"Wollte alle töten"

Breivik redet sich bei Anhörung um Kopf und Kragen

Ausland
19.04.2012 17:02
Immer merkwürdiger wird das Auftreten des Terror-Angeklagten Anders Breivik bei seinem Prozess in Oslo. Während Angeklagte normalerweise versuchen, ihre Taten vor Gericht abzumildern, redet sich Breivik an Tag vier um Kopf und Kragen. "Ich wollte eigentlich alle 560 Personen erschießen, die sich auf Utöya befunden haben", sagt der 33-Jährige am Donnerstag. Außerdem habe er noch zahlreiche weitere Terrorziele im Visier gehabt.

Sein ursprünglicher Plan sei gewesen, drei Autobomben zu bauen, sagt Breivik bei seiner Befragung. Sowohl das Hauptquartier der Arbeiterpartei, das Regierungsgebäude Stortinget, das Osloer Rathaus und ein Gebäude nahe der Zeitung "Aftenposten" sollten zerstört werden. Hier wären aber - gemäß Breiviks Definition - "nicht nur Schuldige" ums Leben gekommen.

Er habe auch an das königliche Schloss gedacht, das von der Arbeiterpartei bei Staatsbesuchen genutzt werde. Wichtig sei ihm aber gewesen, der königlichen Familie keinen Schaden zuzufügen. "Ich bin Anhänger der Monarchie", sagt Breivik.

Auch ein Atomreaktor und eine Fähre, auf der die Arbeiterpartei eine Konferenz abhalten wollte, hat angeblich auf der Liste der Ziele gestanden. Zumindest diese beiden Pläne bezeichnet ein Psychologe allerdings als Fantasien des Attentäters. Sie seien erst nach der Festnahme entstanden.

14-Jährige erschossen, aber "ich bin kein Kindermörder"
Aus technischen Gründen habe Breivik es aber nicht geschafft, mehr als eine Bombe zu bauen. Daher habe er sich auf ein Ziel beschränken müssen. Zusätzlich habe er sich für ein Massaker entschieden. "Das attraktivste Ziel wäre die internationale Journalisten-Konferenz Skup gewesen." Seinen Plan hier habe er aus Zeitgründen 2011 aber nicht realisieren können. Das Ferienlager der sozialdemokratischen Jugend auf Utöya sei das nächstbeste Ziel gewesen.

Die Teilnehmer hatte er bereits am zweiten Prozesstag als "keine Unschuldigen" bezeichnet (siehe Infobox), er wollte aber nur Volljährige töten. Dass auch zahlreiche Minderjährige auf der Insel waren und von ihm erschossen wurden, tue ihm leid. Das jüngste Opfer war 14 Jahre alt. Die dann folgende Erklärung sorgt im Gerichtssaal für Entsetzen. "Die Jugendlichen haben sich weggedreht, sodass ich ihre Gesichter nicht sehen und so ihr Alter nicht beurteilen konnte. Ich würde nicht sagen, dass ich ein Kindermörder bin", so Breivik.

Ex-Ministerpräsidentin sollte enthauptet werden
Hauptziel des Utöya-Massakers sei die einstige sozialdemokratische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland gewesen - er habe sie enthaupten wollen, sagt Breivik. Sie sei das "attraktivste" Ziel gewesen, war aber schon abgereist, als er die Insel erreichte.

Auf die Bluttaten auf der Insel habe Breivik sich mit Computerspielen und Übungen am Schießstand akribisch vorbereitet. Er habe etwa "Call of Duty - Modern Warfare" gespielt und da das Schießen geübt, sagt der 33-Jährige. Dabei kann der Spieler wie ein Scharfschütze Gegner mit einem Zielfernrohr im Fadenkreuz erfassen. "Sogar eine Oma könnte damit zum Scharfschützen werden."

Hinsichtlich des Bombenanschlags sagt Breivik, dass er gehofft hatte, dass das von ihm als Ziel gewählte 17-stöckige Regierungsgebäude durch die Explosion in sich zusammenfallen würde. In dem Hochhaus befand sich auch das Ministerpräsidenten-Büro, in dem nach Breiviks Informationen an jenem Tag ein Regierungstreffen stattfinden sollte. Der Tod der Regierung sei also sein Ziel gewesen. Wie bei vielen anderen Aussagen Breiviks herrscht allerdings auch hier Unklarheit darüber, ob er diese Pläne nicht erst später "hinzugedichtet" hat. Denn auch am Donnerstag widerspricht sich Breivik mehrfach. So sagt er, dass er die Anschläge bereits seit 2006 geplant hat. In seinem Manifest und im Polizeiverhör hatte er zuvor aber stets vom Jahr 2009 gesprochen.

Nur 40 Prozent des Manifests eigenständig verfasst
Außerdem spricht der Massenmörder über sein Manifest "2083 - Eine europäische Unabhängigkeitserklärung" (siehe Teil1, Teil2 und Teil3 einer Zusammenfassung). Breivik gibt zu, dass er 60 Prozent des Textes per "Copy-Paste" erstellt hat. Nur 40 Prozent des Schriftstücks - nämlich vor allem die militärischen Kapitel - habe er eigenständig verfasst. Er würde nicht alle Ansichten des Manifests teilen, weil es eigentlich nur als Diskussionsgrundlage dienen sollte und nie überarbeitet wurde. Aber mit 95 Prozent der Aussagen würde er übereinstimmen, meinte Breivik.

"Sie haben 77 Menschen getötet, ohne ganz sicher über das zu sein, was im Manifest stand?", fragt Staatsanwältin Inga Bejer Engh ungläubig. Auch hier ist das Entsetzen im Saal erneut fast mit Händen greifbar.

"Die Moslems sind ja nicht schuld"
Begonnen hatte der Verhandlungstag mit einer kleinen Überraschung. Aus "Rücksicht auf die Hinterbliebenen" verzichtete Breivik erstmals auf seinen Gruß mit der rechten Faust. Zudem führte er aus, dass er die Taten der deutschen Neonazi-Organisation "Nationalsozialistischer Untergrund" missbillige. Die Gruppe hatte von 2000 bis 2006 mehrere Menschen, vor allem Zuwanderer, ermordet. Er halte nichts davon, Minderheiten anzugreifen. "Die Moslems sind ja nicht schuld daran, dass sie in dieses Land eingeladen wurden", erklärte Breivik. Er habe sich deswegen dazu entschlossen, eher die "politischen Eliten" anzugreifen.

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