Bomben-Opfer

300 Nähte bei Not-OP: “Mädchen von Beirut” hat überlebt

Ausland
23.10.2012 12:57
Bei dem verheerenden Autobomben-Anschlag in der libanesischen Hauptstadt Beirut am Freitag ist ein besonders dramatisches Foto um die Welt gegangen: Ein Mann trägt ein blutüberströmtes Mädchen, leblos in seinen Armen liegend, durch das Explosions-Chaos. Bei der Verletzten handelt es sich um die zehnjährige Jennifer Shedid. Sie stand am Fenster, als die Bombe vor dem Wohnhaus ihrer Familie in die Luft ging. Jennifer überlebte, der Splitterregen hinterließ jedoch Wunden an ihrem gesamten Oberkörper, die mit insgesamt 300 Stichen genäht werden mussten.

Die Aufnahme des Fotografen Hussein Malla (siehe weitere Bilder oben), auf der ein Nachbar die schwer verletzte Jennifer wenige Minuten nach der Explosion auf die Straße trägt, um bei den Einsatzkräften Hilfe zu finden, wurde am Wochenende auf der ganzen Welt gezeigt und abgedruckt. Ein Reporterteam der Associated Press spürte das Mädchen drei Tage nach dem Attentat in Beiruts christlichem Viertel Ashrafiyeh, bei dem der libanesische Geheimdienstchef und Syrien-Kritiker Wissam al-Hassan und sieben weitere Menschen getötet wurden, auf der Intensivstation auf.

"Sie zitterte am ganzen Körper"
Jennifer war am Freitag fünf Minuten vor der Detonation von der Schule nach Hause gekommen. Sie stand am Küchenfenster in der elterlichen Wohnung im vierten Stock und hatte gerade ihre ältere Schwester gefragt, was es denn zu essen gebe, als draußen ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug explodierte. Die Druckwelle ließ das Fenster zerbersten, mitten im Scherbenhagel stand Jennifer.

Die Zehnjährige erlitt am ganzen Oberkörper Schnittwunden, an mehreren Stellen an ihren Armen hatten die Splitter Venen aufgeschlitzt. Jennifers Vater Richard war zum Zeitpunkt der Explosion im Treppenhaus, die ältere Schwester in einem Nebenzimmer. Beide waren nur leicht verletzt, hörten Jennifers Schreie und fanden sie blutüberströmt und übersät mit Glassplittern vor dem Wohnzimmer-Sofa. Die Druckwelle der Bombe hatte das Mädchen ein Zimmer weiter geschleudert. Von draußen hörte er bereits die Sirenen der Einsatzkräfte. "Sie zitterte am ganzen Körper, als ich sie hinuntertrug", schildert Richard Shedid.

"Ich sah sie an - und es brach mir das Herz"
Ein Nachbar der Shedids übernahm das Mädchen auf der Straße - ihn fotografierte dann Hussein Malla - und übergab sie an einen Soldaten, der Jennifer in den Rettungswagen hob. Im Operationssaal des Krankenhauses brauchten die Ärzte mehrere Stunden, um die Dutzenden Blutungen an Jennifers Körper zu stillen und die Wunden zu vernähen. Ingesamt 300 Nähte, 90 davon im Gesicht und am Kopf des Mädchens, waren nötig.

Bis Montag früh wurde die Zehnjährige im künstlichen Tiefschlaf gehalten. Aufgrund der hohen Schmerzmitteldosis sei sie auch jetzt noch benommen, aber bei Bewusstsein, so Jennifers Mutter Nisrin. Die Frau befand sich zum Zeitpunkt der Explosion am anderen Ende der Stadt und kam erst ins Krankenhaus, als Jennifer bereits operiert wurde. "Ich sah sie an - und es brach mir das Herz", so die Mutter der Zehnjährigen.

Die Ärzte gehen davon aus, dass sich Jennifer von den schweren Verletzungen nahezu vollständig erholen wird. Narben werden jedoch an ihrem ganzen Körper verbleiben und sie ewig an die Bombenexplosion vom 19. Oktober 2012 erinnern.

Steckt Syrien hinter dem Anschlag auf al-Hassan?
Im Libanon herrscht indes weiter Sorge, dass der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien auch das eigene Land in einen Strudel der Gewalt hineinziehen könnte. Am Wochenende war es mehrmals zu gewalttätigen Ausschreitungen bei Protesten gegen die pro-syrische Regierung des Libanon gekommen. Armee und Sicherheitskräfte griffen hart durch. Auslöser der Gewalt war freilich das Attentat auf Geheimdienstchef al-Hassan vom Freitag. Dieser gehört wie die meisten Aufständischen in Syrien zu den Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung. Dagegen wird die pro-syrische Regierung im Libanon von der schiitischen Hisbollah dominiert.

Nach dem Anschlag kam ans Licht, dass mehrere Parlamentarier der Zukunftsbewegung des sunnitischen Ex-Ministerpräsidenten Saad Hariri per SMS Todesdrohungen aus Syrien erhalten hatten. Al-Hassan war zum Zeitpunkt des Attentats auf dem Weg zu einem der Parlamentarier, um mit ihm über diese Drohungen zu sprechen.

Hinter dem Mordanschlag auf al-Hassan vermutet die anti-syrische Opposition den Versuch des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, das kleine Nachbarland in den Bürgerkrieg hineinzuziehen. Auch Frankreich hat eine Beteiligung Syriens an dem schwersten Anschlag im Libanon seit der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri 2005 als wahrscheinlich bezeichnet. Die USA helfen den libanesischen Behörden mit einem FBI-Ermittlerteam bei der Suche nach den Drahtziehern des Attentats.

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