"Krone"-Interview

Pirat Alexander Ofer: “Wir sind der leuchtende Punkt”

Österreich
21.04.2012 16:00
Er lebt von Sozialhilfe, raucht ab und zu einen Joint und entert als erster Pirat eine Stadtregierung. Im Interview mit Conny Bischofberger erzählt der Tiroler Alexander Ofer, welchen Kurs er in Innsbruck künftig einschlagen will.

Mit suchendem Blick kommt Alexander Ofer (38) ins Innsbrucker Café "Central". Turnschuhe, schwarze Lederjacke, ein Piraten-Leiberl. "Gestern hab' ich so viele Telefon-Interviews gegeben, dass ich nicht einmal mehr weiß, welchen Medien", lacht der Tiroler und bestellt sich eine riesige Käsesahne. Es blitzt Stolz aus seinen hellblauen Augen.

Lange lässt er die Torte stehen, um sich dann – fast dankbar – jeden Bissen auf der Zunge zergehen zu lassen. "Sowas konnte ich mir in den letzten Jahren nicht leisten", erklärt der Sozialhilfe-Empfänger, der als erster Pirat Österreichs den Einzug in den Innsbrucker Gemeinderat geschafft hat.

Seine Wähler entstammen der Facebook-Generation, sein Kurs ist die direkte Demokratie. Mit Webcam oder Smartphone will er News künftig direkt aus dem Sitzungssaal posten. Aber auch witzige Details, zum Beispiel eingenickte oder Nasen bohrende Mandatare.

"Krone": Herr Ofer, was hätten wir gesehen, wenn Sie uns in Ihre Wohnung gelassen hätten?
Alexander Ofer: Ach, eine chaotische Junggesellenbude. 40 Quadratmeter mit kleiner Küche, Abstellkammerl und einem Fernseher, der am Kaputtgehen ist. Unterm Sofa Wollmäuse und im Tiefkühler verkochtes Hackfleisch für mehrere Wochen. Kein Haustier.

"Krone": Sie sagen das, als täte es Ihnen leid.
Ofer: Ich mag Tiere gern. Ich hätte mir immer gerne diese kleinen Krebse von der NASA gekauft, die leben in einer Biosphäre und ernähren sich von Algen. Es gibt sie für 270 Euro, aber für solche Spielereien hatte ich nie das Geld. 270 Euro sind für mich fast ein Monatsgehalt. Wobei ich ja arbeitsunfähig bin.

"Krone": Wollen Sie erzählen warum?
Ofer: Ich kann's ja sagen, es ist eine paranoide Schizophrenie. Ich bin medikamentös eingestellt, aber für unser System seit zehn Jahren auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar. Bis 2006 hatte ich einen Sachwalter. Dann habe ich mir selber eine Ausbildung zum Webmaster finanziert. Vom AMS hab' ich nix bekommen, die haben gesagt: Wozu sollen wir einen umschulen, der nicht vermittelbar ist? Dafür war ich in einer Schizophrenie-Studie drin, wo ich nicht einen Cent bekommen habe. Alle vier Wochen bin ich gequält worden mit Fingerstechen und Blutabnehmen und Traubenzucker trinken, mit Fett-Tests und Abnehmen und allem Möglichen. Das haben sie dann meiner Krankenkasse verrechnet, mit 800 Euro pro Monat.

"Krone": Von wie viel Geld haben Sie gelebt?
Ofer: Von der Mindestsicherung. Davon sind mir 300 Euro im Monat geblieben. Da sitzt man eremitenhaft zuhause, in einer depressiven Wohnung, auf einer durchgesessenen Couch. Aber ich hatte immer verrückte Ideen. Einmal hab ich den Wirtschaftskammer-Preis für die beste Geschäftsidee gewonnen. Ich dachte schon, das sei der Weg heraus aus dem Tief. Aber ich bin enttäuscht worden. Seit sechs Jahren engagiere ich mich bei den Piraten.

"Krone": 1.884 Innsbrucker haben Ihnen bei den Gemeinderatswahlen ihr Vertrauen geschenkt. Warum wählen diese Leute einen Unbekannten?
Ofer: Unterschätzen Sie nicht das Internet! Da wurde ein Interview mit mir über 1.000 Mal geklickt. Auf Facebook haben die Piraten 900 Mitglieder und 500 Likes. Wir haben einen großen E-Mail-Verteiler. Das summiert sich dann irgendwie. Dann kommt noch Twitter dazu und Google+, und die Mundpropaganda in meinem Bekanntenkreis. Also so unbekannt bin ich gar nicht. Von den 1.884 waren 1.400 sogar Bürgermeisterstimmen.

