„Street Of Minarets“

Dhafer Youssef: „Ich brauche Musik zum Leben“

Musik
27.01.2023 07:50

Der tunesische Jazzer und Oud-Künstler Dhafer Youssef hat sich seine Karriere in Graz und Wien herausgebildet. Auf seinem neuen Album „Street Of Minarets“ blickt er zurück auf seine Kindheit und musiziert mit illustren Namen von Herbie Hancock über Marcus Miller bis hin zu Dave Holland. Wir sprachen mit dem 55-Jährigen über das Lebenselixier Musik, hypnotische Klangmomente und das Arbeiten mit den Größten ihrer Zunft.

(Bild: kmm)

1988 war Österreich das einzige Land Europas ohne Visumszwang für Tunesier. Rein kulturell ein Glücksgriff, denn im September ebenjenes Jahres kam Dhafer Youssef vom 35.000-Einwohner-Städtchen Téboulba an der tunesischen Ostküste nach Graz, um als 20-jähriges Bürschchen eine Musikkarriere voranzutreiben. Er lernte beharrlich Deutsch, fungierte als Fensterputzer und Tellerwäscher und übersiedelte wenig später nach Wien. Eigentlich wollte er, inspiriert von Beethoven und Mozart, tief in die E-Musik eintauchen, doch anstatt an einer Musikhochschule zu studieren, lernte er über die Zwischenstation Jugendtheater zentrale Figuren der Jazzszene kennen. Über den Geiger Anton Burger ging es in der vitalen österreichischen zu Granden der improvisierten und freien Musik. Markus Stockhausen, Carlo Rizzo, Nils Petter Molvaer oder Wolfgang Muthspiel sind nur einige der Namen, die Youssefs eigenes musikalisches Profil prägen und schärfen sollten.

Reise in die Kindheit
„Die Ornamente des Lebens haben sich ganz natürlich zusammengefügt“, erzählt er im entspannten Gespräch mit der „Krone“ in der Wiener Innenstadt, „ich hatte das große Glück, dass ich immer wieder die richtigen Leute getroffen habe, die mir neue Türen geöffnet haben.“ Youssef verwehrt sich gerne gegen die Zuschreibung, Weltmusik zu machen, ist aber ein Weltbürger par excellence. Seine Heimaten verteilen sich primär zwischen Paris, Tunesien und Wien, doch seine Kunst treibt ihn seit mehr als 30 Jahren quer über den Globus. Wer so viel reist und erlebt, der sucht zum Ausgleich automatisch nach seinen Wurzeln. Auf dem brandneuen Album „Street Of Minarets“ lädt er die Hörer auf eine spannende Klangreise zurück in seine Kindheit ein - natürlich angetrieben von seinem markanten Instrument, der orientalischen Kurzhalslaute Oud, die er seit jeher mit akribischer Detailverliebtheit spielt.

„Dieses Album ist für mich ein Geschenk an das Kind, das immer an sich selbst glaubte - an mich. Aber das könntest auch du sein, oder jeder andere, der Träume hat und sie verwirklichen möchte.“ Konzeptionell geht Youssef in seine Vergangenheit zurück, sein Großvater war ein Muezzin und die arabische Klangkultur war im Familienkreis seit jeher allgegenwärtig. „Die Platte ist für mich eine Erinnerung an die schönen Farben und Geräusche aus meiner Kindheit. Dort habe ich als Sänger angefangen. Ein Muezzin geht nicht auf das Minarett rauf, sondern arbeitet oft von unten mit einem Megafon. Für mich klang das so, als würde Jimi Hendrix zum Gebet rufen. Diesen Sound wollte ich unbedingt auf das neue Album projizieren.“ An „Street Of Minarets“ arbeitete Youssef schon, obwohl er 2018 mit „Sounds Of Mirrors“ noch ein anderes Album zwischenstreute. Sein Herzensprojekt bedurfte wesentlich mehr Recherche und wurde von den Wirren der Pandemie ausgebremst.

