„Das Kalkül ist ...“

Warum jetzt? Was Putins Attacke auf Scholz verrät

Ausland
05.03.2024 22:11

Olaf Scholz muss gerade etwas tun, das er äußerst ungern macht: sich erklären! Der deutsche Bundeskanzler wird von Wladimir Putins Abhör-Angriff zunehmend in die Enge getrieben. Und dabei wird immer klarer, worum es beiden Seiten in der Taurus-Debatte wirklich geht.

Der deutsche Bundeskanzler will von Taurus-Marschflugkörpern nichts mehr hören. Kein Wunder, denn in der Debatte macht er eine desaströse Figur. Nach monatelangen Anfragen hat der Sozialdemokrat in der vergangenen Woche endlich im Detail erklärt, warum er das Waffensystem der Ukraine nicht zur Verfügung stellen möchte.

Die Halbwahrheiten des Olaf Scholz
Dabei sind ihm gleich mehrere Dinge gelungen: Zum einen hat der Deutsche zwei NATO-Verbündete bloßgestellt. Großbritannien und Frankreich würden aktiv dabei mithelfen, Langstreckenraketen in russische Ziele zu lenken, behauptete Scholz zur Entrüstung vieler bei einem Medientermin.

Zum anderen stützte er auf dieser brandgefährlichen Aussage sein zweites, halbgares Argument: Die Ukraine könne ohne deutsche Unterstützung das Taurus-Waffensystem gar nicht bedienen.

London und Paris widersprechen. Und jetzt wird es besonders peinlich: Ein von Russland mitgeschnittener Plausch zwischen hochrangigen Bundeswehrsoldaten zerlegt sein Konstrukt ebenfalls. Nach wenigen Wochen Training wäre Kiew sehr wohl in der Lage, die Marschflugkörper ohne deutsche Beteiligung zu steuern.

Die Basta-Ansage
Und jetzt? Jetzt macht Scholz dicht, von Putins Abhör-Coup düpiert und in die Enge getrieben. Bei einem Schulbesuch in Sindelfingen (Baden-Württemberg) am Montag fragte ein Schüler den vorgeführten Kanzler: „Führung bedeutet, dass man auch mal ein Machtwort spricht. Warum tun Sie das nicht?“ Es ist der berühmte Tropfen zu viel. 

Ein Machtwort habe er doch gerade gesprochen. Kontrolle sei das Stichwort. Es könne doch nicht sein, dass man ein Waffensystem liefere, das sehr weit reiche, und darüber nicht nachdenke. Und dann wiederholt er: Wenn man die Kontrolle haben möchte und das nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, sei das für ihn ausgeschlossen. „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das!“ Aus, Schluss, basta.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, wird im deutschen Kanzleramt großgeschrieben. Scholz hat offenbar Angst, dass Kiew die Taurus ohne deutsche Leitplanken Richtung Moskau schicken würde. Davor hat selbst Putin Respekt, sind sich Experten einig. Das erkläre auch den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Mitschnitts. „Das Kalkül hinter der Veröffentlichung ist, dass der Kanzler sich in seiner Position eingräbt. Anstatt auf seine eigenen Offiziere zu hören, hat Scholz genau das gemacht und mit Basta reagiert“, erklärt Norbert Röttgen, CDU-Politiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, auf Anfrage.

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Als Signal gegenüber Moskau ist das verheerend, weil es zeigt, dass russischer Druck bei uns wirkt.

(Bild: AFP)

Norbert Röttgen

Die russischen Propaganda-Maschinen laufen seit dem Abhörskandal heiß. Es wird gelogen, verzerrt und gedroht. Deutschland plant einen Angriff auf Russland, lautet die übergeordnete Schlagzeile. Berlin entgleitet zunehmend die von Scholz herbeigesehnte Kontrolle.

Putin gibt das Thema vor
Die Kanzler-Pannenshow der vergangenen Tage sei laut Röttgen folgenschwer. „Als Signal gegenüber Moskau ist das verheerend, weil es zeigt, dass russischer Druck bei uns wirkt“, führt der CDU-Mann gegenüber krone.at aus. Das „Leak“ bestätige, dass Scholz mit Blick auf die Einsatzmöglichkeiten von Taurus-Marschflugkörper gelogen habe.

Deshalb sei der Mitschnitt so „brisant“. Röttgen: „Es untergräbt seine Glaubwürdigkeit zu Hause und lässt ihn nach außen schwach aussehen.“

Röttgen macht der SPD schwere Vorwürfe: 

Verteidigungspolitiker und Ex-Bundeswehr-Oberst Roderich Kiesewetter (CDU) gibt darüber hinaus zu bedenken: „Zugleich hat es Russland geschafft, damit die Aufmerksamkeit abzuziehen vom wahrscheinlich größten Spionageskandal der deutschen Geschichte, Wirecard und von den Trauerbekundungen für Nawalny, wo Zehntausende Russen auf den Straßen sind, und Putin versucht, das Feindbild des Westens im Vorfeld der Scheinwahlen zu prägen.“

„Propaganda“ nach innen
Es gehe um „Propaganda“, die vor allem nach innen gerichtet sei. „Davon sollten wir uns in Deutschland keinesfalls beeinflussen lassen“, erklärte Kiesewetter gegenüber krone.at. Scholz dürfe sich nicht „abschrecken“ lassen. Das Motto müsse in Bezug auf Taurus heißen: nicht „as long as it takes“, sondern „whatever it takes“.

Fest steht: Putin zwingt Scholz seine eigene Argumentationslinie auf. Der Bundeskanzler hat durch den Mitschnitt sein Nein zur Taurus-Lieferung viel öfter erklären müssen, als er es geplant hatte. Ergo: Der Weg zurück zu einem Ja wird immer länger. „Russland hat mit der Veröffentlichung zwar Einsicht in seine Spionagemethoden gegeben, das Verhindern der Taurus-Lieferung ist für Russland aber wichtiger“, teilte Russland-Experte Gerhard Mangott schriftlich mit. 

Zudem sei laut Mangott der Militärische Abwehrdienst und die Bundeswehr auf internationaler Bühne bloßgestellt. Berlin ist hier um Schadensbegrenzung bemüht. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) geht mittlerweile davon aus, dass die geheimen Kommunikationswege der Bundeswehr nicht „kompromittiert“ wurden. Viel mehr handle es sich um einen russischen Zufallstreffer, weil ein Bundeswehr-Offizier in Singapur über ein „offenes Netzwerk“ an der Schalte teilgenommen habe.

Sehr beruhigend klingt das nicht. Wie also weitermachen? Für Röttgen ist der Weg vorgezeichnet: „Das einzig sinnvolle Vorgehen wäre jetzt, argumentativ aufzuräumen und gegenüber Putin Stärke zu zeigen, indem wir der Ukraine geben, was sie braucht: Taurus-Marschflugkörper.“

Keine „Ewigkeitsansage“
Aus SPD-Kreisen heißt es zudem, dass des Kanzlers Nein kein „definitives“ sei. Es handle sich nicht um „Ewigkeitsansagen“. Die Ampel-Partner FDP und Grüne sprechen sich ohnehin mehrheitlich für eine Taurus-Lieferung aus. Scholz wird derweil nicht müde, zu betonen, dass Deutschland nicht zur Kriegspartei werden dürfe. Doch Russlands Abhör-Propaganda-Show der vergangenen Tage zeigt: Für den Kreml sind sie es längst!

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