"Krone": Wer hat Ihnen gratuliert?
Ofer: Nur die Grünen auf Facebook. Das hab' ich gleich geliked.

"Krone": 50.000 haben aber gar nicht gewählt. Kann man da noch von Erfolg sprechen?
Ofer: Wir haben sehr spät mit dem Wahlkampf angefangen. Ein paar rote Flyer, ein Plakat - und das war's. Wir wussten nicht einmal, ob wir die 100 Unterstützungserklärungen überhaupt zusammenbekommen. Aber die Piraten haben Potential. Ich hoffe, es wird wie in der Computerbranche sein, dass wir uns alle sechs Monate verdoppeln. Ich schätze, dass wir bei den Landtagswahlen auf acht Prozent kommen.

"Krone": Sie sind künftig einer von 40 Gemeinderäten in der Innsbrucker Regierung. Wie wollen Sie verhindern, dass man Ihnen da gleich die Schneid' abkauft?
Ofer: Das wird sicherlich passieren. Aber wir haben sehr viele Sympathisanten in der Gemeinde sitzen, Beamte und so. Von denen werde ich mir den einen oder anderen Tipp holen. Denen stehe ich ja viel näher als die höheren Chefs. Wir richten auch sofort eine Piraten-Volksanwaltschaft ein. 35 Klienten haben sich schon angemeldet. Und mein Büro will ich Jugendlichen zur Verfügung stellen, die dort, unterstützt von freien Redakteuren, von einer Greenbox aus journalistisch arbeiten. Eine Art Medienwerkstatt.

"Krone": Übertragen Sie die Debatten dann über Webcam ins Netz?
Ofer: Wir haben's vor. Einerseits stehen die Gemeinderäte unter Schweigepflicht. Andererseits sind die Sitzungen öffentlich. Also, wir müssen uns das Stadtrecht noch anschauen. Aber es kann mich keiner hindern, dass ich auf meinem Samsung Note twittere, was gerade im Sitzungssaal läuft.

"Krone": Keine Angst, Schiffbruch zu erleiden?
Ofer: Ich habe ein dickes Fell. Das ist mir als Kellner gewachsen, da musst du robust sein. Runterschlucken, freundlich bleiben! Egal was kommt. Das beherrsche ich perfekt.

"Krone": Wofür steht denn Ihre Partei überhaupt?
Ofer: Das ist einfach zu beantworten. Die Piraten wollen ein neues politisches System etablieren. Sie sind für gerechte Demokratie, für Transparenz und Freiheit.

"Krone": Dabei vertrauen sie auf Schwarmintelligenz. Das Wissen vieler ist wichtiger als die Meinung weniger Menschen?
Ofer: Genau. Ich vergleiche Schwarmintelligenz gerne mit dem Publikumsjoker bei der Millionenshow. Der Publikumsjoker liegt praktisch nie daneben. Außer er verstößt gegen die Grundrechte. Dann würden wir nicht darüber abstimmen lassen.

"Krone": Haben Sie das Publikum auch gefragt, ob Sie mit der Kronen Zeitung reden sollen?
Ofer: Nein, aber die Schwarmintelligenz wäre sicherlich dafür gewesen. Ist ja gute Werbung.

"Krone": War es richtig von den deutschen Piraten, einen Rechten in ihren Reihen zu dulden?
Ofer: Ich finde schon. Die meisten sind ja deshalb rechts, weil sie sehen: Der Rechtsstaat greift nur bei den Armen durch, aber die Reichen kommen frei, egal was sie anstellen, wie viele Millionen sie unterschlagen. Ein Kleiner hingegen wird schon wegen Peanuts für zehn Jahre verknackt, nur weil er eventuell gerne eine Tüte raucht!

"Krone": Stichwort "Tüte" - Sollte Haschisch legalisiert werden?
Ofer: Es sollte entkriminalisiert werden. Es kann nicht sein, dass einer alles gefährdet, nur weil er in einer gemütlichen Runde statt einem Bier mal einen Joint raucht. Fast 80 Prozent aller Menschen haben schon mal was geraucht oder rauchen regelmäßig.

"Krone": Sie auch?
Ofer: Gelegentlich. Wenn in einer netten Runde was herumgeht, sage ich natürlich nicht nein.

"Krone": Pirat kommt ja aus dem Griechischen. Peirates heißt: "Wagnis, Unternehmen, Überfall."
Ofer: Ja, das passt gut! Wir sind ja auch überfallsartig über die Innsbrucker hereingefallen, nicht? Wir rauben den Politikern den letzten Nerv (lacht). Nein, im Ernst, wir wollen sie mit dem Rückenwind der Bevölkerung überzeugen.

