Gerichtsentscheid

Ratko Mladic gesund genug für Auslieferung

Ausland
27.05.2011 22:53
Der erste Schritt im Auslieferungsverfahren von Ratko Mladic an das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im einstigen Jugoslawien ist absolviert. Das Belgrader Sondergericht für Kriegsverbrechen beschloss am Freitag, dass der Ex-Militärchef der bosnischen Serben gesund genug ist, um nach Den Haag überstellt zu werden. Vorangegangen war ein Verwirrspiel um Mladic' aktuellen körperlichen Zustand.

Milos Saljic, Anwalt der Familie Mladic, kündigte nach der Entscheidung umgehend Einspruch an. "Wir werden schriftlich beantragen, dass Mladic am Montag in das Belgrader Militärkrankenhaus verlegt wird", präzisierte Saljic. Die Familie des Angeklagten will unter Berufung auf seinen Gesundheitszustand eine Überstellung nach Den Haag hinauszögern. Tribunalssprecherin Nerma Jelacic hatte zuvor erklärt, dass das UNO-Tribunal "absolut in der Lage ist, für Angeklagte mit Gesundheitsproblemen Sorge zu tragen".

Mit einiger Verspätung war am Freitag in Belgrad kurz vor 13 Uhr die am Donnerstag begonnene Anhörung des jahrelang gesuchten Angeklagten des UNO-Tribunals fortgesetzt worden. Entsprechend dem gesetzlichen Auslieferungsverfahren musste von einem Ermittlungsrichter des Belgrader Sondergerichts für Kriegsverbrechen die Identität des Festgenommenen offiziell bestätigt werden, was bereits am Donnerstag passierte. Im Anschluss musste Mladic die Anklage verlesen werden, die ihm in elf Punkten Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bosnien-Krieg anlastet.

Mladic schiebt Schuld auf Milosevic
Mladic verweigerte am Freitag die Annahme der Anklageschrift. "Ihr habt Milosevic gewählt und nicht ich, wer ist also schuld?", fragte Mladic nach Angaben einer Gerichtssprecherin. Slobodan Milosevic, der 2003 im Tribunal an einem Herzinfarkt gestorben war, hatte als fast unumschränkter serbischer Herrscher die Kriege zur Schaffung eines "Großserbien" maßgeblich mit angezettelt.

Er erkenne das Haager Tribunal nicht an, hatte Mladic das Gericht bereits bei der ersten Anhörung am Donnerstag wissen lassen. Die Anhörung wurde abgebrochen, weil der Angeklagte um eine bestimmte Zeit angeblich Medikamente einnehmen musste. Vize-Sonderstaatsanwalt Bruno Vekaric hielt dies für eine Verzögerungstaktik der Verteidigung. Auf einer Aufnahme, die serbische TV-Sender brachten, konnte man den mutmaßlichen Kriegsverbrecher sehen, wie er sich in Begleitung von mehreren Polizisten in Richtung des Gerichtssaals langsam und schwer bewegte.

"Schwerkranker" Mladic soll auf Baustelle gearbeitet haben
Mladic' Anwalt berichtete am Freitag über einen äußerst schlechten Gesundheitszustand des Angeklagten. Er habe sich am Donnerstag nicht einmal zu seinen Personaldaten äußern können und habe auf Fragen unzusammenhängende Antworten gegeben, so Saljic. Zeitungen berichteten hingegen, dass es Mladic vergleichsweise gut gehe. Im vergangenen Sommer soll er sogar auf einer Baustelle gearbeitet haben (siehe Infobox).

Laut Vize-Sonderstaatsanwalt Vekaric sei Mladic so, wie man ihn aus den 1990er-Jahren in Erinnerung habe. Im Gefängnis habe er keine besonderen Forderungen gestellt, befinde sich jedoch unter ständiger ärztlicher Aufsicht. Auf den Entzug von Brillen in der Gefängniszelle, eine Sicherheitsvorkehrung, reagierte Mladic mit Spott: "Was, ihr befürchtet, dass ich mich umbringe? Mladic wird nicht gegen Mladic vorgehen."

