rund um den Gezi-Park eine Menschenkette. Im steten Tempo befördert sie die mit Unrat gefüllten Beutel über die Barrikaden und lässt auf der anderen Seite einen blauen Berg entstehen.

Den jungen Menschen ist die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben, aber einen Vorwurf wollen sie sich auf keinen Fall machen lassen: dass ausgerechnet diejenigen, die seit Wochen vor den Augen der Weltöffentlichkeit für den Erhalt eines Parks beim Taksim-Platz kämpfen, den Müll einfach liegen lassen würden.

Deshalb also die Menschenkette in der Früh, egal, wie lang oder kurz die Nacht war. Egal, ob wieder die gepanzerten Fahrzeuge an den dünnen Zeltwänden vorbeigerattert und Tränengasgeschosse im Sekundentakt abfeuert worden sind oder der verhasste Premier Erdogan doch erneut einen Anfall von gönnerhafter Güte hat und sie ruhen lässt - ganz nach dem Motto des Sultans: Zuckerbrot und Peitsche.

Nach zwei Wochen Protest hat sich bei den Belagerern so etwas wie Routine eingestellt. Jeder hat seine Aufgabe. Es gibt einen "Rezeptionisten", der als Anlaufstelle für Lebensmittelspenden dient, die meist von Frauen im fortgeschrittenen Alter gebracht werden. Hobby-Köche versorgen die hungrigen Mäuler mit Mais.

Österreicher halten in Zeltstadt Stellung
Fatma wiederum hat es sich zur Aufgabe gemacht, nur ja keine Langeweile aufkommen zu lassen. "Wir richten Diskussionsforen aus", schildert die 25-Jährige mit einem leichten Anflug von Tirolerisch.
Die Politikwissenschaftlerin ist nur eine von vielen Österreicherinnen und Österreichern, die sich in der Grün-Oase der Zwölf-Millionen-Metropole engagieren.

Auch wenn es längst um viel mehr geht, wie auch ihre Freundin Emel aus Wien weiß, die sie über einen österreichischen Auslandszivildiener vor Ort kennengelernt hat. Auch die 28-Jährige hält nach wie vor in der Zeltstadt Stellung, hat das bequeme Bett in den eigenen vier Wänden gegen die harte Matratze getauscht.

Liste der Landsleute ist lang
Die Liste der Landsleute, die sich der Bewegung angeschlossen haben, ist lang. Da wäre einmal zum Beispiel der heimische Dirigent Sascha Goetzel. Er ist künstlerischer Direktor und Dirigent der renommierten Borusan-Philharmoniker in Istanbul und zumindest eine Woche pro Monat in der Türkei. "Mehrere Musikerkollegen wurden beim Polizeieinsatz auf dem Taksim-Platz teilweise schwer verletzt. Eine mir bekannte Cellistin bekam eine Tränengasgranate ins Gesicht, sie wird bleibende Schäden davontragen", so der Künstler im Gespräch mit der "Krone".

Deshalb habe er sich unmittelbar nach der Eskalation mit anderen Künstlern zu den "Gezi-Parc-Philharmonics" zusammengeschlossen, die dann für die Opfer der Gewalt ein spontanes Konzert gaben. "Wenn die Vorschläge der Regierung im Kulturbereich durchgesetzt werden, würde ein Großteil der Kulturschaffenden im Land seine Existenz verlieren. Die Budgets für Kunst und Musik sollen um 70 Prozent gekürzt werden, das hätte katastrophale Folgen", warnt Goetzel.

Schüler marschieren mit
Auch viele Lehrer und Schüler des rot-weiß-roten St.-Georg-Kollegs in Istanbul haben sich der Bewegung angeschlossen. Ebenso eine Gruppe von jungen Damen aus Wien, die zur Polterparty angereist sind und sich im Dirndl zwischen den Barrikaden solidarisch zeigen. Egal, wie unterschiedlich die Ambitionen sind, eines haben sie alle gemeinsam - die Hoffnung, dass der türkische Frühling im Gezi-Park doch noch das ganze Land aufblühen lässt.

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