Großes Comeback

Intimspray: Der Sauhaufen ist jetzt wild geordnet

Musik
01.03.2024 09:00

Vor 40 Jahren eroberten die österreichisch-deutschen Intimspray mit Neuer Deutscher Welle, Punk-Gestus und gesellschaftskritischen Texten den Mainstream. Nach einer langen Pause haben sich die honorigen Herren wieder zusammengefunden und wollen es mit dem neuen Album „Die Butter“ noch einmal wissen. Ein Gespräch über endlose Gier, Gemeinschaft und die Kunst, gleichzeitig zu reifen und neugierig zu bleiben.

(Bild: kmm)

In der heutigen Zeit ist es kaum noch vorstellbar, dass eine Anarcho-New-Wave-Combo in einer Jugendzeitschrift wie der „Bravo“ abgefeiert wird. Vor etwas mehr als 40 Jahren war das stinknormal. Das österreichisch-deutsche Kollektiv Intimspray veröffentlichte 1982 ihr gleichnamiges Debütalbum und eroberte damit vor allem den süddeutschen Markt. Im „Bayrischen Rundfunk“ wurde das gesellschaftskritisch-dadaistische Werk als „Platte des Monats“ gefeiert, live überzeugte man in den Münchner Clubs Whynot und Marienkäfer genauso wie im legendären Hamburger Onkel Pö (wo auch die EAV mit Gert Steinbäcker am Mikro einst brillierte) in der Züricher Roten Fabrik oder im Wiener U4. Die Band rund um den aus Tirol stammenden Frontmann Heinz D. Heisl war mit der Mischung aus Neuer Deutscher Welle, Reggae und Post-Punk immens populär. Idole wie Gang Of Four färbten klanglich auf das Quartett ab, dank der damals nihilistischen Aufbruchstimmung riss man für einige Monate lang alle Wände ein.

Plötzlich war Party
Frei nach dem alten Motto „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ lebte das Kollektiv von 1979 bis 1984 gerne auf der Überholspur, implodierte dann aber - die Rock-Historie ist voll von diesen Geschichten - an finanziellen Unzulänglichkeiten und unterschiedlichen Ansichten und Visionen. „Damals flüchtete ich von der Musik für fünf Jahre in ein Bergdorf“, rekapituliert Frontmann Heisl im „Krone“-Interview“ das barsche Ende der Combo, „zuerst habe ich gar nichts gemacht, doch nach einem halben Jahr fing die Mühle im Kopf zu rattern an. Ich begann Texte zu schreiben und so kam eins zum anderen.“ Heisl wurde zum gerne gelesenen Schriftsteller und Buchautor und machte in Literaturkreisen seine künstlerische Karriere. Die Musik wurde irgendwo, weit hinten, als Hobby betrieben, verschwand aber aus dem Realitätskosmos des Tausendsassas. Bis zu einer verhängnisvollen Party im Jahr 2018, wo sich die einstigen Intimspray-Musiker zusammenfanden und zum Gaudium der Gäste spontan ihren alten Song „In leeren Räumen“ intonierten.

„Wir waren wirklich erstaunt, wie leicht uns das von der Hand ging und wie viel Spaß wir hatten. Wir haben uns gesagt, wir probieren es jetzt einfach noch einmal.“ Drei Viertel der Originalbesetzung waren sofort wieder motiviert, am Schlagzeug fand ein Generationswechsel statt, der zum jungen Daniel Homolka führte. Der treibt die rüstigen Eben-Nicht-Rentner nicht nur ordentlich an, sondern glänzt auch mit frischen Ideen in der Produktion. „Als Schlagzeuger ist für mich eigentlich vieles ein No-Go, was aber den klassischen Intimspray-Sound ausmacht“, lacht Homolka, „mit meinem Denken und den Vorstellungen durch meine Ausbildung musste ich oft zurückstecken. Heinz findet gerade Fehler super und darauf bauen wir auf. Obwohl die Band relativ alt ist, ist der Sound recht aggressiv und jung.“ Nach der 2021 veröffentlichten EP „Religion“ haben sich Intimspray Zeit genommen und 42 Jahre nach dem Debüt tatsächlich ein neues Album eingespielt. „Die Butter“ glänzt dabei mit Gesellschaftskritischem, Ironischem und Doppelbödigem und ist angesichts der aktuellen Weltlage inhaltlich nahtlos an das weit zurückliegende Debüt angelehnt.

