„Krone“-Interview

Sweeney & Billy: Kreative Working-Class-Superwölfe

Musik
03.05.2021 08:00

Wenn zwei Granden des amerikanischen Working-Class-Sounds trotz all ihrer künstlerischen und persönlichen Unterschiedlichkeiten aufeinandertreffen, sei zum genauen Hinhören geraten. Will Oldhama aka Bonnie „Prince“ Billy und Matt Sweeney haben sich 16 Jahre nach dem Sensationsdebüt „Superwolf“ zusammengefunden, um „Superwolves“ nachzulegen. Doch im Gespräch mit der „Krone“ ging es auch um dystopische Zukunft, die Kraft der Emotionen und die Wichtigkeit des Überraschungsmoments.

(Bild: kmm)

Bonnie „Prince“ Billy heißt eigentlich Will Oldham, wurde an Heiligabend 2020 50 Jahre alt, lebt im ruralen Louisville in Kentucky und ist aus der US-amerikanischen Musikszene schon seit Dekaden nicht mehr wegzudenken. Als Vorreiter der Alternative Country-, Folk- und Singer/Songwriterschiene veröffentlichte er nicht nur zahlreiche fantastische Soloalben, sondern kooperierte mit unterschiedlichsten Künstlern von David Byrne über PJ Harvey bis Matt Sweeney. Der ist ein gutes Jahr älter, aber seit mehr als zwei Dekaden nicht nur Kreativpartner, sondern auch guter Freund Oldhams. Der New Yorker spielte früher in Skunk, Chavez und mit Smashing-Pumpkins-Exzentriker Billy Corgan bei Zwan, kollaborierte mit so unterschiedlichen Charakteren wie Neil Diamond, Kid Rock oder Run The Jewels und produzierte Alben von Turbonegro und der All-Star-Band Probot.

2005 erschien ihre wegweisende Kooperation „Superwolf“, die sie mangels großer Erwartungen und aufgrund steter Interview-Unlust Oldhams erst gar nicht groß bewarben - und dann vom Erfolg überrollt wurden. Kritiker und Fans jubilierten gleichermaßen und das feingliedrige und ehrliche Handarbeitswerk strahlte über die Indie-Grenzen hinaus. Frei nach dem Prinzip „never change a running system“ begannen die beiden guten Freunde nach vereinzelten, losen Kooperationen vor etwa fünf Jahren an etwas, das anfangs nicht näher definiert war. Wie schon zu Beginn von „Superwolf“ 2003 schickte Oldham seine Text an Sweeney, der bei sich zuhause das musikalische Fundament dazu baute. Zu einem Album wurde das nun vorliegende „Superwolves“, das geschlagene 16 Jahre nach der ersten Kooperation entstand, nur sehr langsam, denn beide unterlagen weder Pflichten noch Zwängen. Die zwei sympathischen Weirdos hatten heuer Lust auf Gespräche und gaben im gemeinsam Talk nähere Einblicke in die wiederentflammte Arbeitsbeziehung.

„Krone“: Matt, Will - im Zuge eures brandneuen Albums „Superwolves“ spielt ihr im Juni acht Konzerte in Kalifornien. Das ist bei uns und den strengen Corona-Restriktionen quasi noch immer undenkbar…
Bonnie 
Prince Billy/Will Oldham: Es muss halt draußen passieren, es dürfen nur wenige Menschen zusehen und man muss Abstand halten und sollte Masken tragen. Ganz so romantisch ist das dann doch nicht. (lacht)
Matt Sweeney: Wir fühlen uns aber gut dabei und machen uns nicht viele Sorgen. Wir sind einfach froh, dass sich diese Möglichkeit nun endlich auftut.

