120.000 Flüchtlinge

EU-Innenminister setzen Umverteilung durch

Ausland
22.09.2015 17:46
Gegen den Widerstand mehrerer osteuropäischer Länder haben die EU-Innenminister am Dienstag per Mehrheitsvotum die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen in Europa beschlossen. Die Entscheidung sei bei dem Sondertreffen "durch eine große Mehrheit von Mitgliedsstaaten" gefasst worden, teilte die luxemburgische EU-Ratspräsidentschaft am Dienstag via Twitter mit.

Gegen die Umverteilung von Flüchtlingen aus stark belasteten Ankunftsländern wie Italien und Griechenland hatte sich bis zuletzt eine Reihe osteuropäischer Staaten gewehrt. Der tschechische Innenminister Milan Chovanec twitterte, Tschechien, die Slowakei, Rumänien und Ungarn hätten gegen den Vorschlag der EU-Kommission gestimmt, Finnland habe sich der Stimme enthalten. Polen, das die Umverteilung kritisch sieht, stimmte laut Diplomaten nun doch dafür.

Die Vereinbarung wurde somit mit qualifizierter Mehrheit, also nicht einstimmig, getroffen. Der Streit um die Umverteilung blockiert seit Monaten ein abgestimmtes Vorgehen der Europäer in der Flüchtlingskrise. Nach einem gescheiterten Innenministertreffen in der vergangenen Woche hatte unter anderem Deutschland für die nächste Sitzung mit einem Mehrheitsbeschluss gedroht.

Diplomaten bestätigten, dass die EU-Innenminister einen Beschluss mit qualifizierter Mehrheit fassten. "Es ist keine perfekte Einigung", hieß es von einem Ländervertreter. "Aber sie ermöglicht es uns, an den Problemen zu arbeiten, denen wir gegenüberstehen."

Mikl-Leitner: "Notfalls mit Mehrheit entscheiden"
Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hatte sich vor der Sitzung bereit gezeigt, notfalls auch mit Mehrheit zu entscheiden: "Es braucht hier ein Ergebnis, es braucht eine Lösung, denn so kann es nicht weitergehen." Nach der Sitzung sagte Mikl-Leitner, die Entscheidung über die Quotenverteilung sei ein großer Schritt gewesen: "Wir wissen, dass wir uns alle in einer Ausnahmesituation befinden." Alle wollten schließlich wieder zum Normalzustand zurückkehren.

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere hatte betont, Europa könne es sich nicht leisten, keinen Beschluss zu fassen. Nach der Sitzung sagte er, alle EU-Länder in einer "besonderen Notsituation" könnten eine Entlastung beantragen. Wichtig sei eine Vereinbarung zur Vermeidung von Sekundärmigration, sagte der Minister. Demnach müssen Flüchtlinge in dem EU-Land bleiben, dem sie zugeteilt wurden. Der Beschluss zur Umverteilung sei "ein wichtiger Baustein" im Vorgehen gegen die Flüchtlingskrise, sagte de Maiziere. Die Entscheidung sei "ein erster Schritt, weitere werden und müssen folgen". Zu einer Lösung gehöre aber auch "die Begrenzung des Zuzugs nach Europa" sowie entschlossene Abschiebungen von "nicht schutzbedürftigen Personen", sagte der Minister.

Die Idee, dass sich EU-Staaten von der Pflicht zur Aufnahme freikaufen könnten, fand demnach keine Unterstützung. Frankreich und Deutschland seien absolut dagegen gewesen, sagte de Maiziere: "Es kann kein Geschäft geben: Geld gegen Flüchtlinge."

Osteuropäische Minister unzufrieden
Die meisten osteuropäischen Minister zeigten sich nach dem Beschluss unzufrieden: "Der gesunde Menschenverstand hat heute verloren", schrieb der tschechische Innenminister Milan Chovanec auf Twitter. Er sprach von einer "leeren Geste".

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico ließ in einer Reaktion wissen: Solange er Regierungschef sei, würden in der Slowakei keine Flüchtlingsquoten umgesetzt. Der Mehrheitsbeschluss sei ein beispielloser Vorgang in der Geschichte der EU. Die Länder, die die Quoten "unsinnigerweise" durchsetzten, hätten einen tiefen Graben gezogen.

"Auch Ungarn muss Migranten aufnehmen"
Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, in den kommenden beiden Jahren 120.000 Flüchtlinge aus den stark belasteten Erstankunftsländern Italien und Griechenland sowie auch aus Ungarn über verbindliche Quoten auf die anderen EU-Staaten zu verteilen. Ungarn als Quotengegner lehnte es für sich aber ab, entlastet zu werden, sodass nun Italien und Griechenland stärker entlastet werden sollen.

Ob sich Ungarn tatsächlich dieser Regelung entziehen kann, ist fraglich. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sagte nach dem Treffen, Ungarn habe genau wie alle anderen Staaten "seine Zahl an Personen auf seinem Territorium zu verteilen": "Auch Ungarn muss Migranten aufnehmen." Asselborn verteidigte zudem den Mehrheitsbeschluss: "Wenn wir das nicht getan hätten, wäre Europa noch mehr gespalten gewesen und seine Glaubwürdigkeit wäre unterminiert worden." Luxemburg hat derzeit den EU-Ratsvorsitz inne.

"Ein positives Signal"
In Österreich wurde der Mehrheitsbeschluss wohlwollend aufgenommen. Werner Kerschbaum, der Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes: "Der Mehrheitsbeschluss ist ein positives Signal, ein Schritt in die richtige Richtung. Aus humanitärer Sicht ist uns eine permanente und verbindliche Quotenregelung ein wichtiges Anliegen - das sollte der nächste Schritt sein." Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin des Europaparlaments und Delegationsleiterin der österreichischen Grünen, bezeichnete die Entscheidung als "längst überfällig": "Es ist gut, dass die Innenminister der anderen EU-Mitgliedsstaaten dieser Erpressungspolitik nicht länger nachgegeben haben."

Insgesamt geht es um die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen innerhalb Europas. Die Umsiedlung von 40.000 Menschen ist bereits - auf freiwilliger Basis - beschlossen.

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