Am dritten und letzten Tag des diesjährigen Frequency-Festivals fuhren die Veranstalter noch einmal alles auf – von der Gangstarap-Limousine bis zum Bierzelt-Traktor. Insgesamt feierten an allen Tagen 135.000 Fans eine Party, die vor allem gegen die tropischen Temperaturen anzukämpfen hatte.
Unter der Bezeichnung „Kraut und Rüben“ versteht man grob gesagt eine wilde Mischung oder ein chaotisches Durcheinander. Vereinfacht kann man es auch mit Frequency Festival übersetzen. Die musikalische Range der etablierten Festivität umfasst mittlerweile alle musikalischen Breitengrade und lässt überhaupt keine Struktur mehr erkennen. Das passt der jüngeren Generation natürlich gut. Sie ist nicht mit einzelnen Alben, sondern mit Spotify-Playlists aufgewachsen und braucht klangliche Vielseitigkeit wie die Luft zum Atmen. Die Grätsche zwischen Acts wie Aurora, Bonez MC, Tommy Cash und den Fäaschtbänklern ist trotzdem eine wagemutige, die man sich woanders wahrscheinlich nicht so schnell zutrauen würde. Das ist in der Theorie durchaus mutig, in der Praxis zuweilen aber ziemlich anstrengend.
Nordische Kühle im St. Pöltner Sommer
Nachdem die Chilenin Ana Tijoux als exotischster Act des Festivals gegen die brütend heiße Sommersonne angesungen hatte, zieht sich für eine Sekunde ein kalter Schauer über die Space Stage. Mit Aurora betritt eine der aktuell spannendsten Pop-Acts Europas die Bühne. Die Norwegerin tanzt sich barfuß und elfengleich in Ekstase und lässt sich schon nach relativ kurzer Zeit zu einem sympathischen „Danke schön, ich liebe euch“ auf Deutsch hinreißen. Am hinteren Bühnenende sind Totenschädel aufgebaut, auf der Videowall erstrahlt sie mit Messer auf der Zunge auf blutrotem Hintergrund und in ihrer ehrlichen, zutiefst ungefilterten Art spricht sie über die Menstruation und entschuldigt sich dafür, dass sie rülpsen muss. Zwischen ballernder Technodisco und sanft-balladesken Momenten wird die gesamte Klaviatur des zumeist melancholischen Electropop bedient. Ein Triumphzug der Eiskönigin im Sonnenbad.
Unterdessen macht sich der estnische Song-Contest-Starter und Publikumsliebling Tommy Cash fertig, um seinen großen Festivaleinsatz auf der Green Stage nicht zu verpassen. Modisch wählt er dafür ein Sakko mit unterschiedlichen Bildern seines Gesichts drauf, sein DJ kommt mit „I Love Wien“-Sticker nach St. Pölten, der Sound und der Großteil der Stimmen aus der Konserve. Wer Cash erst heuer durch den ESC-Hit „Espresso Macchiato“ kennengelernt hat, traut anfangs seinen Augen und Ohren nicht. Im Vollkaracho feuert er mithilfe von absurd-skurrilen Visuals Techno- und Beat-Hits sonderzahl von der Bühne. „Pussy Money Weed“, „Untz Untz“ oder „Ass & Titties“ heißen die vorgetragenen Kapitel, dazu ballern die Boxen und im Publikum bilden sich erste Moshpits. Zwischen dem „echten“ Tommy Cash aus dem Electro-Rap-Underground und dem Song-Contest-Cash liegen mehrere Welten – das haben heute viele Leute gelernt und zumeist für gut befunden. Ob das auf Dauer für größere Erfolge reicht, wird sich weisen. Zumal sich die Frage nach der wahren musikalischen Identität stellt – wo ist sie denn nun verortet?
Falsch geparkt
Während Bonez MC vor einer durchaus amtlichen Kulisse Mitglieder der Straßenbande 187 wie etwa Gzuz (dessen Doku gerade frisch auf Amazon Prime läuft) auf die Bühne holt, um Berliner Gangsta-Rap-Flair über den Green Park zu bringen, lässt sich der österreichische Durchstarter Bibiza vor einer nicht überbordend großen Kulisse auf der Green Stage feiern. „Eine Ode an Wien“, „Tanzen“ und „Opernring“ hatten live aber auch schon einmal mehr Feuer. Erneuter Wechsel rüber zur Space Stage. Dort versammeln sich zahlreiche Schaulustige und ein paar Handvoll echte Fans, um einer ganzen Armada an Musikern auf der Bühne beim fröhlichen Bierzeltmusikantentum anzufeuern. Die Schweizer Fäaschtbänkler sind mittlerweile so etwas wie halbeingebürgertes Bierkrugstemmgut, das sich bis zum Ausstellen eines österreichischen Reisepasses gut gelaunt und unaufhaltbar über Berg und Tal fidelt. Wie man diese Combo im Line-Up zwischen Bonez MC und Willi Smith parken konnte, wissen die Veranstalter wahrscheinlich selbst nicht so genau.