Als Musiker, die seit Dekaden oft und gerne auf die Bühne gehen - wie glaubt ihr, wird die erste Liveshow werden? Wird sie sich total anders, vielleicht sogar befremdlich anfühlen?
Oldham:
Es wird garantiert anders. Das Ziel der Booking-Agenturen und Veranstalter ist es natürlich immer, das Publikum zu erhöhen und möglichst viele Leute in einen Saal zu pferchen. Ich hingegen präferiere die Stärke und Intimität, die ein Konzert vor einem kleinen Publikum mit sich bringt. Diese wundervolle Pandemie gibt uns nun die Möglichkeit genau das zu tun und ich bin schon sehr aufgeregt. (lacht)

Die Songs von „Superwolves“ habt ihr schon vor einiger Zeit vor einem kleinen und ausgewählten Publikum gespielt, das gar nicht wusste, was auf sie zukommt. Was mögt ihr an dieser Form des Präsentierens von neuem Material?
Sweeney:
Das letzte Mal spielten wir vor einer sehr intimen Zuschauerschar, wovon wir aber sehr viele Leute persönlich kannten, was es eigentlich noch intimer macht. Wir haben es im Plattenladen von Louisville gespielt, da war nicht viel Platz. Wir machen das immer so, wenn es uns irgendwie möglich ist. Aber warum eigentlich, Will?
Oldham: Es ist ein wundervoller und notwendiger Teil unserer persönlichen Verrücktheit. Kennst du das Gefühl, wenn du deinen Lieblingssong im Auto aufdrehst, weil du ihn deinem Mitfahrer vorspielen willst und plötzlich verändert sich die Energie? Der Mitfahrer reagiert vielleicht nicht wie gewünscht oder gar nicht und du verstehst nicht wieso, weil es ja der beste Song der Welt ist. Plötzlich ist er es aber nicht mehr und alles dreht sich. So ist das auch live. Jeder einzelne Zuseher im Publikum hat den Wert, einen Song völlig zu verändern. Für uns ist das ein bisschen ein Test, wie gut uns der Song dann selbst gefällt, wenn andere darauf reagieren - oder eben nicht.
Sweeney: Interviews machen wirklich Spaß, weil Will und ich die Musik, die wir zusammen machen, nie so genau analysieren wie wir es in Gesprächen tun müssen. Wir beide schätzen es sehr, Musik ohne großen Kontext zu hören. Wir spielen uns gegenseitig Dinge vor, ohne Erklärungen dazu abzugeben. So machen wir das dann bei diesen Gigs, wo wir dem Publikum etwas vorwerfen, das es nicht kennt und nicht einordnen kann. Du siehst dann unmittelbar was passiert und für mich ist das einer der besten Wege, neue Musik zu spüren. Ich bin 2002 einmal zu einem falschen Konzert gegangen, weil es mir einfach so passiert ist. Da standen dann irgendwelche Typen auf der Bühne, die Basssoli hinlegten und in dem Moment war es das Beste, was ich je gesehen habe. Es war überraschend und unerwartet und das war großartig. Wir wollen die Leute überraschen, denn so öffnen sie Augen und Ohren.

Matt, du bekommst für gewöhnlich die Texte von Will ohne große Erklärungen und schreibst dann die Musik dazu. Ist das manchmal richtig harte Arbeit oder fließt das alles so ineinander, dass du die richtige Melodie dazu schon spürst?
Sweeney:
Das ist absolute Magie. (lacht) Nein, es ist oft schon herausfordernd. Manchmal entsteht etwas wie von selbst und manchmal habe ich lange daran zu kiefeln. Wenn ich aber genau daran zurückdenke, dann gab es schon Momente, wo ich hier auf meiner Couch saß und nicht und nicht finden konnte, wonach ich suchte. Musikmachen kann schon harte Arbeit sein. (lacht)

