Parlamentswahl

Absolute für Putin-Partei trotz schwerer Verluste

Ausland
05.12.2011 07:50
Auch ohne die verlorene Zweidrittelmehrheit kann die Partei von Regierungschef Wladimir Putin weiter alleine regieren: Russlands zentrale Wahlkommission hat Montag früh bestätigt, dass Putins Geeintes Russland künftig in der Staatsduma, dem Unterhaus des Parlaments, über die absolute Mandatsmehrheit verfügen wird. Die Kreml-Partei erhalte 238 von 450 Abgeordnetensitzen, gab Wahlleiter Wladimir Tschurow bekannt. Eine Ohrfeige bedeutet das Ergebnis der Parlamentswahl trotzdem für Putin.

Nach Auszählung von 96 Prozent der Stimmen kam die Putin-Partei auf 49,93 Prozent, teilte die Wahlleitung mit. Nach vorläufigem Auszählungsstand reduzierte sich die Zahl ihrer bisher 315 Mandate um 77. Bei der Wahl 2007 gaben noch 64,3 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme für die Putin-Partei ab. Ihre Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma hat Geeintes Russland damit verloren.

Parteichef Putin sagte in einer ersten Reaktion, das Ergebnis gewährleiste die Fortsetzung der stabilen Entwicklung des Landes. Er sprach von einem "optimalen Resultat in einer schwierigen Zeit". Russlands Präsident und Spitzenkandidat Dmitri Medwedew wertete das Ergebnis ebenfalls als Erfolg. Das Resultat spiegle die Stimmung im Land wider, sagte er. Das gute Ergebnis von 2007 sei wegen der damaligen "Höhe der wirtschaftlichen Entwicklung" nicht zu wiederholen gewesen, meinte Medwedew bei einer Rede vor Anhängern.

Die Kommunisten kamen nach Auszählung der meisten Wahlzettel auf 19,16 Prozent der Stimmen (92 Sitze), die linkskonservative Partei Gerechtes Russland auf 13,22 Prozent (64 Abgeordnete) und die ultranationalistische Liberaldemokratische Partei von Wladimir Schirinowski auf 11,66 Prozent (56 Mandate). Die Wahlbeteiligung lag bei mehr als 60 Prozent, wie Wahlleiter Tschurow sagte. Das Parlament wurde nach einer Verfassungsänderung erstmals für fünf Jahre gewählt.

Zunehmende Unzufriedenheit in Bevölkerung
Politologen erklären die sinkende Zustimmung für Geeintes Russland mit einer zunehmenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Viele Menschen sehnten sich nach einer Besserung ihrer Lebenslage. Vor allem aber hätten viele Menschen den Glauben an Putins so bezeichneten Gesellschaftsvertrag verloren, der Bürgern soziale Sicherheit garantiert im Tausch für politische Nichteinmischung, meinte die Moskauer Politologin Lilija Schewzowa.

Doch auch der Rückhalt im Machtapparat mit einem riesigen Heer an Staatsbeamten gilt schon längst nicht mehr als so fest wie in früheren Zeiten. Nicht zuletzt löste die im September vom Machttandem Putin und Medwedew verkündete Operation Ämtertausch auch innenpolitisch viel Kritik aus. Putin, der bereits von 2000 bis 2008 Präsident war, will sich am 4. März 2012 wieder in den Kreml wählen lassen. Medwedew soll dann Regierungschef werden.

Experten meinen, dass Medwedews angekündigte Erneuerung der Regierung dazu führte, dass sich viele treue Gefolgsleute von Putin, die nun ihre Posten verlieren könnten, im Kampf um Stimmen für Geeintes Russland zurückhielten.

200 Regierungsgegner festgenommen
Bei Protesten der Opposition gegen die Wahl nahm die Polizei allein in Moskau und St. Petersburg fast 200 Regierungsgegner fest. In Moskau wurde der Oppositionelle Sergej Udalzow im Schnellverfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu fünf Tagen Haft verurteilt. Auch bei Protesten in der zweitgrößten Stadt St. Petersburg griffen die Sicherheitskräfte hart durch. Landesweit waren 330.000 Sicherheitskräfte im Einsatz.

Erhebliche Unregelmäßigkeiten bei der Wahl festgestellt?
Nach Angaben von Regierungskritikern wurde die Abstimmung am Sonntag von erheblichen Unregelmäßigkeiten begleitet. Wahlbeobachter listeten Tausende Verstöße auf und stellten Videos davon ins Internet. Die Bürgerrechtlerin Ljudmila Alexejewa nannte die Wahl "undemokratisch". Die liberale Oppositionspartei Jabloko will angesichts der massiven Fälschungsvorwürfe das Ergebnis der Abstimmung vom Sonntag nicht anerkennen.

Regierungsgegner wie der nicht zur Abstimmung zugelassene Politiker Wladimir Ryschkow sprachen schon im Voraus von der "schmutzigsten Wahl" seit dem Ende der Sowjetunion. Mehrere kremlkritische Internetseiten, etwa vom Radiosender Echo Moskwy oder der einzigen unabhängigen russischen Wahlbeobachterorganisation Golos, wurden am Wahltag offenbar durch eine groß angelegte Cyber-Attacke lahmgelegt und waren den gesamten Wahltag nicht erreichbar.

"Partei der Gauner und Diebe"
Das Internet galt in dem von Staatsmedien geprägten Umfeld bisher als wichtiger Raum für die Meinungsfreiheit. Viele Russen werfen der von Kritikern als "Partei der Gauner und Diebe" bezeichneten Kremlpartei Bevormundung und Günstlingswirtschaft vor und klagen über Justizwillkür sowie Schikanen. Wahlkommissionschef Tschurow hatte Fälschungsvorwürfe zurückgewiesen und die Abstimmung "kristallklar und sauber" genannt.

110 Millionen Menschen zu Wahl aufgerufen
In dem flächenmäßig größten Land der Erde mit neun Zeitzonen waren insgesamt etwa 110 Millionen Menschen zur Wahl der 450 Abgeordneten für die Staatsduma aufgerufen. Zu der Abstimmung waren alle sieben in Russland registrierten Parteien zugelassen. Regierungsgegner, die einen Machtwechsel anstreben, hatten allerdings keine Partei-Registrierung erhalten und waren von der Wahl ausgeschlossen.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele