Europa in Sorge

Nach Nein: Wie geht es in Italien jetzt weiter?

Ausland
05.12.2016 05:59

Nach knapp mehr als 1000 Tagen an der Spitze des Landes muss der jüngste Ministerpräsident in der italienischen Geschichte, Matteo Renzi, kapitulieren. Der ambitionierte Sozialdemokrat, der 2014 als "Verschrotter alter Eliten" angetreten war, muss vor der harten Realität resignieren. Mit überwältigender Mehrheit sagten die Italiener am Sonntag Nein zu seiner Verfassungsreform. Umgehend übernahm Renzi die Verantwortung und kündigte seinen Rücktritt an. Wie geht es in unserem Nachbarland nun weiter? Europa jedenfalls blickt mit einem sorgenvollen Auge nach Italien.

Es gibt mehrere Szenarien:

  • Übergangsregierung: Am Montag nimmt Präsident Sergio Mattarella den angekündigten Rücktritt Renzis an und beginnt Regierungskonsultationen. Daran nehmen die Chefs der im Parlament vertretenen Parteien teil. Renzi ist Chef der Demokratischen Partei (Partito Democratico/PD) - stellt sich die Frage, ob er den Vorsitz abgibt oder nicht. Mattarella könnte eine Übergangsregierung einsetzen, die bis zu den nächsten Parlamentswahlen halten soll. Diese müssen bis spätestens 2018 stattfinden.
  • Baldige Neuwahlen: Eine andere Variante: Mattarella könnte Renzis Rücktrittsgesuch annehmen, das Parlament auflösen und schon für das Frühjahr oder den Sommer 2017 Neuwahlen ansetzen. Dies geht jedoch erst, wenn das Wahlrecht komplett reformiert ist. Das Problem: Renzi hat das Wahlrecht im Rahmen seiner Reformpläne schon geändert, es bezieht sich aktuell aber nur auf eine von zwei Kammern, das Abgeordnetenhaus. Die zweite Kammer, den Senat, wollte Renzi entmachten, was aber mit dem Nein im Referendum gescheitert ist.
  • Präsident verweigert Renzis Rücktritt: Mattarella könnte Renzis Rücktrittsgesuch theoretisch auch verweigern. Dann müsste der geschwächte Premier versuchen, eine Mehrheit im Parlament zu bekommen, um weiter regieren zu können. Dieses Szenario gilt aber als unwahrscheinlich.

Populist Grillo drängt auf Neuwahlen
Der Chef der europakritischen Protestbewegung Fünf Sterne, Beppe Grillo, feierte das Nein beim Referendum und den Rücktritt Renzis als "Sieg der Demokratie". Grillo drängte laut Medienangaben sofort auf Neuwahlen. "Adieu Renzi! Die Italiener sollen jetzt so rasch wie möglich wählen", sagte er. Er plane eine Online-Diskussion unter den Anhängern seiner Bewegung über ein Wahlprogramm. Die populistische Partei könnte laut Umfragen mit mehr als 30 Prozent der Wählerstimmen zur stärksten Einzelpartei avancieren.

Rückenwind auch für Salvini und Berlusconi
Rückenwind spürt auch die ausländerfeindliche Lega Nord, die zur stärksten Einzelpartei im Mitte-Rechts-Lager aufrücken will. Lega-Chef Matteo Salvini will an der Spitze einer Mitte-Rechts-Allianz für das Amt des Regierungschefs kandidieren, sollten Neuwahlen ausgerufen werden. Und auch die fast schon totgesagte rechtskonservative Forza Italia um Ex-Premier Silvio Berlusconi hat dank des Referendums-Wahlkampfes für das Nein einen unerwarteten Energieschub erlebt. Nach Jahren der Krise hofft die Partei auf Neuwahlen, bei denen Berlusconi sogar wieder als Spitzenkandidat antreten könnte.

Hollande wünscht Italien "viel Kraft"
Polit-Granden in Europa gaben sich wegen des gescheiterten Referendums in Italien besorgt. Frankreichs Präsident Francois Hollande reagierte mit warmen Worten auf den Rücktritt Renzis. Er respektiere dessen Entscheidung und bringe ihm all seine Sympathie entgegen, sagte Hollande. Renzi habe sich für "mutige Reformen" eingesetzt. Hollande teile den Willen des Italieners, Europa in Richtung Wachstum und Beschäftigung zu orientieren. Er hoffe außerdem, dass Italien "viel Kraft" finde, um diese Situation zu überwinden, so Hollande.

Steinmeier: "Sicherlich kein positiver Beitrag"
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte: "Das ist ganz sicherlich kein positiver Beitrag in einer der schwierigsten Zeiten für Europa." Er blicke "mit Besorgnis" auf das Ergebnis des Referendums, die Regierungskrise in Italien müsse möglichst bald beendet werden. Er glaube, Renzi habe "das Richtige und Notwendige getan, aber er ist dafür von den Wählern nicht belohnt worden".

Kern: "Keine gute Nachricht für Europa"
Bundeskanzler Christian Kern drückte sein Bedauern über den Rücktritt Renzis aus. "Falls Renzi tatsächlich geht, ist das keine gute Nachricht für Europa. Er würde als Partner zur notwendigen EU-Reform sehr fehlen", twitterte Kern.

Asselborn befürchtet Turbulenzen für den Euro
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn erwartete zunächst keine drastischen Folgen für die EU: "Italien hat über eine Reform abgestimmt. Es wäre falsch, das jetzt auf die europäische Ebene zu ziehen. Das war eine innenpolitische Auseinandersetzung." Allerdings befürchtet er Turbulenzen für den Euro, sollte es in Italien eine längere Phase der Unsicherheit geben: "Für den Euro wäre es schlecht, wenn sich die Regierungskrise lange hinzöge."

Wichtigste Verfassungsänderung seit 1945 abgesagt
Die Italiener hatten über eine Verfassungsreform abgestimmt, die das bisherige System zweier gleichberechtigter Parlamentskammern abschaffen und für mehr politische Stabilität sorgen sollte. Die vom Parlament bereits gebilligte Reform galt als wichtigste Verfassungsänderung in Italien seit 1945. Ihr Hauptziel war es, die Zuständigkeiten des Senats stark zu beschränken, um die Gesetzgebung zu beschleunigen und zu vereinfachen. Bislang sind Abgeordnetenhaus und Senat gleichberechtigt und blockieren einander immer wieder gegenseitig.

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