Zehn-Millionen-Dollar-Belohnung verfällt
Die zehn Millionen Euro, die der Staat im Vorjahr für die Ergreifung von Mladic ausgelobt hatte, werden nach Beteuerung der Behörden übrigens nicht ausbezahlt. Die Festnahme sei im "Rahmen der normalen operativen Arbeit der serbischen Sicherheitsorgane" erfolgt, einen Tipp für die erfolgte Festnahme habe es nicht gegeben, versicherte der Staatssekretär im Justizministerium, Slobodan Homen.

Medienspekulationen, wonach an der Festnahme auch ausländische Nachrichtendienste beteiligt waren, wurden unterdessen von Innenminister Ivica Dacic zurückgewiesen. Nur die serbische Polizei und der Nachrichtendienst BIA hätten daran teilgenommen. Laut Dacic wurden die Verwandten Mladic' in dem Vojvodina-Dorf Lazarevo mehrere Monate lang observiert. Die ersten Hausdurchsuchungen seien erst am Donnerstag vorgenommen worden, als im Haus eines Cousins auch der Haager Angeklagte aufflog. "Allerhand, ihr habt denjenigen gefunden, den ihr gesucht habt", soll Mladic die Frage eines Polizisten, der als Erster sein Haus betrat, erwidert haben. Dacic zufolge hatte sich Mladic unter "sehr schwierigen Bedingungen" versteckt.

Petritsch vermutet Hilfe von Geheimdiensten
Mladic hat bei seiner langjährigen Flucht wohl Unterstützer gehabt, vermutete Österreichs Botschafter bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Wolfgang Petritsch, am Freitagabend in einem Gespräch im ORF. Dem 69-Jährigen müssen Kreise des serbischen Militärs und der Geheimdienste geholfen haben, "so lange in Freiheit zu bleiben", erklärte Petritsch. "Aber dieses Kapitel ist jetzt abgeschlossen."

Petritsch war Ende der 1990er-Jahre österreichischer Botschafter in Serbien und während der Kosovo-Krise EU-Vermittler gewesen, später hatte er das Amt des internationalen Bosnien-Beauftragten in Sarajevo innegehabt. Den Zeitpunkt der Festnahme von Mladic sah Petritsch auch in Verbindung mit der fortschreitenden EU-Annäherung Kroatiens. "Der Druck aus Brüssel war immer da", meinte Petritsch. Durch den zunehmend näher rückenden EU-Beitritt Kroatiens sei aber der Zeitpunkt dafür gekommen gewesen.

UNO-Tribunal nominierte Richter-Team
Indes hat das ICTY, das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im einstigen Jugoslawien, das Richterteam im Fall Mladic nominiert. Laut einer ICTY-Aussendung vom späten Freitagabend handelt es sich um den Deutschen Christoph Flügge (63), den Niederländer Alphons Orie (63) und den Südafrikaner Bakone Justice Moloto (66). Flügge war in Deutschland Staatssekretär gewesen und hatte sich in Fachkreisen vor allem als Experte für den Strafvollzug und einem Bekenntnis zur Liberalität einen Namen gemacht. Orie, der für den Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic zuständig ist, gehört seit 2001 zu den 16 ständigen Richtern des ICTY. Auch Moloto gehört dem Tribunalssenat im Karadzic-Prozess an.

Proteste in bosnischer Serben-Hochburg Pale
Gegen die Auslieferung von Mladic an das UN-Kriegsverbrechertribunal haben am Freitagabend rund 2.000 bosnische Serben in der Kleinstadt Pale, die während des Bürgerkriegs von 1992 bis 1995 eine Hochburg der bosnischen Serben war, protestiert. Die Demonstranten, unter denen zahlreiche frühere Soldaten waren, warfen der serbischen Regierung Verrat vor. Die Männer versammelten sich auf dem Hauptplatz der nahe Sarajevo in der Republika Srpska gelegenen Kleinstadt.

"Ich bin enttäuscht vom Verhalten Serbiens, ich bin traurig. Das ist ein Verrat Belgrads. Sie haben einen Helden, einen Soldaten, der das serbische Volk verteidigt hat, ausgeliefert", sagte etwa der 48-jährige Slobodan Batinic, der während des Bürgerkriegs aufseiten der bosnischen Serben gekämpft hatte. Ein anderer Ex-Soldat, der 50-jährige Marko Mirkovic, würdigte Mladic als "den Stolz des gesamten serbischen Volkes", ohne den es die Serbische Republik in Bosnien mit Pale als Hauptstadt niemals gegeben hätte.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele