Fast 200.000 Bezüge

Erste Studie zur Mindestsicherung veröffentlicht

Österreich
25.10.2012 15:46
Das Sozialministerium hat am Donnerstag erstmals eine Studie mit konkreten Zahlen zur bedarfsorientierten Mindestsicherung veröffentlicht. Seit der Einführung der BMS im Herbst 2010 wurde demnach ein Anstieg bei den Anträgen festgestellt, jedoch unter den prognostizierten 30 Prozent. Von den "arbeitsfähigen" Mindestsicherungs-Empfängern konnte mehr als ein Drittel wieder vermittelt werden. Laut der Statistik ist der häufigste BMS-Bezieher weiblich, alleinerziehend und lebt in Wien. 27 Prozent der Bezieher sind übrigens Kinder und Jugendliche.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer hob bei der Präsentation der von ihm in Auftrag gegebenen Studie am Donnerstag vor allem die steigende Erwerbsintegration hervor. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass durch die Mindestsicherung mehr Sozialhilfeempfänger wieder in die Arbeitswelt reintegriert werden könnten.

Die Untersuchung anhand der Auswertung von Daten des AMS und der Sozialversicherungen sowie rund 100 Interviews mit Behördenvertretern und AMS-Praktikern zeigt aber ebenso, dass die Gruppe der Mindestsicherungsbezieher von "multiplen Problemlagen" geprägt ist, die es häufig erst zu überwinden gilt, um überhaupt an eine Rückkehr ins Arbeitsleben denken zu können. (Die vollständige 156-Seiten-Studie als PDF gibt es hier.)

193.276 Bezüge im Jahr 2011
Insgesamt haben 2010 177.068 Personen bzw. Haushalte die BMS bezogen, 2011 waren es 193.276. Laut Ministerium ist dies ein Anstieg, die Werte sind jedoch nur bedingt vergleichbar, da nach dem alten Sozialhilfe-System bis September 2010 in einigen Fällen Personen als ein Haushalt gezählt wurden, seit 2011 aber nur mehr Einzelpersonen erfasst werden und damit z.B. auch Kinder, die die Mindestsicherung indirekt über die Eltern beziehen. Insgesamt liege der Anstieg weit unter den prognostizierten 30 Prozent.

Von den aktuellen Beziehern sind rund 35 Prozent beim AMS vorgemerkt, 20 Prozent haben eine Beschäftigung mit geringem Einkommen und werden über die Mindestsicherung teilunterstützt. Zwölf Prozent sind gänzlich arbeitsunfähig oder bereits im Pensionsalter, 27 Prozent sind Kinder und Jugendliche. Weitere sechs Prozent sind pflegende Angehörige oder Mütter mit Kleinkindern.

28 Prozent der Empfänger Nicht-Staatsbürger
Knapp 28 Prozent der BMS-Bezieher haben laut Ministerium keine österreichische Staatsbürgerschaft. Die Studie zeigt aber, dass die Nicht-Österreicher im Vergleich zu den Staatsbürgern grundsätzlich bessere Ergebnisse bei der Beschäftigungsentwicklung vorweisen konnten, eine "schnellere" Erhöhung der Erwerbsintensität bzw. des Stundenausmaßes in den neun Monaten Beobachtungszeitraum, so das Ministerium.

"Arbeitsfähige" BMS-Bezieher gab es seit der Einführung rund 92.000, davon konnten bis zum heurigen September 32.841 Personen wieder vermittelt werden. Dies entspricht einer Erfolgsquote von über einem Drittel (knapp 36 Prozent). Fast zwei Drittel der Wiedervermittelten waren aber zuvor teilunterstützte Personen, also BMS-Empfänger, die zwar einer beruflichen Tätigkeit nachgingen, damit jedoch keinen Lebensunterhalt bestreiten konnten und daher Anspruch auf Unterstützung gemäß Mindestsicherung hatten.

Weiblich, alleinerziehend und in Wien zuhause
Wer sind die BMS-Empfänger? Rund 58 Prozent der Bezieher leben in Wien und sind eher weiblich. Frauen stellen nämlich 40 Prozent der Bezieher dar, Männer 33 Prozent, 27 Prozent sind Kinder und Jugendliche, die geschlechterneutral gezählt werden. 42 Prozent der Kinder leben übrigens in Alleinerziehenden-Haushalten.

Sieht man sich die BMS-Bezieher nach Haushalten an, so entfallen 63 Prozent der Haushalte auf Alleinlebende, von denen sich der Großteil (83 Prozent) unter dem Pensionsalter befindet. 16 Prozent der Haushalte sind Ein-Eltern-Haushalte, weitere 16 Prozent der Haushalte entfallen auf Paare.

BMS-Empfänger mit "Rattenschwanz an Problemen"
Bei den "multiplen Problemlagen", von denen in der Studie die Rede ist und die vor allem vollunterstützte BMS-Bezieher betreffen, werden u.a. Langzeitarbeitslosigkeit, "Fehlen von Tagesstrukturen", fehlender Schul- oder Lehrabschluss, Suchtproblematik, Schuldenproblematik, mangelnde Sprachkenntnisse und funktionaler Analphabetismus, fehlende Mobilität sowie prekäre Wohn- und Sozialverhältnisse (z.B. wegen familiärer Gewalt) aufgezählt.

Die AMS-Praktiker schilderten den Studienautorinnen Claudia Sorger und Nadja Bergmann, dass zwar viele der BMS-Bezieher laut Gutachten "arbeitsfähig" seien, aber aufgrund der Probleme nicht "job-fähig". Für die Mitarbeiter des Arbeitsmarktservice hat die Mindestsicherung eine neue Kundengruppe gebracht. "Das sind viele Personen, die früher nicht gekommen wären - viele Ältere und viele Personen, die offensichtlich schon lange nicht mehr in Kontakt mit dem Arbeitsmarkt waren, auch psychisch kranke Menschen", lautet ein Zitat aus einem der Interviews in der Studie.

Ein anderer AMS-Mitarbeiter bringt es in einem Vergleich mit seinen "herkömmlichen" Kunden auf den Punkt: "Kaum jemand, der nur ein Problem hat. Es ist ein Rattenschwanz an Problemen. [...] Es ist alles etwas schlechter als bei anderen."

Kaum Missbrauchsfälle, Sanktionen schwierig zu handhaben
In Sachen Missbrauch und Sanktionen gibt es in der Studie positive, aber keine eindeutigen Signale. Missbrauch ist laut den Autorinnen bei den AMS-Praktikern praktisch kein Thema, da die Prüfkriterien bei der Beantragung mehr als eindeutig seien. Die Zuerkennungsquote liegt je nach Bundesland zwischen 55 und bis zu 98 Prozent. In der Bundeshauptsstadt Wien, wo die meisten Anträge eingehen, werden zwischen 50 und 70 Prozent der Anträge bewilligt. Hundstorfer beziffert die Missbrauchsfälle mit "null bis fünf Prozent".

Bei den Sanktionen sieht es etwas anders aus. Hier gibt die Studie fünf bis zehn Prozent an, da die Datenlage unvollständig sei. Die BMS-Empfänger verlieren die Unterstützung teilweise oder sogar ganz, wenn an sich arbeitsfähig sind, aber sich weigern, einen Job anzunehmen. In diesem Fall sperrt dann das AMS die Leistungen, die Auszahlungen reduzieren oder verweigern müssen aber die zuständigen Sozialbehörden. Diese sehen sich wiederum mit viel Bürokratie konfrontiert, z.B. wenn es bei einem zu sanktionierendem Bezieher Kinder oder Partner im Haushalt gibt. Häufig würde nach Einzelfall entschieden, heißt es in der Studie.

Mehr Unterstützung und Qualifikationsmaßnahmen gefordert
Sorger und Bergmann sehen freilich auch Optimierungsbedarf: Beratungs- und Betreuungseinrichtungen sollten flächendeckend ausgebaut werden, sozialarbeiterische Unterstützung müsse sichergestellt werden. Darüber hinaus sind spezifische Ansätze für Ältere (über 45 Jahre) sowie Personen mit Gesundheitsproblemen notwendig. Einer der wichtigsten Punkte laut der Expertinnen ist die Schaffung weiterer Qualifizierungsangebote für BMS-Bezieher.

Für Hundstorfer sind die beiden letzten Punkte die wesentliche Erkenntnis aus der Evaluierung: Qualifikation sei wichtig, vor allem für Jugendliche. Es sollten etwa Maßnahmen forciert werden, damit Betroffene den Hauptschulabschluss nachholen können.

Die Mindestsicherung
Die Mindestsicherung wurde im September 2010 gestartet. Sie brachte ein Mindestniveau für Sozial- und Notstandshilfe in der Höhe der Ausgleichszulage, also der sogenannten Mindestpension (derzeit 814,82 Euro; für Paare 1.221,68 Euro). Anspruch haben all jene, die Lebensunterhalt, Wohnbedarf und Krankenversicherung nicht finanzieren können und "die zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind". Eigenes Vermögen muss bis zu einem Freibetrag von 3.720 Euro aufgebraucht werden, bevor die Unterstützung bezogen werden kann. Voraussetzung ist Arbeitswilligkeit.

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