Dieter Böhmdorfer amtierte unter Schüssels schwarz-blauer Regierung. Er befürchtet durch die neue Regelung erst recht politische Willkür. Der Rechtsanwalt mit FPÖ-Nähe verteidigt die aktuelle Konstellation.
Die größte Justizreform der letzten Jahrzehnte ist angerichtet. Eine von der Politik unabhängige und weisungsfreie Bundesstaatsanwaltschaft soll es geben. So wie fast überall in Europa üblich. Details werden noch verhandelt zwischen ÖVP/SPÖ und NEOS. Im Herbst soll eine Zweidrittelmehrheit im Parlament absegnen. Doch wer kontrolliert? Wer nominiert? Auch sind diese Fragen innerhalb der Koalition nicht unumstritten.
Die „Krone“ hat dazu den früheren Justizminister unter Schwarz-Blau 1 und Anwalt Dieter Böhmdorfer nach seiner Einschätzung gefragt. Er übt heftige Kritik. Er fragt generell, ob das derzeitige System tatsächlich reformbedürftig sei. Dieses sehe Staatsanwälte an die Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe gebunden und nach dem bestehenden Verfassungssystem der Verwaltung zugeordnet.
Berichtspflicht wie in der Wirtschaft
Böhmdorfer verweist auf den AKH-Skandal aus 1979. „SPÖ-Justizminister Christian Broda versuchte, mit ca. 20 Weisungen das Strafverfahren gegen seine Parteifreunde zu beeinflussen. Das war einer der größten Skandale in der Justizgeschichte, danach ist ein ähnlicher Missbrauch des Weisungsrechtes nicht einmal andeutungsweise bekannt.“
Die StA sei hierarchisch organisiert, das Weisungsrecht diene dem Zweck, die Ankläger bei gleichen Sachverhalten zu gleichen rechtlichen Maßnahmen zu verhalten. „Der Wegfall des Weisungsrechtes ist aus diesem Winkel schlichtweg nicht denkbar.“ Zur monokratischen Führung diene auch die Berichtspflicht. „In der Praxis gilt für die Staatsanwälte genau dasselbe wie für die Wirtschaftsbetriebe: Wer seine Aufgaben kennt und ihnen gewachsen ist, hat kein Problem, auch kurzfristig sinnvoll zu berichten und das gemeinsame weitere Vorgehen mit dem oder der Weisungsberechtigten festzulegen.“
„Das ist eine Scheindiskussion“
Böhmdorfer: „Beim Wegfall des Weisungsrechtes und der Berichtspflicht würden Willkür und Chaos zur Leitlinie staatsanwaltschaftlichen Handelns werden.“ Die angeblich notwendige Trennung zwischen justiziellen Entscheidungen und Politik sei eine Scheindiskussion. Neben Vertretern von Staatsanwaltschaften und Anwälten sieht auch Böhmdorfer u.a. die Dreierkonstellation an der Spitze der Bundesstaatsanwaltschaft kritisch. „Hier zerrinnt die Verantwortlichkeit. Meiner Meinung nach droht mit der Einführung der Bundesstaatsanwaltschaft die Institutionalisierung der Parteipolitik in einem der sensibelsten Bereiche des Rechtsstaates.“
Damit stößt der frühere FPÖ-Minister freilich nicht auf allgemeine Begeisterung. Viele namhafte Juristen und auch Institutionen betonen seit langer Zeit die Notwendigkeit einer weisungsfreien höchsten Staatsanwaltschaft. Das Thema dürfte die Republik noch weiter intensiv beschäftigen. Vor allem, wenn es um die sogenannten clamorosen Fälle geht.
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