Die ersten zwei bis drei Nummern sind noch durchaus humorig. Die Bläsersätze sorgen für ein amtliches Klangerlebnis, der Oberkrainer-Volksmusiksound rutscht noch nicht gar so wild ins Seichte und die Lieder sind mit dem partiell vorkommenden Schweizer Dialekt ganz humorig. Je länger aber das besonders in ruralen Gebieten immens erfolgreiche Gespann über die Bühne poltert, umso heftiger machen sich Fluchtgedanken breit. Von Queen („We Will Rock You“) und Eiffel 65 („Blue“) über Falco („Rock Me Amadeus“) bis hin zu ABBA („Dancing Queen“) vergenusszwergeln die Eidgenossen alles, was ihnen vor die Saiten und Trompeten kommt. Heraus stülpt sich ein musikalisches Gewölle, das so laut und vehement nach der nächsten Maß Bier schreit, als würde ab morgen alles Hopfengold der Welt abgeschafft sein. Der Unterhaltungseffekt ist groß, noch schwerer wiegt aber jener der Geduld. Bei aller Liebe für die musikalische und stilistische Vielseitigkeit des Frequency – das fröhliche Bratwürstel-Kollektiv ist beim „Woodstock der Blasmusik“ wesentlich besser aufgehoben und muss nicht auf Biegen und Brechen in jedes Line-Up gepresst werden.
„Krone“-Gewinner bei Will Smith dabei
Nach einer kurzen Umbauphase rückt der namentlich größte Top-Star des Festivals näher. Hollywood-Legende Will Smith unterzeichnete im Vorfeld schon am Schwechater Privatflughafen brav Autogramme und begrüßte am Festivalgelände vorab seine „Men In Black“ herzhaft. Diese rekrutierten sich mitunter auch aus „Krone“-Gewinnspiel-Gewinnerinnen, die mit anderen Personen einen Auftritt zum Song „Man In Black“ gewonnen haben - natürlich stilecht mit Anzug, Sonnenbrille und einer kräftigen Portion Coolness. Bis es so weit ist, müssen aber noch einige Songs in den Publikumsbereich gepulvert werden. Mit „Gettin‘ Jiggy With It“, dem Klassiker „Miami“ und einem herzhaften „Boom! Shake The Room/Brandnew Funk“ legt Smith gewaltig los. Dieses Energielevel kann er natürlich nicht auf Langstrecke halten, weshalb er nach einem richtig flotten Entertainment-Start erst einmal etwas Zeit zum Durchatmen braucht.
Dazwischen kommen immer wieder Hollywoodreferenzen ins Spiel und Smith spielt mit guter Laune und sichtlich erfreut seine Hits runter. Nostalgiker erfreuen sich an den fröhlichen Klängen von „Yo Home To Bel-Air“. Mit dem Les Reed-Cover von „It’s Not Unusual“ sorgt er für eine kräftige Portion Soul und beim Reggae-Klassiker „Bad Boys“ gibt es sowieso kein Halten mehr. Es sind nicht viele, aber sehr treue Fans da, die ihrem Helden bei seiner Österreich-Premiere zujubeln und sich von der sympathisch holprigen Show mitnehmen lassen. Gegen Ende hin spricht er auch den Elefanten im Raum an und verwendet für die Erinnerung an seinen Oscar-Fauxpas (die Watsche für Chris Rock) Begriffe wie „peinlich“ oder „beschämend“. Gleichzeitig bedankt er sich bei seinem Publikum für den Zuspruch und holt – kein Scherz – tatsächlich seinen 2021 für seine Rolle in „King Richard“ gewonnenen Original-Oscar aus einer schwarzen Tasche und setzt zum pathetischen Heldenposing an. Ein schräger, aber kurzweiliger Auftritt, der mit nonchalant gespieltem Rap wenigstens wieder zur Popkultur zurückkehrte.
Das nächste Frequency naht bereits
Vor dem obligatorischen Abschlussfeuerwerk beschließt der norwegische DJ Kygo das dreitägige Festival mit bekömmlichen und radiotauglichen House-Nummern samt Lasereffekten und dicken Bässen. Die gute Nachricht für all jene, die das Frequency vermissen – das Wochenende hat gerade erst begonnen. Und die nächste Ausgabe des Festivals steht auch schon vor der Tür. Von 20. bis 22. August 2026 geht das nächstjährige Event im St. Pöltner Green Park über die Bühne. U.a. mit Acts wie Kraftklub, Ski Aggu, SDP oder BBNO$ – unter www.frequency.at und www.oeticket.com gibt es noch weitere Infos und Hinweise, wie man zu den Early-Bird-Karten kommt.
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