Ehefrau vergessen

Alzheimer-Patienten gehen neue Beziehungen ein

Wissenschaft
20.11.2007 11:01
Mehr als ein halbes Jahrhundert Ehe lagen hinter Sandra O'Connor (Foto), als sich ihr Mann John für eine neue Frau entschied. Nicht mit Wut und Enttäuschung reagierte die 77-Jährige auf die Nachricht, sondern mit Erleichterung. John O'Connor leidet seit 17 Jahren an Alzheimer, seine Ehe hat er längst vergessen, und in seinem Pflegeheim im US-Bundesstaat Arizona hat er eine romantische Beziehung zu einer Mitpatientin geknüpft.

Sandra O'Connor war bis zum Vorjahr als Richterin am Obersten Gericht eine der mächtigsten und bekanntesten Frauen der USA. Ihr Schicksal weist auf einen schmerzhaften, wenig beachteten Aspekt von Alzheimer hin: Was sollen Angehörige tun, wenn die Erkrankten im Herbst ihres Lebens eine neue Liebe finden?

„Froh, dass Dad nun so entspannt ist“
In der vergangenen Woche ging O'Connors Familie mit der Nachricht an die Öffentlichkeit. "Meine Mutter war einfach nur froh, dass Dad nun so entspannt und glücklich ist und nicht mehr klagt", berichtete Sohn Scott im US-Fernsehen. Lange habe der Vater mit der Erkrankung gehadert, er sei depressiv gewesen und habe an Selbstmord gedacht. Sandra O'Connor werte das Verhalten ihres Mannes nicht als Untreue. Sie habe ihr Schicksal öffentlich gemacht, um anderen Angehörigen in gleicher Situation Mut zu machen. O'Connor selbst war erst im vergangenen Jahr freiwillig aus ihrem mächtigen Washingtoner Amt ausgeschieden, um sich mehr um ihren Mann kümmern zu können.

Menschen mit Demenz brauchen Kontakte
Laut Experten ist es nicht unüblich, dass an Alzheimer erkrankte Menschen neue romantische Verbindungen eingehen. "Auch Menschen mit Demenz brauchen soziale Kontakte, sie wollen ernsthafte Beziehungen", sagt der Alzheimer-Experte Peter Reed von der amerikanischen Alzheimer Association. Ohne eigene Erinnerung an ihre familiäre Vergangenheit verhielten sich die Kranken dann oft wie verliebte Kinder, sie genössen die Nähe und die Möglichkeit, einfach mit einem anderen Menschen Hand zu halten. Es kann aber auch weiter gehen. "Händchenhalten ist ein möglicher Ausdruck von Kameradschaft und Intimität, es kann aber auch körperlicher werden", sagt Reed.

Schmerzhaft für die Angehörigen
Rubin Dessel, die Pflegechefin des Seniorenheims Hebrew Home in New York, weiß aus eigener Anschauung, wie schwer eine solche Situation für Ehepartner und Kinder sein kann. "Wenn die Ehe glücklich war, kann dies außerordentlich schmerzhaft sein, und manche Familien reagieren mit großer Bestürzung", sagt Dessel. "Es geht hier aber nicht um Untreue und Betrug. Alzheimer-Patienten verlieren so viel von ihrer Vergangenheit, dass sie sich an nichts mehr aus ihrem Leben erinnern und nur noch für den Augenblick leben."

Die Kranken leben im Hier und Jetzt
Dessel empfiehlt den Angehörigen, sich um Verständnis für die Bedürfnisse der Kranken zu bemühen. "Die Kranken leben im Hier und Jetzt ohne den Luxus, eine Vergangenheit zu haben." 

Sandra O'Connors Schritt sei "nobel, selbstlos und vorbildhaft" gewesen, lobt Dessel, weil sie das Wohlbefinden ihres Mannes vor ihre eigenen emotionalen Bedürfnisse gestellt habe. Wie häufig solche romantischen Episoden unter Alzheimer-Kranken vorkommen, haben die Wissenschafter noch nicht erfasst. Eines scheint aber klar: Sie werden häufiger, da mit der Alterung der Gesellschaft auch die Zahl der Kranken deutlich wächst.

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