Im Buttersee ersoffen
„Den einen wird heute die Butter vom Brot genommen, die anderen haben Angst davor, dass sie ihnen heruntergenommen wird - obwohl so viel drauf ist, dass sie fast daran ersticken“, erklärt Heisl das Konzept metaphorisch, „ein Typ wie René Benko ist förmlich im Buttersee ersoffen.“ Die neuen Kompositionen mäandern zwischen Ska-Feeling, Punk-Attitüde und schwungvollem Reggae-Gestus. Es geht um Klimakatastrophen, die Gier der Reichen und gesellschaftliche Ungleichgewichtung. Getragen sind die Songs natürlich von Heisls Texten. Beim ersten Album war der Zugang „die Not des Kreativen“, nun hat er dreieinhalb Jahrzehnte Schriftsteller-Karriere im Rücken und einen dementsprechend anderen Zugang zur Materie. „Heinz ist da sehr streng“, schmunzelt Homolka, „wenn sich ein Text nicht ausgeht, wird oft das ganze Lied verworfen. Es gibt bei uns einen ganzen Friedhof an Liedern, an denen wir tagelang gearbeitet haben, die dann aber gekippt wurden, weil der Text nicht dazu passte.“

Mit der Ungezwungenheit, durch Intimspray keinen Lebensunterhalt verdienen und niemandem mehr etwas beweisen zu müssen, geht ein federleichter Ruck durch die Band, der sich auch in den schwungvollen Kompositionen widerspiegelt. Textlich bleibt man relativ offen, die inhaltliche Grundausrichtung ist in Songs wie „Gravediggers“, „We Believe“ oder „Geht sich das noch aus“ dennoch leicht zu eruieren. „Auf dem Album steckt auch ein bisschen der Geist der Fehlfarben“, so Heisl, „ich kenne Peter Hein relativ gut und schätze ihn als Sänger und Texter sehr. Vor allem das erste Fehlfarben-Album ist eine gute Vorlage, auf die wir gerne zurückgreifen.“ Dass man nicht nur die Klassiker von früher - mit teilweise adaptierten Texten - spielen möchte, war dem Frontmann früh klar. „Es ist nett, die alten Hadern zu spielen, aber das kann nur eine Basis sein, auf die man aufbaut. Wir sind heute doch merklich reifer und klüger als damals.“

Heute kein Sauhaufen mehr
Dass die Band als solche funktioniert, ist selbst für Heisl eine „Sensation für sich“. Homolka kann das Wiederfinden der alten Kumpane aus einer distanzierteren Perspektive gut analysieren. „Sie haben mittlerweile verstanden, dass man Typen wie sie sonst nirgends findet und sonst auch nie so zusammenstellen könnte. Ich glaube, dass sie früher gar nicht so das Bewusstsein für sich hatten. Es war ein Sauhaufen mit Alkohol, Drogen und all den Versuchungen. Heute lastet nicht mehr so viel auf den Schultern von Heinz alleine, das macht die Sache runder.“ Heisl musste auch erst wieder den Weg in die Musik finden. Heute, mit 72, ist er motivierter als je zuvor. „Ich habe mich lange geweigert, wieder ein Instrument in die Hand zu nehmen - mittlerweile bin ich überglücklich, dass ich mich dahingehend überwinden konnte. Wir kommunizieren frei miteinander, alle Musiker in der Band sind hoch motiviert und mit Feuereifer dabei. Man tauscht sich aus und ist miteinander verbunden. Das gab es bei uns früher so nicht.“

Von der treuen Fanbase zum Comeback vor ein paar Jahren, ist Heisl noch heute begeistert. „Beim ersten Gig im Wiener Chelsea war tatsächlich ein Fanclub aus Heidelberg da - das war unglaublich.“ Nicht zuletzt der Zuspruch einer kleinen, aber feinen Masse animiert die Band dazu, sich im x-ten Frühling zwar nicht von Sojamilch und Tofu zu ernähren, aber doch als gereifte und überlegte Truppe noch einmal ernsthaft am heimischen Musikmarkt mitzumischen. „Wir klangen immer wie eine englische Band, wie unsere Idole, die ich teilweise selbst kennenlernen durfte“, erzählt Heisl. Dass so mancher Punk aus den 80er-Jahren heute schwer konservativ ist, ging nicht an ihm vorbei. „Manche sind nicht so gut gealtert. Vielleicht optisch, aber wohl nicht geistig.“ Heinz D. Heisl verspürt auch als Mittsiebziger noch das Bedürfnis, für eine Zukunft einzustehen und sich nicht aufzugeben. Diese Widerborstigkeit ist nicht zuletzt prägend für Intimspray als Band. „Wir bieten auf ,Die Butter‘ viel Abwechslung und Spannung. Genau das fehlt mir heute bei vielen Bands.“

Doppelte Albumpräsentation
Wie viel Energie noch in den älteren Herren von Intimspray steckt, das zeigen sie nicht zuletzt morgen, am 2. März. Dort stellen sie ihr Album „Die Butter“ gleich zweimal vor. Um 13.30 Uhr beim renommierten „Vinyl & Music Festival“ Open-Air in der Ottakringer Brauerei und dann abends noch bei der offiziellen Album-Release-Show im Wiener Rhiz mit Laut Fragen, Phil Schoenfelt und Band Of Heysek. Weitere Konzerte in Österreich werden folgen.

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