"Krone": Wollen die Piraten auch regieren oder wollen sie nur Unruhe stiften?
Ofer: Es geht nicht ums Regieren. Es geht ums Mitreden. Und eigentlich wollen doch alle mitreden. Diese Möglichkeit wolleu-Grün-Schwarz, wo stehen Sie da?
Ofer: Wir sind der weiße, leuchtende Punkt in dem Viereck. Wir wollen die anderen überstrahlen mit unserer Idee, Entscheidungen, Gesetze und Reformen gemeinsam mit dem Volk zu machen, das Finanzsystem zu vereinfachen. Ich bin für eine Flat-Tax von zehn Prozent, weil ich sage: Lieber zehn ehrliche Prozent von jedem als der Höchststeuersatz von einigen, die noch viel, viel mehr hinterziehen. Steuer, Steuer, Steuer, ja, was wollt ihr noch alles von uns? So reden die Leute mittlerweile.

"Krone": Welchen von den etablierten Politikern schätzen Sie?
Ofer: Keinen. Weil sie nie ehrlich sind. Sie lachen dir ins Gesicht und lügen dich glatt an. Viele verdrängen, dass es so ist. Vor allem Tiroler, das sind starke Gewohnheitstiere, die eigentlich keine Veränderung wollen. Wenn es aber eine Plattform gibt, auf der sie mitgestalten können, dann werden sie sich vielleicht wieder für Politik - nicht für Politiker - interessieren.

"Krone": Wie tickt denn so ein Pirat ganz persönlich?
Ofer: Er hat schon ein Revoluzzer-Gen. Wutbürger ist vielleicht zu viel. Aber ein Pirat ist freiheitsliebend, ehrlich und direkt. Nicht lange herumreden, sondern einfach sagen, was man meint. Das finde ich piratig.

"Krone": Sie sind auch Vater einer 14-jährigen Tochter, die mit ihrer Mutter in München wohnt. Was sind Sie für ein Vater?
Ofer: Ich bin ihr Ein und Alles. Wenn sie hier in Tirol ist, passt alles. Ich wäre gern wesentlich öfter bei ihr, aber ich konnte mir bisher die Fahrt einfach nicht leisten. Als Gemeinderat verliere ich ja die Mindestsicherung und werde 1.789 Euro pro Monat verdienen. Da ginge sich sogar ein kleines Auto aus.

"Krone": Aber?
Ofer: Aber ich habe in Deutschland ein Fahrverbot, weil ich einmal mit einem nicht angemeldeten Auto unterwegs war. Dann waren noch ein paar Sachen, insgesamt habe ich es geschafft, 28 Flensburg-Punkte zu sammeln.

"Krone": Ist Ihre Tochter nach dem Wahlerfolg sehr stolz auf Sie?
Ofer: Ja, sie freut sich mit mir und ist bei den jungen Piraten aktiv. Ich hab' sie offenbar schon mit dem Virus infiziert.

"Krone": Herr Ofer, wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Ofer: Schwierige Sache. Vielleicht sitze ich in Wien im Parlament. Vielleicht haben die Piraten dann einen Systemwechsel geschafft und 50 Prozent der Stimmen auf ihrer Seite.

"Krone": Mit einem Piraten als Bundeskanzler?
Ofer: Nein, dann gibt es einen einfachen Bürger als Bundespräsidenten. Und die Politiker sind im Prinzip nur mehr Vermittler zwischen den Nationen. Sie geben das Ergebnis unserer Entscheidungen weiter.

"Krone": Verspüren Sie so was wie Genugtuung, dass Sie es trotz Krankheit so weit geschafft haben?
Ofer: Ja, weil viele Menschen, die krank sind, diskriminiert werden. Ich bin froh, dass meine Krankheit jetzt auf dem Tisch ist. Viele Schizophrene waren höchst erfolgreich und haben sogar Bücher geschrieben. Ich möchte das auch beweisen.

Biografie
Alexander Ofer wurde am 11. 8. 1973 in Hall geboren. Die Mutter ist Kassierin, deren Mann Glockenmonteur. Seinen biologischen Vater hat Alexander Ofer erst vor Kurzem kennen gelernt. Es gibt zwei Schwestern und zwei Halbschwestern. Ofer ist gelernter Koch. Er hat eine 14-jährige Tochter, die in München lebt. Seit zehn Jahren ist er als arbeitsunfähig eingestuft. Im Februar gründete Ofer die Tiroler Piratenpartei und schaffte bei den Innsbrucker Gemeinderatswahlen auf Anhieb 3,8 Prozent.

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