Bitcoin als Inflationsschutz? Als digitales Gold? Mit dem Kursverfall haben sich viele Hoffnungen in Bitcoin und andere Kryptowährungen zerschlagen. Doch Experten sehen den neuen „Kryptowinter“ als Teil des Reifungsprozesses der Branche. „Krypto als Anlageklasse ist gekommen, um zu bleiben“, sagt etwa Tracey McDermott, Compliance-Chefin der britischen Bank Standard Chartered. Denn die hinter Cyberdevisen steckende Blockchain-Technologie bietet Möglichkeiten, die weit über Spekulation hinausgehen und die Finanzbranche umkrempeln könnten.
Vom Höchststand im vergangenen November ist der Wert aller Kryptowährungen um zwei Drittel auf unter 1000 Milliarden Dollar (knapp 950 Milliarden Euro) eingebrochen. Skeptiker sehen sich bestätigt. Für viele Kryptowährungen sei es gar nicht möglich, einen angemessenen Wert festzustellen, sagte UBS-Konzernchef Ralph Hamers kürzlich. „Das ist fast, wie in ein Kasino zu gehen.“ Bei der UBS und den meisten anderen Großbanken können die Kunden Kryptowährungen deshalb nicht direkt handeln.
Entsprechend weichen die Anleger auf spezialisierte Handelsplattformen wie Binance oder auf Fintechs aus. Einer Studie von Boston Consulting Group zufolge laufen rund 95 Prozent aller Kryptoanlagen - der größte Teil davon Kryptowährungen - an den traditionellen Vermögensverwaltern vorbei. Damit verzichten diese auf ein hoch lukratives Geschäft. Und das könnte erst der Anfang sein.
„Wenn Kunden feststellen, dass eine solche Plattform cool und einfach handzuhaben ist, besteht die Gefahr, dass sie die Hausbank auch für andere Dienstleistungen verlassen“, sagt Tobias Würgler von der Beratungsfirma Oliver Wyman. Deshalb hätten die US-Banken und auch Schweizer Vermögensverwalter begonnen, sich in dem Geschäft zu engagieren. „Viele Banken sind dabei, Infrastrukturen zu entwickeln, die es ihnen ermöglichen würden, digitale Vermögenswerte auf technischer und operativer Ebene zu verwalten“, sagt Alexandre Kech, Blockchain-Experte von Citi.
„Tektonische Verschiebung“
Im Extremfall könnte die Blockchain den traditionellen Banken die Geschäftsgrundlage entziehen. Denn die Technologie schafft nicht nur die Voraussetzungen für den Krypto-Handel, sondern für eine ganze Reihe von Transaktionen zwischen zwei Parteien - ohne eine zwischengeschaltete zentrale Stelle wie eine Bank oder eine Börse. „Das ist eine tektonische Verschiebung vom Internet, über das Informationen ausgetauscht werden, zum Internet, über das Werthaltiges übertragen wird“, erklärt Mathias Imbach, Chef der Schweizer Kryptobank Sygnum.
Auch UBS-Chef Hamers geht davon aus, dass Blockchain-Anwendungen Transaktionen schneller, sicherer und billiger machen. Digitale Assets und Decentralized Finance (DeFi) würden den Sektor in den kommenden zehn Jahren transformieren, sagte der Chef der Privatbank Julius Bär, Philipp Rickenbacher, vergangenen Monat. „Deshalb ist für uns heute genau der richtige Zeitpunkt, um in das langfristige Potenzial der Technologie für digitale Vermögenswerte zu investieren.“
Ein Beispiel für DeFi ist MakerDAO. Diese Plattform, eigentlich nur ein Computer-Code, bietet Nutzern verzinste Einlagen in Kryptowährungen auf der einen und Lombardkredite auf der anderen Seite, vollautomatisch und ohne Mitarbeiter. Vergleichbare Angebote gibt es etwa mit SushiSwap auch im Börsen- und mit Nexus Mutual im Versicherungsbereich.
Das Problem der meisten dieser Plattformen: Sie sind nicht massentauglich, weil kein Regulator über sie wacht und die Nutzerfreundlichkeit begrenzt ist. Firmen wie Sygnum versuchen, eine Brücke zwischen regulierten, zentralisierten Instituten und unregulierten, dezentralisierten Angeboten zu schlagen. Imbach zufolge hat das Interesse von Banken seit dem Frühjahr 2021 massiv angezogen. Zehn Institute verwendeten inzwischen die Sygnum-Plattform für Handel und Verwahrung.
Übernahmen erwartet
Aber nicht alle Banken dürften es bei einer Kooperation belassen und stattdessen zukaufen. „In den nächsten drei Jahren werden wir zunehmend Transaktionen sehen“, sagt Philipp Cottier vom Blockchain-Investor L1 Digital. Mehrere renommierte US-Investmentbanken und auch Kreditkartenfirmen schauten sich um. Übernahmen dürften eine wichtigere Rolle spielen als in den vergangenen Jahren, glaubt auch Jupiter-Fondsmanager Guy de Blonay. Mit der geldpolitischen Straffung vieler Notenbanken dürfte der Zugang zu Kapital für unrentable Fintechs schwieriger und teurer werden.
Gleichzeitig seien ihre Bewertungen eingebrochen. Dies schaffe für US- und europäische Finanzfirmen mit überschüssigem Kapital Kaufgelegenheiten. „Ein Teil davon könnte dazu verwendet werden, neue Technologien zu einem günstigeren Preis zu erwerben, um erfolgreicher mit Disruptoren konkurrieren zu können“, so de Blonay.
Schweiz und Singapur Vorreiter
Die Deutsche Börse hat bereits zugeschlagen. 2021 kaufte sie für einen dreistelligen Millionenbetrag die Mehrheit an der Schweizer Crypto Finance. Weil die Schweiz im Unterschied zu vielen anderen Ländern bereits ein Blockchain-Gesetz verabschiedet habe, sei der Standort ein fruchtbarer Boden für Kryptofirmen, Singapur ebenso, erklärt Deloitte-Fusionsberater Jean-Francois Lagasse. „Die Schweiz und Singapur werden die Vorreiter in diesem Markt sein.“
Grenzen verschwimmen
Auch in umgekehrter Richtung dürften Deals stattfinden. So suchten derzeit verschiedene größere Kryptoplattformen kleinere traditionelle Banken, um an eine Bank- oder Brokerlizenz zu kommen, sagt Cottier. „Wir haben mehrere Anfragen erhalten von Blockchain-Firmen aus Asien, den USA oder Großbritannien, die eine Schweizer Bank kaufen möchten.“ Eine Hürde sei dabei allerdings die Schweizer Finanzmarktaufsicht, die grünes Licht für eine Transaktion geben müsse. Doch klar sei: Mittelfristig würden die Grenzen zwischen traditionellen Finanzunternehmen und Kryptofirmen verschwimmen.
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