Mit dem A&O des Jazz
Zudem konnte der 55-Jährige eine üppige Gaststarriege auf dem Album versammeln. Beitrage kommen von unterschiedlichen Jazz-Größen wie Herbie Hancock, Marcus Miller, Dave Holland, Vinnie Colaiuta oder Ambrose Akinmusire. Ein unglaublicher Aufmarsch an Superstars, dessen Ursprung mittlerweile acht Jahre zurückliegt. Beim „International Jazz Day“ 2015 in Paris traf Youssef auf Hancock, Miller und Co., die ihm den Horizont erleuchteten. „Dort habe ich verstanden, dass die Musik größer ist als wir alle. Es geht nicht um uns und unsere Egos, sondern um die Magie des Moments.“ Youssef versteht sich mit Hancock, zwei Jahre später kommt es tatsächlich zur Zusammenarbeit. „Er wollte mich auf seinem Album haben, das noch nicht veröffentlicht wurde. Unglaublich.“ In LA holte Hancock Youssef in seinem Tesla ab. Man hörte alte Jazz-Platten und fuhr gemütlich ins Studio. „All diese großen Musiker haben ihre Persönlichkeit und Seele beibehalten und trotzdem meine Art von Musik verstanden.“

Dass Youssefs persönlichstes Album gespickt mit großen Namen ist, ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. „Jeder sollte frei sein wie ein Vogel, das war mir am wichtigsten. Ich habe in Los Angeles mit den Musikern gearbeitet und die Platte dann in Göteborg und Lyon fertiggestellt. Es war eine lange Reise, aber ich bin mit dem Ergebnis unglaublich glücklich.“ 2020 musste Youssef zweimal wegen Polypen an den Stimmbändern operiert werden und sich in Ruhe auskurieren. „Da hatte ich schon all meine Idole auf der Platte, aber mir fehlte der persönliche Touch. Erst als sich die Stimme wieder erholte, konnte ich ihn hinzufügen. Im Endeffekt war es wichtig, dass ich durch dieses Tal geschritten bin, denn so sehe ich jetzt erst die Schönheit dieses Albums.“

In Youssefs Welt gefangen
„Street Of Minarets“ überzeugt mit einem runden Klangbogen, den Youssef in detaillierter Passion herausgearbeitet hat. „Mit einer Platte will ich immer einen Film oder ein Theaterstück erschaffen. Es gibt einen Schlüssel für die Eingangs- und einen für die Ausgangstüre - dazwischen bist du aber in meiner Welt und sollst sie genießen. Am schönsten ist es, wenn man die Realität für zwei Stunden vergisst und in der Musik zerfließt. Ich bin selbst am liebsten auf Konzerten, wo ich vergesse, dass ich Hunger oder Durst habe und völlig paralysiert bin. Genau dieses Gefühl wollte ich mit ,Street Of Minarets‘ erzeugen.“ Wie gewohnt verbindet Youssef elektronische Elemente mit traditionellem Jazz, reiht wundervolle Soloparts an improvisierte Gemeinschaftsleistungen und verbindet markante Instrumentals mit seinem originären Gesang.

Dass es irgendwann einmal irgendwo ein spezielles Konzert mit allen vorhandenen Stars geben würde, will der Optimist gar nicht ausschließen. „Ich komme aus einem kleinen Dorf, wo es keine Kultur gab. Keine Musik, keine Kinos, keine Museen. In unserem Haushalt war das einzige Buch ein Koran und es gab keine Bilder an den Wänden. Heute ist die Kunst mein Leben. Es ist alles möglich und das will ich anderen weitervermitteln. Kämpfe für deinen Weg, aber mit Liebe, Toleranz und Empathie. Die offensten Menschen sind viel gereist, haben verschiedene Küchen probiert und sich der Welt hingegeben.“ Seit Sommer 2021 ist Youssef wieder fix in Wien wohnhaft, seine zwei Kinder sind im Kindergarten und die Kreativität fließt. „Musik ist für mich wie Wasser und Sauerstoff. Ich brauche sie zum Leben. Und sie macht mich zum glücklichsten Menschen der Welt.“

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