Leiden unter Pandemie

100.000 Seeleute auf Frachtern „gefangen“

Ausland
21.07.2021 15:38

Sie fühlen sich vergessen von der Welt, haben ihre Familien seit Monaten nicht mehr gesehen und wissen nicht, wohin die Reise als Nächstes geht. Rund 100.000 Seeleute schippern derzeit auf riesigen Containerschiffen über die Weltmeere und dürfen wegen der neuen Corona-Wellen in ihren asiatischen Heimatländern oft nicht von Bord. Die wenigsten von ihnen sind geimpft, Depressionen und Suizide nehmen zu.

Viele Seefahrer wollen ihren Job an den Nagel hängen, wie Gewerkschaften berichten. Die globalen Lieferprobleme könnten deshalb noch schlimmer werden.

„Ich habe gestandene Männer weinen sehen“, sagt Kapitän Tejinder Singh, der seit über sieben Monaten keinen festen Boden mehr unter den Füßen hatte und nicht sicher ist, wann er nach Hause kann. Sein letzter Einsatz dauerte elf Monate - länger ist nicht erlaubt laut UN-Seefahrtsübereinkommen. „Wir sind vergessen und werden als selbstverständlich angesehen“, klagt der Inder. „Die Leute da draußen machen sich keine Gedanken darüber, wie die Regale in ihren Supermärkten gefüllt werden.“

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Ich habe gestandene Männer weinen sehen.

Kapitän Tejinder Singh

Seit Monaten keinen Tag Pause
Die meisten der rund 100.000 auf den Weltmeeren gestrandeten Seefahrer hatten in den vergangenen Monaten keinen Tag Pause an Land, berichtet die Internationale Schifffahrtskammer (ICS). In der Regel dauern ihre Einsätze auf den Containerschiffen drei bis neun Monate.

Auf der anderen Seite sitzen ebenfalls schätzungsweise 100.000 Seefahrer an Land fest und können nicht an Bord der Schiffe gehen, auf denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen.

Die meisten der etwa 1,7 Millionen kommerziellen Seeleute weltweit kommen aus Asien, mehr als ein Drittel stammt aus Indien und den Philippinen. In vielen asiatischen Ländern wütet die Delta-Variante des Virus und Regierungen untersagen es, dass die Besatzungen an Land gehen dürfen - manchmal wird ihnen sogar medizinische Versorgung verweigert.

Humanitäre Krise auf hoher See
Die Vereinten Nationen sprechen von einer humanitären Krise auf hoher See und setzen sich dafür ein, dass Regierungen Seeleute als systemrelevante Arbeitskräfte einstufen und sie so schneller geimpft werden können. Laut Schätzungen der ICS sind gerade einmal 2,5 Prozent der Seefahrer geimpft. Die meisten von ihnen kommen aus Entwicklungsländern, wo Regierungen Probleme haben, ausreichend Impfstoffe für ihre Bevölkerung zu besorgen.

Deshalb fordert die ICS wohlhabendere Länder auf, dem Beispiel der USA und der Niederlande zu folgen und Seeleute jeglicher Nationen zu impfen, die zum Be- oder Entladen in ihre Häfen kämen. Dazu gebe es eine moralische Verpflichtung.

Seefahrt für die ganze Welt wichtig
Dass die Seefahrer ihrer Arbeit weiterhin nachgehen, ist wichtig für die ganze Welt: Auf Containerschiffen werden rund 90 Prozent der globalen Waren transportiert. Fehlen Arbeitskräfte, könnten Öl, Eisenerz, Lebensmittel und elektronische Teile knapp werden. In einigen Branchen gibt es schon Lieferengpässe aus anderen Gründen. „Wir sind ernsthaft beunruhigt, dass sich am Horizont eine zweite globale Besatzungskrise abzeichnet“, sagt ICS-Generalsekretär Guy Platten. 2020 gab es ähnliche Probleme, als wegen der Pandemie 200.000 Seeleute eine Zeit lang nicht von anderen Crews abgelöst werden konnten.

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