Schlampte Fürsorge?

Falsche Vollwaise klagt Land OÖ auf 1,6 Millionen Euro

Österreich
17.08.2011 16:49
Weil er nach dem Zweiten Weltkrieg seiner Mutter weggenommen und fortan als Vollwaise geführt wurde, hat nun ein 65-jähriger Mann eine Klage gegen das Land Oberösterreich eingebracht. Er möchte Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 1,6 Millionen Euro einklagen - für "institutionalisiertes Unrecht". Doch selbst eine solch hohe Summe dürfte die immensen seelischen Wunden, die der Betroffene im Heim erlitten hat, nicht heilen.

Der Mann wurde 1946 als Kind eines US-Besatzungssoldaten und einer Volksdeutschen geboren, die vor Kriegsende vor der Roten Armee aus Ungarn geflüchtet war. Wie er Jahre später von einer Nachbarin erfuhr, wurde er nur wenig später von den Behörden aus der Wohnung seiner Mutter in Waizenkirchen (Bezirk Grieskirchen) in Oberösterreich abgeholt. Der Grund: Weil die Mutter als Alleinerziehende galt, wurde eine Verwahrlosung des Kindes befürchtet.

Die Behörden gaben den Buben in einem Säuglingsheim in Linz ab, wobei die Namen der Eltern laut Bericht genau protokolliert wurden. Das Kinderheim, in das der einjährige Bub 1947 überstellt wurde, übernahm die Personaldaten ebenfalls. Doch Mitte der 1960er-Jahre soll die Jugendfürsorge dann plötzlich von Familienangehörigen nichts mehr gewusst haben. Der Mann wurde im Schriftverkehr als Vollwaise geführt. "Kein Mensch befand es der Mühe wert, nachzuforschen, wo meine Mutter ist", erzählte er.

In Kinderheimen in Oberösterreich missbraucht
Die ersten 18 Jahre seines Lebens verbrachte er in mehreren Kinderheimen in Oberösterreich, wo er missbraucht und misshandelt wurde. Erst nach Jahrzehnten fand er auf eigene Faust seine Mutter. In der Zwischenzeit lebte der heute 65-Jährige als U-Boot in Deutschland, weil er von der Landesfürsorge ohne Pass und Papiere auf die Straße gesetzt worden sei. Jahrelang habe er nur schwarz arbeiten können, weshalb er nun um Pensionsbeträge umfalle.

"Meine individuellen Menschenrechte sind jahrelang auf das Schwerste verletzt worden. Ich war das Opfer eines institutionell ausgeübten Unrechts", betont der 65-Jährige. Ein Vorwurf, den ein Gutachten des Zeitgeschichtlers Horst Schreiber von der Uni Innsbruck untermauern soll. Es zeige die Verflechtungen des Jugendfürsorgesystems der Nachkriegszeit mit dem Nazi-Regime auf.

Finanzielle Geste des Landes ausgeschlagen
Vom Land erhielt der 65-Jährige bereits 20.000 Euro als finanzielle Geste an frühere Gewaltopfer. Nach der Klagsdrohung des Mannes habe ihm Landeshauptmann Josef Pühringer geschrieben und mitgeteilt, dass die Kommission sich seinen Fall noch einmal genau ansehen werde. Auch das Amt der Landesregierung habe sich schriftlich an den Anwalt des nunmehrigen Klägers gewandt.

Doch durch die Klagseinbringung habe sich die Situation geändert. Die Opferschutzkommission des Landes Oberösterreich wird sich mit dem Fall nicht auseinandersetzen, solange es keine gerichtliche Entscheidung gibt, sagte Landespräsidialdirektorin Antonia Licka. Dem Land lag die Klage am Mittwochnachmittag noch nicht vor. Sollte es um die kolportierten 1,6 Millionen Euro gehen, rechne sie "nicht mit sehr hohen Erfolgsaussichten", so Licka.

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