Das freie Wort

Politische Moral als Paradoxon

Betrachtet man die vergangenen Tage, zieht eine Unschuldsvermutung in unserem Land sichtlich schärfere Konsequenzen nach sich, als eine rechtmäßige Verurteilung. Edel soll er sein, der Mensch, hilfreich und gut, und schlecht sind eh immer nur die anderen. Oder wie soll ich mir sonst das Paradoxon unseres Herrn Bundespräsidenten erklären, welcher sich naiv und die Moralkeule schwingend in seiner jüngsten Ansprache über Respektlosigkeiten im politischen Umgang mokiert, dabei komplett vergisst, während seines eigenen Wahlkampfes um die Hofburg damals seinem Kontrahenten live in einer medial übertragenen Diskussion den Scheibenwischer gezeigt zu haben? Im Sand mitverkrochen haben sich auch Silberstein, Mittelfinger und Co. Wiewohl, fast ein jeder weiß, respektvoller Umgang im Miteinander ist ein Muss. Nur, leider nicht durchgehend einhaltbar, und das ist allzu menschlich. Politik ist und war noch nie ein besenreines Terrain, mehr oder weniger Dreck unter den eigenen Nägeln zu haben, gehört seit jeher dazu. So viel Ehrlichkeit muss sein. Eine Hand wäscht schließlich die andere. Wer anderes behauptet, schwindelt sich die Welt grün.

Astrid Atzler, St. Ruprecht an der Raab

Erschienen am Sa, 16.10.2021

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