„Krone“-Reportage

An der Grenze zur letzten Diktatur Europas

Politik
24.08.2021 20:00

Seit Monaten macht der autoritäre weißrussische Machthaber Alexander Lukaschenko Flüchtlinge zum Spielball seiner perfiden Vergeltung an der EU. Er holt Migranten ins Land und schickt diese dann gezielt nach Litauen. Ein Lokalaugenschein an der Grenze zur Diktatur.

Über Facebook habe er erfahren, dass die Grenze offen ist, berichtet Abdul Hamid, der in Badeschlapfen hinter einem Zaun steht und nicht auf die andere Seite kann. Seine Schuhe hat er auf dem Marsch verloren, 2500 hat er für die Schleppung in die EU bezahlt. Abdul Hamid (38), er stammt aus Syrien, spricht fließend englisch, er berichtet, dass er als Uni-Professor gearbeitet hat, Kommunikationsingenieur ist, aber auch kritischer Autor und Blogger.

„Nach Syrien kann ich nicht zurück“
Und deshalb sei er in Syrien nicht sicher, auch in Saudi -Arabien, wo er zuletzt lebte, habe es Anschläge auf sein Leben gegeben. Er flog nach Moskau, von dort wurde er mit dem Auto weiter nach Belarus gebracht. Wie es für ihn weitergeht? „Ich will in jedem Land leben, in dem ich meine Studien und Forschungen weiterführen kann“, sagt er. Nach Syrien könne er nicht zurück.

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Der Missbrauch von Migranten als Druckmittel ist ein neuer zynischer Höhepunkt des weißrussischen Regimes.

Außenminister Alexander Schallenberg

„Ich habe einen Fehler gemacht“
Neben Abdul Hamid steht Ali, ein 36-jähriger Iraker. „Woher kommen Sie?“, fragt er die österreichische Delegation auf Deutsch. Der Mann, der gemeinsam mit seinem Sohn in dem Camp wohnt, musste aus seiner Heimat fliehen und hat viereinhalb Jahre in Thüringen in Deutschland gelebt, erzählt er. Dort hat er die Sprache gelernt, die Visitenkarte seines ehemaligen Arbeitgebers steckt noch immer in der Brieftasche. „Doch ich habe einen Fehler gemacht“, berichtet Ali. Seine Mutter war schwer krank und wollte, dass er sie in Bagdad besucht. Das hat er gemacht, nun versucht er erneut als Flüchtling nach Deutschland zu kommen. Vorerst sitzt er hier fest.

Grenze nur 20 Kilometer von Vilnius entfernt
Die Grenze, die teils nur 20 Kilometer von der Hauptstadt Vilnius entfernt verläuft, ist in den internationalen Fokus gelangt, denn der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko rächt sich mit einem menschenverachtenden und zynischen Vorgehen an der EU. Seit der gefälschten Präsidentenwahl im vergangenen Jahr steht Weißrussland in der Kritik Europas. Als die Union die Sanktionen gegen das autoritäre Regime im Juni verschärfte, drohte Lukaschenko, die Nachbarländer mit Migranten zu fluten.

Diese Drohung setzt er nun seit Wochen in die Tat um. Mehrmals pro Woche wurden Flüge aus Istanbul und Bagdad nach Minsk organisiert, die staatliche irakische Fluggesellschaft hatte zuletzt die Zahl der Flüge sogar verdoppelt. Mittlerweile wurden die Verbindung auf Druck der EU eingestellt.

Drei-Sterne-Hotel und Transfer mit dem Taxi
Es gibt Berichte von Migranten, denen zufolge die Flüchtlinge in Drei-Sterne-Hotels untergebracht und dann mit Taxis an die Grenze nach Litauen gebracht werden. Vor Kurzem veröffentlichte die EU-Grenzschutzbehörde Frontex ein Video, auf dem zu sehen ist, wie Migranten in Jeeps bis kurz vor die Grenze chauffiert werden.

Seit Mai kamen mehr als 4000 Menschen illegal von Weißrussland über die Grenze. Im gesamten vergangenen Jahr waren es 81. Litauen will nun auf 500 Kilometern der 680 Kilometer langen Grenze einen Zaun errichten. Österreich hilft beim Einsatz mit 13 Cobra-Beamten sowie 50 Wohn- und Sanitärcontainern. Es brauche eine klare Antwort der EU auf diesen „Akt des Zynismus“, so Außenminister Alexander Schallenberg.

Und Innenminister Karl Nehammer nutzte den Besuch in Litauen dazu, indirekt auf Afghanistan zu sprechen zu kommen und erneut die EU-Kommission zu kritisieren. Man müsse darüber reden, illegale Migration zu verhindern, statt über die zusätzliche Aufnahme von Migranten zu reden.

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Die EU darf sich auf gar keinen Fall erpressen lassen. Daher zeigt sich Österreich solidarisch, wenn es darum geht, die Außengrenze zu schützen.

Innenminister Karl Nehammer

Abdul Hamid, Ali und die anderen Flüchtlinge stehen hinter dem Zaun und blicken der österreichischen Delegation nach, als diese wieder abfährt.

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