Polizeichef über Lage

Auf Tirol rollt eine neue Flüchtlingswelle zu

Tirol
08.08.2021 11:52

Sein Start als Tiroler Landespolizeidirektor hätte turbulenter nicht sein können. Denn nahezu gleichzeitig trat bundesweit ausgerechnet in Innsbruck erstmals das tödliche Corona-Virus auf. Für Edelbert Kohler hieß es von Beginn an Krisenmanagement zu einem Thema, bei dem keiner eigentlich was Näheres wusste. Im „Krone“-Interview geht Kohler auch auf die aktuelle Flüchtlings-Thematik ein.

„Krone“: Herr Kohler, wenn Sie an Ihren Start zurückdenken, was blieb in Erinnerung?
Edelbert Kohler:
Die Corona-Anfangszeit kann man sicher Chaos-Phase nennen. Da ging es Schlag auf Schlag. Kontrollen an den Grenzen. Personal und Infrastruktur am Brenner auffahren. Ich weiß bis heute nicht, wie wir das in zwei Tagen geschafft haben. Wir haben sämtliches Personal dafür gebraucht. Das ging nur deshalb, weil es sofort eine Urlaubssperre gab und alle Aufgaben, wie etwa im Bereich Verkehr oder Kriminalität, in den Hintergrund rückten. Wenn ich es so sagen darf: Es waren ja aufgrund der Ausgangssperren die Gauner auch im Homeoffice.

Und wie sieht es derzeit mit den Verbrecherzahlen aus?
Ich will mich nicht auf Zahlen festlegen. Aber natürlich hat Corona dafür gesorgt, dass die Delikte im öffentlichen Raum massiv zurückgegangen sind, konkret Körperverletzungen, Diebstähle aller Art, Einbrüche etc. Auf der anderen Seite nahmen die Delikte im Internet extrem zu. Mittlerweile hat sich die Lage „normalisiert“. Unser Klientel ist wieder vermehrt aktiv. Es gibt mehr Einbrüche, vor allem mehr Fahrzeugeinbrüche, aber auch die Gewaltdelikte steigen wieder an. Somit merkt man also auch in der Kriminalität, dass die Normalität zurückkehrt.

Es gibt immer wieder Vorwürfe an die Polizei, sie würde vermehrt Informationen zu Verbrechen zurückhalten, damit die Bevölkerung nicht alles erfährt und die Menschen das Gefühl haben, das Land ist sehr sicher. Verschweigt die Polizei wirklich Vorfälle?
Das muss ich entschieden in Abrede stellen. Natürlich gibt es Sachverhalte, die wir nicht gleich an die Öffentlichkeit bringen, weil im Hintergrund Ermittlungen laufen und diese nicht gefährdet werden sollen. Aber wir sind stets bemüht, an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn wir konkrete Ergebnisse haben und diesen Schritt auch vertreten können.

Beispielsweise erfährt man aber von Vergewaltigungen nie etwas – in der Jahresbilanz der Polizei für 2020 schienen dann plötzlich 87 Fälle auf?
Nicht nur Vergewaltigungen, sondern die sogenannten Sittlichkeitsdelikte sind ein sehr sensibles Thema, wo der Opferschutz klar vor öffentlichem Interesse steht. Wir versuchen bei derartigen Vorfällen den Ausgleich zu finden. Einerseits geht es um das Recht der Bevölkerung, Bescheid zu wissen, was sich in der Stadt und im Land tut. Auf der anderen Seite aber dürfen wir nicht zu viel sagen, was möglicherweise auf die Identität des Opfers hinweisen könnte. Das ist wichtig. Bewusst vertuschen tun wir nichts.

Aktuell gibt es wieder vermehrt Befürchtungen, dass eine neue Flüchtlingswelle auf Österreich zukommt. Im Süden, sprich Burgenland, Steiermark und Kärnten, steigen die Zahlen. Und in Tirol?
Ist es grundsätzlich auch nicht besser. Von einer großen Flüchtlingswelle können wir aber definitiv noch nicht sprechen, wenngleich uns massive Steigerungen bevorstehen. Indikator sind hier die Anlandungen in Italien. Da sehen wir jetzt schon, dass sich diese gegenüber dem Vorjahr verdoppelt haben. Bis Anfang August waren es heuer rund 30.000, im Vorjahr 14.000. Aber die starken Monate sind August und September. Faktum ist, dass viele Menschen kommen werden und wir wissen, dass die Balkanroute mittlerweile schon über Slowenien und Italien ausweicht. Hier kommt also der Brenner ins Spiel.

Wie bereitet sich die Polizei aktuell darauf vor?
Zunächst geht es um Informationsmanagement mit den italienischen Kollegen, um zu sondieren, was auf uns zukommen kann. Die Kontrollen für die Gesundheitsbehörden an den Grenzen haben sicher dazu beigetragen, dass viele Leute noch in Italien geblieben sind. Aber diese machen sich auf den Weg, sobald keine Polizei mehr zu sehen ist.

Hat man die Einsatzkräfte am Brenner bereits verstärkt?
Ja. Die sogenannten AGM, also die Ausgleichsmaßnahmen nach Schengen, haben wir schon länger verstärkt. Das Bundesheer ist auch wieder mit im Boot, nachdem es zuletzt für andere Aufgaben benötigt wurde. Wir kontrollieren bereits vermehrt bei Güterzügen und bei den Flixbussen, die in der Vergangenheit intensiv genutzt wurden. Die Aufgriffszahlen gehen jetzt schon deutlich nach oben.

Das heißt konkret was?
Heuer haben wir bis Ende Juli knapp 1900 Menschen aufgegriffen, im Vergleich dazu im Vorjahr 1500. Allerdings werden wesentlich weniger Asylanträge bei uns gestellt, weil die Aufgegriffenen nach Deutschland etc. wollen. Wir werden aber personell weiter aufrüsten und Schwerpunkte setzen.

Täuscht es oder macht die Polizei wieder Jagd auf Autofahrer, um abzukassieren?
(Lacht). Ich glaube, die Leute sind es nach eineinhalb Jahren einfach nicht mehr gewohnt, dass die Polizei präsent ist und ihren ursprünglichen Aufgaben nachkommt. Wir stehen sicher nicht hinter jedem Eck und es gibt auch keinen Auftrag des Finanzministeriums. Wir erfüllen unseren gesetzlichen Auftrag. Wer sich an die Vorschriften hält, dem passiert nichts.

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