Kulturhauptstadt

In Elefsina locken die ewigen Mysterien

Reisen & Urlaub
13.03.2023 09:00

Das griechische Elefsina ist eine der drei Kulturhauptstädte Europas in diesem Jahr. Die sterbende Industrieregion will mit Kunst und Kultur an ihre große Vergangenheit anknüpfen.

Eine große Raffinerie, die man schon von Weitem riecht, ein Ziegelwerk, jede Menge sterbende Industrie und ein paar Schiffwracks, die im verunreinigten Wasser still vor sich hin verrotten – auf den ersten Blick hat Elefsina nicht viel von einer Kulturhauptstadt. Und doch teilt sich die 24.000-Einwohner-Stadt, die etwas mehr als 20 Kilometer nordwestlich von Athen im Saronischen Golf liegt, heuer den Titel mit dem ungarischen Veszprém und dem rumänischen Timişoara.

In der Antike war Elefsina als Eleusis bekannt und zählte zu den wichtigsten Kultstätten neben Delphi und Epidauros. Noch heute zeugt eine große archäologische Stätte mitten im Stadtgebiet von der einstigen Bedeutung. Und bis heute pilgern Gelehrte, Künstler aber auch ganz einfache Menschen an diesen heiligen Ort. Die streng geheimen Mysterien von Eleusis waren der Göttin Demeter und ihrer von Hades in die Unterwelt entführten Tochter Persephone gewidmet. An den Riten durfte jeder – Mann, Frau, Sklave – teilnehmen, der des Griechischen mächtig war, allerdings musste er bei seinem Leben schwören, niemals darüber zu sprechen. Was man heute darüber weiß, verdankt man den Archäologen. Und so ließen sich Prozessionen zwischen Athen und Eleusis rekonstruieren, die nun zum Auftakt des Kulturhauptstadt-Jahres erneut abgehalten wurden.

Der Wandel als Chance für die ehemalige Industriehochburg
Für Michail Marmarinos, den künstlerischen Leiter von Eleusis 2023, liegt genau bei diesen Riten der Anknüpfungspunkt für sein Programm, dem er den Titel „Mysteries of Transition – Mysterien des Wandels“ gegeben hat. Die alten Geheimnisse verknüpft er mit neuen – und hat dafür nicht nur die Bewohner der Region begeistern können, sondern auch eine Vielzahl internationaler Künstler. Hunderte „Mysterien“ (so heißen hier die einzelnen Programmpunkte) werden das ganze Jahr über zu erleben sein, etwa eine große Ausstellung, die Melina Mercouri – Schauspielerin, Sängerin, griechische Kulturministerin und dazu noch Erfinderin des Projekts Europäische Kulturhauptstadt – ehrt.

Sie befindet sich in der alten Ölmühle, die zu einem Kulturzentrum mit Ausstellungsflächen, einer Art Amphitheater und Räumen für Installationen, umgewandelt wurde. Dort kann man auch eine beeindruckende Arbeit des deutschen Künstlers Heiner Goebbels bestaunen. In einer Video-Installation rückt er die „Sieben Säulen“, die bei den alten Mysterien eine wichtige Rolle gespielt haben, in den Mittelpunkt und verwandelt damit eine Industriehalle in einen mystischen Tempel. Dazu trägt auch ein großes Bassin mitten im Raum bei, dessen tiefe Schwärze einen direkt in die Unterwelt zu entführen scheint.

Spannende neue Mysterien in den Ruinen der antiken Tempel
Auch das deutsche Choreografie-Paar Sasha Waltz und Jochen Sandig steuert im September eine spektakuläre Performance bei. In den Ruinen der alten Tempel zeigen die beiden ihr „Human Requiem“, das auf Johannes Brahms’ „Deutschem Requiem“ basiert, mit einer umwerfenden Marlies Petersen in der Hauptrolle. Die Sängerin hat zwischen den Tempelruinen schon probegesungen und war hellauf begeistert. An einem so heiligen Ort und so nahe an den alten Göttern wird diese Aufführung zu einem besonderen Erlebnis. Bühnenmagier Romeo Castellucci befasst sich Anfang September in einer Bewegungs-Performance ebenfalls mit den Überresten der heiligen Stätte und ihrer Beziehung zur Unterwelt. Dass Aischylos, der Urvater der griechischen Tragödie, 525 vor Christus in Eleusis geboren wurde, macht diesen Ort für Theatermacher wohl besonders spannend.

Überaus sympathisch gibt eine Ausstellung im Alten Rathaus Auskunft, in der die Bewohner der Stadt die Geschichte aufrollen – von der Antike bis zu den Flüchtlingen, die gerne in diese von der gnadenlosen Industrialisierung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts geprägte Region abgeschoben werden. Da erfährt man auch, dass in Eleusis lange das Matriarchat den Ton angegeben hat.

Wie kaum eine andere Kulturhauptstadt setzt Elefsina all seine Hoffnungen auf den Wandel, der mithilfe der Kunst und Kultur geschehen soll. Bereits jetzt arbeitet man an einer neuen Beziehung zur Natur, versucht, die Verschmutzung des Golfs, in dem das Baden strikt verboten ist, in den Griff zu bekommen. Ob das gelingen kann, wird die Zukunft weisen. Die unglaubliche Aufbruchsstimmung und Freude der Bewohner, ihr Stolz auf die alten und neuen Mysterien sind aber bereits jetzt spürbar. Und wie der Schriftsteller Henry Miller, der wie viele andere Künstler diesen heiligen Ort aufgesucht hat, schon festgestellt hat: „Eleusis lebt, lebt ewig inmitten einer sterbenden Welt.“

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