"Krone"-Reportage

Am Stammtisch der “Häfen-Frauen”

Österreich
06.08.2016 16:32

Ihre Männer, ihre Söhne sitzen in Haft. Wie gehen diese Frauen mit ihrem Schicksal um? Sie verdrängen, leiden, hoffen. Fühlen sich oft selbst schuldig. Die "Krone" sprach mit Betroffenen.

Vor wenigen Tagen, in einem Gastgarten in Wien-Fünfhaus: Um einen großen Tisch sitzen, eng aneinandergedrängt, ein Dutzend Frauen und reden über ihr gemeinsames Schicksal. Sie alle gehören einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von Strafgefangenen an. Lisa Führinger (36) hat den "Verein" gegründet. Ihr Ehemann Hannes ist seit 2011 inhaftiert.

"Niemand hat mein Drama verstanden"
Der Inhaber einer Security-Firma hatte damals in Ägypten einen Bewachungsauftrag angenommen. Vier Gewehre befanden sich in seinem Gepäck, verzollt auf dem Flughafen Wien-Schwechat. Doch bei der Ankunft in Kairo wurde er wegen Verdachts des Waffenschmuggels festgenommen und in der Folge zu sieben Jahren Kerker verurteilt. "Damit brach meine Welt zusammen", erinnert sich Führinger.

Zwar gab es Freundinnen, mit denen sie über ihr Drama sprechen konnte, "aber es gab niemanden, der das Ausmaß verstand. Denn das schaffen nur Menschen in ähnlichen Situationen." Daher irgendwann die Idee, Leidensgenossinnen zu suchen, um sich mit ihnen auszutauschen. Die Art, wie sie mit ihren Tragödien umgehen - genauso unterschiedlich wie ihre Geschichten.

Ingrid G., eine Unternehmerin aus Niederösterreich, will sich nicht damit abfinden, dass ihr Sohn in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wurde. "Mein Bub ist nicht psychisch krank", sagt die 52-Jährige. Und: "Er hat nichts Böses gemacht." Die Tat des 30-Jährigen: 2014 hatte er eine Angestellte seiner Eltern mit Mord bedroht und zudem angekündigt, seine Mutter umzubringen. Das Gericht glaubte letztlich den Anschuldigungen der Anzeigerin - und einem Psychiater, der bei dem Physikstudenten eine Persönlichkeitsstörung und paranoide Schizophrenie diagnostizierte.

Die Drohungen einst seien "im Spaß geschehen", meint Ingrid G. "Und sowieso verhält sich mein Bub, wenn ich ihn hinter Gittern besuche, völlig normal." "Normaler" zumindest, als in den letzten Monaten vor seiner Inhaftierung: "Da schien er orientierungslos, saß meist vor dem Fernseher und sah sich Psychothriller an." Das Urteil hält sie für eine Fehlentscheidung, "mein Mann und ich werden dagegen ankämpfen". Wie sich ihr Leben seit der Festnahme des Sohnes verändert hat? "Nichts ist wie früher." Kein Lachen, keine Freude mehr. Nie. "Bloß der Gedanke: Wie helfe ich meinem Kind?"

Ähnlich die Gefühle einer 67-Jährigen, deren Sohn 2015 wegen Doppelmordes schuldig gesprochen wurde. Die Frau hat mittlerweile all ihre Ersparnisse aufgebraucht und jobbt in der Pension als Putzfrau, um Anwaltskosten abzustottern und ihrem "Buben" Geld ins Gefängnis zu schicken: "Damit er sich dort Lebensmittel zukaufen und über Versandhäuser Elektronikartikel bestellen kann."

"Vielleicht trage ich eine Mitschuld"
Ihre Erklärung für sein schreckliches Verbrechen? "Er ist in schlechte Kreise geraten. Und vielleicht trage auch ich eine Mitschuld." Warum? "Als er klein war, hatte ich manchmal zu wenig Zeit für ihn. Weil ich als Alleinerzieherin immer so viel arbeiten musste, um meine Familie über Wasser zu halten."

"Nicht selten", sagt Gefängnisseelsorger Matthias Geist, der - wie Anwältin Astrid Wagner - den Mitgliedern der Selbsthilfegruppe mit Ratschlägen zur Seite steht, "befinden sich die Partnerinnen und Mütter von Tätern in einer schlimmeren seelischen Situation als die Einsitzenden selbst. Weil sie denken, sich für ihre inhaftierten Angehörigen aufopfern zu müssen und eigene Bedürfnisse völlig hintanstellen."

Wie eine 54-Jährige, deren Gatte vor zwölf Jahren ein grauenhaftes Blutverbrechen begangen hat. Ihr einziges Ziel: "Ihm beizustehen in seiner schwierigen Lage." Ihm zuliebe hat sie ihre Stelle und den Mietvertrag für ihr Haus gekündigt und in der Nähe der Justizanstalt, in der er einsitzt, ein neues Dasein begonnen: "Denn er soll spüren, dass ich in seiner Nähe bin." Menschen aus ihrem Umfeld verstehen ihr Handeln nicht, "aber das ist mir egal".

"Viele meiner Freunde haben sich von mir abgewandt, seit ich mit Jürgen in einer Beziehung bin", erzählt Nicole G. 2008 prügelte Jürgen H. einen alten Mann zu Tode. Urteil: Lebenslang. Außerdem wurde er von Gerichtspsychiatern für hochgradig geistig abnorm und brandgefährlich erklärt.

"Jürgen hat die Tat im Vollrausch begangen. Er wusste also gar nicht, was er Schreckliches anrichtete." Ohnehin sei er zum Zeitpunkt seines Delikts "ein Anderer gewesen". Die 35-jährige Kellnerin kennt Jürgen H. erst seit Oktober 2015. "Damals hat mich eine Kollegin zu einem Besuch bei ihm mitgenommen. Sofort habe ich mich in ihn verliebt." Warum in ihn - in einen Schwerverbrecher?

"Der wundervollste Mann auf der Welt"
"Ich sehe ihn als das, was er wirklich ist: Der wundervollste Mann, den es auf dieser Welt gibt." Bald wollen die beiden heiraten. Im Gefängnis. "Aber irgendwann wird er freikommen - und dann werden wir ein wundervolles Leben haben."

Nicole G. hat den Abend in der Selbsthilfegruppe genossen. "Weil es beruhigend ist, mit Frauen zu sprechen, die mich verstehen."

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