Schneider-Serie

„Das Leben ist platter, als wir denken“

Vorarlberg
22.05.2022 10:55

In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Robert Schneider Vorarlberger an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. In Frastanz traf er jüngst ORF-Lady Karin Stecher.

Sie ist die Society-Interviewerin schlechthin im Ländle - Karin Stecher. Mit ihrer regelmäßigen Fernsehkolumne „Dabei gsi“ fühlt sie seit vielen Jahren den Wichtigen und den Wichtigtuern mit Wortwitz auf den Zahn. Die Handschrift ihrer Arbeit ist ein ungeheucheltes Interesse an Menschen. „Der kleine Bauer mit seinen paar Ziegen auf 1500 Metern berührt mich genau so wie der Primar, der mir erzählt, dass ihm eine Operation geglückt ist, die es in dieser Form noch nie gegeben hat“, sagt sie, als wir aus dem Auto steigen. „Ich gebe den Menschen einen kleinen Sonnenscheinplatz, auch wenn sie vielleicht gar nicht im Sonnenschein stehen und mir alles Mögliche vorgaukeln. Aber darum geht es nicht. Ich lasse einfach aus Prinzip niemanden schlecht aussehen. Das hat etwas mit Würde zu tun.“ Karin Stecher zeigt mir den Platz ihrer Kindheit, dort, wo sie glücklich war. „Oje, hier müsste man auch dringend Unkraut jäten“, entschuldigt sie sich, als wir die überwucherte Steintreppe zum Ferienhäuschen auf der Bazora hochsteigen. Wir nehmen Platz auf der Bank vor dem Haus. Der Blick geht hinein in die Schweizer Berge, wo sich schwarze Gewitterwolken auftürmen. Karin Stecher wischt schnell mit der Hand den Tisch sauber.

Robert Schneider: Wir sind hier in Gurtis
Karin Stecher: Hallo? Auf der Bazora!

Schneider:Die Bazora gehört also nicht zu Gurtis?
Stecher: Die Bazora liegt oberhalb von Gurtis. Meines Wissens ist die Bazora sogar eine eigene Parzelle.

Schneider: Und gehört nicht zu Gurtis?
Stecher: Glaub nicht. Oder es ist eine Parzelle von Gurtis.

Schneider: Gehört also zu Nenzing?
Stecher: Nenzing oder Frastanz. Jetzt verunsicherst du mich. Google das bitte nach, bevor du einen Blödsinn schreibst!

Schneider: Was hat es mit diesem Platz auf sich?
Stecher: Wir waren sechs Enkelkinder. Jedes Jahr, zwei Tage nach Ferienbeginn, hat uns die Oma ins Auto gesteckt, im Kofferraum eine Palette Nutella, und ist mit uns hier herauf in die Sommerfrische gefahren. Da blieben wir dann die ganzen zwei Monate. Meine Oma war von Beruf Köchin. Wir hatten Freiheiten, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Das Wort Helikoptereltern gab es damals Gottseidank noch nicht. Die Oma sagte immer: Verschwindet! Aus den Füßen! Wir waren uns selbst überlassen. Hauptsache, du warst beim Abendessen wieder am Tisch. Eine unglaubliche Freiheit und Unbeschwertheit. Wir haben Bretter mit Seife eingewachst und sind über die Steilhänge hinuntergerutscht. Im Sommer waren auch viele Touristen hier oben, die sich Ferienhäuser gemietet haben. Die haben wir alle abgeklappert und so lange lästig getan, bis sie uns etwas Süßes geschenkt haben. Der Herr Schoppe aus München, oder wie sie sonst alle hießen. Man kannte sich im Lauf der Jahre. Mein Cousin war gerade in dem Alter „Jugend forscht“ und wollte ein Wespennest untersuchen, stocherte mit einer Rute darin herum. Am andern Tag saßen wir mit geschwollenen Gesichtern, Hälsen und Oberarmen auf der Hausmauer und hatten zu gar nichts mehr Lust. Ich bin gefühlt 7000 Mal auf der Alpe Gamp gewesen, und am Abend haben wir gejasst bis zum Untergang Ein Traum!

Schneider: Ich gehe mal davon aus, dass Du die Macherin warst.
Stecher: Ich bin ungeduldig. Es muss immer was laufen. Stimmt, ich war die Macherin. Rumhocken und warten, bis etwas passiert, war nie meins.

Schneider: Erzähle mir von Deinen Eltern.
Stecher: Meine Mutter und ihr Bruder führten in Gisingen eine große Tischlerei mit zehn Angestellten, die jeden Tag bei uns gegessen haben. Vielleicht bin ich auch deshalb nie öffentlichkeitsscheu gewesen. Meinen leiblichen Vater habe ich erst viele Jahre später kennengelernt, darum war die Mama meine Bezugsperson. Vielleicht auch, weil sie mir alle Freiheiten gelassen hat. In der Schreinerei gab es einen riesigen Dachboden, auf dem allerhand Plunder lag. Mein Großvater hat noch Särge gezimmert. Die wurden früher mit so vergoldetem oder versilbertem Pappmache verziert. Ornamentbänder. Daraus habe ich dann meine Prinzessinnenkronen gebastelt.

Schneider: Du bist ausgebildete Mittelschullehrerin - Mathematik und Sport -, über Umwege dann Fernsehjournalistin geworden. Dein Leben scheint keine Brüche zu kennen. Du hast selbst keine Kinder. War das für Dich je ein Problem?
Stecher: Es hat sich nicht ergeben. Es war einfach nicht.

Schneider: Trauerst Du dem hinterher?
Stecher: Nein. Ich kann es sehr gut mit mir selbst aushalten.

Zitat Icon

Das Leben ist platter, als wir denken.

Karin Stecher

Schneider: Du strahlst eine große Zufriedenheit aus. Wie erlangt man Zufriedenheit?
Stecher: Es ist ja nicht so, dass ich keine Krisen durchgegangen wäre. Aber ich hatte immer das Glück, mich - a - nicht allzu ernst zu nehmen und - b - nicht im Selbstmitleid zu versinken. Man muss die Krisen ernst nehmen, natürlich, sich die Dinge ansehen, so gut man kann. Aber irgendwann ist wieder Schluss damit. Morgen geht auch wieder die Sonne auf. Klingt so platt. Aber das Leben ist platter, als wir denken.

Schneider: Was ist für Dich Glück?
Stecher: Ich saß heute in meinem Garten und habe gesehen, dass die Rosen aufgehen. Mein Gott, ist diese Welt doch schön, dachte ich mir. Eigentlich muss man gar nichts dazu tun.

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