Frankreich geschockt

Dreifacher Familienvater als grausamer Attentäter

Ausland
27.06.2015 10:04
Vorstrafen hatte er keine, mit seiner Familie führte er ein zurückgezogenes Leben, seinen Nachbarn fiel er nicht sonderlich auf. Jetzt spricht ganz Frankreich voller Grauen über Yassin Salhi. Der 35-Jährige soll den Anschlag auf eine Industrieanlage nahe der ostfranzösischen Stadt Lyon verübt - und am Zaun des Geländes den abgetrennten Kopf seines getöteten Arbeitgebers befestigt haben. Er handelte offenbar alleine.

Den Sicherheitsbehörden war er schon früher aufgefallen, doch offenbar wurde seine Gefährlichkeit unterschätzt. Bereits 2005 und 2006 wurden die französischen Geheimdienste auf den Mann aufmerksam, dessen Vater algerischer und dessen Mutter marokkanischer Abstammung war. Er hatte Kontakt zu einer Gruppe radikaler Islamisten, als Eiferer fiel er aber nicht auf, wie ein Ermittler sagte. 2006 wurde er auf eine Liste verdächtiger Personen gesetzt, zwei Jahre später aber wieder aus dem Register gestrichen.

2013 dann wurden die Sicherheitsbehörden wieder auf den Mann aufmerksam, wieder gab er sich mit mutmaßlichen Islamisten ab. Damals trug er ein langes Männergewand und einen Bart, wie ihn Salafisten tragen. Innenminister Bernard Cazeneuve sagte am Freitag, Salhi habe Verbindungen zur "salafistischen Bewegung" gehabt. Mit verbotenen Aktivitäten wurde er aber nie in Verbindung gebracht, vorbestraft war der Mann, mit seinem Auto auf das Fabriksgelände eindrang und seinen Chef enthauptete , nicht.

"Er war ein ruhiger Typ"
Im ostfranzösischen Pontarlier, wo Salhi vor 35 Jahren auf die Welt kam, wurde mit Ungläubigkeit auf die Nachrichten von der Tat reagiert. "Er war ein ruhiger Typ", erinnerte sich der Vorsitzende der Moschee der nahe Besançon gelegenen Stadt, Nacer Benyahia. "Es war eine Freude, ihn in der Moschee zu haben, er war angenehm." Benyahia zufolge verlor Salhi bereits als Jugendlicher seinen Vater, mit seiner Mutter zog er später aus Pontarlier weg. "Er war einsam, er war wahrscheinlich das perfekte Ziel für die Radikalen, die ihre Beute aussuchen", sagte der muslimische Geistliche.

Mit seiner Frau und seinen drei Kindern zog Salhi später nach Besançon. 2014 schließlich siedelte die Familie nach Saint-Priest über, einen Vorort der Großstadt Lyon. Sie bezog dort eine Wohnung im ersten Stock eines Sozialbaus.

"Ihre Kinder spielten mit meinen"
Nachbarn sprachen von einer "diskreten" Familie, die ein ruhiges Leben führte. "Ihre Kinder spielen mit meinen, sie sind absolut normal und liebevoll", sagte eine Frau. "Er sprach mit niemandem, wir sagten uns nur 'Guten Tag' und 'Guten Abend'", berichtete ein anderer Nachbar. Salhis Kleidung sei nicht auffällig gewesen, er habe nur einen "kurzen Bart" getragen. Ein junger Mann sagte, in der Moschee von Saint-Priest habe er Salhi nie gesehen.

Die Frau des mutmaßlichen Attentäters wurde am Freitag festgenommen - zuvor hatte sie aber noch ein Radio-Interview gegeben und sich fassungslos über die Vorwürfe gegen ihren Mann gezeigt. "Mein Herz bleibt stehen", sagte sie auf Europe 1. "Wir sind normale Muslime, wir machen den Ramadan. Wir haben drei Kinder, ein normales Familienleben." Sie wüsste nicht, warum ihr Mann ein Attentat hätte verüben sollen. Auch die Schwester des Mannes wurde festgenommen.

"Man wird wieder Muslime verantwortlich machen"
Vor den Ermittlern steht nun eine gewaltige Arbeit, sie müssen die Radikalisierung des Mannes nachvollziehen, mögliche Komplizen und Hintermänner suchen. Und entschlüsseln, wie aus einem ruhigen Familienvater offenbar ein kaltblütiger Attentäter wurde. Erst am Abend verlässt ein Trupp Polizisten mit verschiedenen Säcken die Wohnung.

Auch auf dem Werksgelände der US-Firma, wo der Anschlag passierte, ist die Spurensicherung tätig. Männer in weißen Schutzanzügen passieren die Absperrungen, Mitarbeiter einer psychologischen Eingreifgruppe kümmern sich um die geschockten Mitarbeiter von Air Products. Der Täter wurde dort mit seinem Kleintransporter problemlos eingelassen, weil er dort als Lieferfahrer bekannt ist. "Wir fürchten, dass man jetzt wieder alle Muslime dafür verantwortlich macht", sagt eine andere Frau in der Rue Alfred de Vigny. "Und dass wir noch häufiger als bisher beschimpft und angegriffen werden." Ein Mordanschlag am Freitag im heiligen Monat Ramadan - die Frau schüttelt den Kopf: "Das kann doch kein gläubiger Mensch sein."

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