Dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz gelingt es in der Debatte um mögliche Taurus-Lieferungen an die Ukraine und dem Abhörskandal in der Bundeswehr nicht, sich aus der Affäre zu winden. Befeuert durch russische Propaganda könnte eine Schwäche von Scholz aber nun zum Bumerang werden, so ein Experte.
Der Kreml spiele ein „riskantes Spiel“, analysierte der Russland-Experte Alexander Friedman gegenüber ntv. Dabei spielt er vor allem auf die Veröffentlichung des abgehörten Gesprächs mehrerer Offiziere der Bundeswehr an, die dabei teils dilettantische Sicherheitsvorkehrungen des deutschen Militärs offenbarten.
Die große offene Frage ist jedoch, warum Russland nun ausgerechnet diesen Aspekt öffentlich transportiert; ist doch ohnehin schon längst bekannt, dass Deutschland als Unterstützer der Ukraine auch die Krim-Brücke zerstört sehen will – und ein Einsatz des Taurus-Systems dies ermöglichen könnte.
Ablenkungsmanöver zum passenden Zeitpunkt
„Man hat sofort ein Bild des Zweiten Weltkrieges vor Augen, es wird behauptet, die Deutschen wollen jetzt da weitermachen, wo ihre Vorfahren im Zweiten Weltkrieg angefangen haben“, interpretiert der Historiker die Propaganda. Dies passe genau in die Erzählung, dass man sich in einem Konflikt mit der westlichen Welt befinde – dass Deutschland hierbei als „Speerspitze“ dargestellt wird, schließt dabei an die ohnehin vorbelastete Historie der beiden Länder an, so der Experte.
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung sei dabei wohl keineswegs ein Zufall gewesen. Just am Tag des Begräbnisses des Kremlkritikers Alexej Nawalny sei dies ein gutes Ablenkungsmanöver gewesen–mittels Influencern hätte man dabei versucht, ein Bild zu konstruieren, dass Deutschland selbst einen Angriff auf Russland vorbereite.
Riskantes Spiel auf zwei Ebenen
Russland betreibe dabei aber just gleich auf zwei Ebenen ein riskantes Spiel, so Friedmann weiter. Einerseits kommt Scholz in dem geleakten Gespräch der Offiziere mit seiner Taurus-Blockade nicht gut weg, wodurch sich seine Meinung, das System doch an die Ukraine zu liefern, ändern könnte.
Andererseits würde ihn eine solche Entscheidung in der Bevölkerung wohl noch unbeliebter machen: Zerfällt dadurch in weiterer Folge die Ampel-Koalition, würde aus derzeitiger Sicht wohl die Union die nächste Regierung anführen – deren Position ist ohnehin bekannt. Man würde wohl, ohne mit der Wimper zu zucken, Taurus an die Ukraine liefern, analysiert der Experte.
Putin hält sich selbst für größten Experten
Das taktische Problem der Russen? Putin hält sich wohl selbst für den wichtigsten Deutschland-Experten im Land – er ließe sich deshalb in der Frage auch nicht von Fachleuten beraten, meint Friedman. Tatsächlich befeuere er in der deutschen Bevölkerung auch eine Angst eines Krieges mit Russland – nicht zuletzt die andauernden Atomdrohungen würden dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen.
Atomdrohungen? Kreml verfolgt eher kurzfristige Ziele
Entsprechende Warnungen solle man auch ernst nehmen, zieht der Experte gar den Vergleich mit Hitler, der etliche seiner Verbrechen schon in den 1920er-Jahren angekündigt hatte–und dann Taten folgen ließ. Das primäre Ziel Russlands sei aber schlicht, die europäische Gesellschaft einzuschüchtern–der Kreml denke aber nicht sonderlich strategisch, so Friedman. Vielmehr verspreche man sich mit der Propaganda wohl eher kurzfristige Erfolge.
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