Will, hast du nicht automatisch Songstrukturen, Hooks oder Melodien im Kopf, wenn du die Texte noch nackt an Matt schickst? Denkst du als Gitarrist nicht automatisch an den Sound?
Oldham:
Ich versuche mir immer eine gewisse Art von musikalischer Form zu vergegenwärtigen, bevor die Texte dann bei Matt landen. Es wäre vielleicht ein weises Experiment, ihm Texte noch freier und ungeordneter zu schicken, aber ich bin ein Teamplayer und so kriegt er alles in einer gewissen Form von mir. Das kann eine Strophe sein, ein Refrain oder eine deutliche Textpassage. Vieles ist oft verschwommen, aber ich bemühe mich, Dinge zu ordnen. Deine Frage gefällt mir aber, denn sie motiviert mich dazu, Matt viel abstraktere Ideen zu schicken. (lacht)
Sweeney: Will, schreibst du deine Texte eigentlich immer mit einer Melodie im Kopf oder passiert das manchmal auch ganz anders? Es gibt durch die Zusammenarbeit aber definitiv mehr Struktur in den Songs, denn wenn ich alleine an Songs arbeite, dann gehe ich die Dinge von so vielen verschiedenen Ecken an, dass alles noch viel konfuser klingt. Wir haben ein Verständnis, das uns in den fertigen Songs eine Form gibt. Das würde ich alleine gar nicht schaffen.

Ihr seid ja nicht nur professionelle Musiker, sondern auch seit langer Zeit wirklich gute Freunde, die Ansichten und Interessen teilen. Ist es dadurch schwieriger, den anderen noch zu überraschen?
Sweeney:
Nein, keinesfalls. Eine gute Freundschaft oder Partnerschaft kann auch durch die Tatsache verstärkt werden, dass du nie genau weißt was der andere im nächsten Moment vorhat. Vielleicht gefällt es dir, vielleicht verstört es dich. (lacht) Es ist eigentlich immer überraschend. Ein bisschen wie eine Konversation.

Wo liegen denn eure Stärken und Schwächen, die schlussendlich zu dieser fruchtbaren Zusammenarbeit in einer angenehmen Ko-Union führen?
Sweeney:
Aus irgendeinem Grund standen wir musikalisch schon immer Rücken an Rücken zusammen.
Oldham: Wir sind gesegnet. Das Gute an einer starken Arbeitsbeziehung oder Freundschaft ist die Tatsache, dass es keine Verblendung gibt. Deine Frage ist interessant, denn Stärken und Schwächen können gleichermaßen herausfordernd sein. Wir wissen um die Stärken und Schwächen des anderen und können dadurch so gut zusammenarbeiten. Schwächen muss man in einer Partnerschaft aushalten, denn nur so kann man das lange machen.
Sweeney: Man braucht auf jeden Fall Geduld. (lacht)
Oldham: Geduld und Verständnis. Das ist extrem wichtig.

2005 entstand euer erstes Album „Superwolf“, das in der Indie-Szene zum Kultwerk wurde, aber ihr habt so gut wie keine Interviews dazu gegeben und es medial nicht beworben. Seitdem seid ihr für einzelne Songs und Projekte immer wieder zusammengetroffen, aber erst vor knapp fünf Jahren habt ihr aktiv am neuen Album „Superwolves“ zu arbeiten begonnen. Wie wurde es nach so langer Zeit jetzt fertig?
Sweeney: Die Pandemie hatte mit dem Album und seiner Veröffentlichung nichts zu tun. Wir sind heuer wesentlich aktiver bei Interviews und anderen Werbemöglichkeiten, als es vor 16 Jahren der Fall war.
Oldham: Es überbrückt die Zeit und wir haben dadurch immer was zu tun. Daheim ist es ja schnell langweilig.
Sweeney:(lacht) Korrekt. Es macht uns einfach Spaß und es war meine Idee, für dieses Album Interviews zu geben. Ich habe dabei mehr Spaß als ich dachte.
Oldham: Aber um zu deiner Frage zurückzukommen - das Mdou-Moctar-Ensemble war entscheidend dafür, dass wir vor etwas mehr als einem Jahr endgültig in die Gänge kamen. Wir kannten diese tollen Musiker schon seit Jahren und dieses Mal gab es wieder die Möglichkeit, im Studio mit ihnen zu arbeiten. Das machte so viel Spaß und so haben wir endlich ernsthaft an dem Album gearbeitet. Diese Zusammenarbeit war entscheidend dafür, dass es wirklich weiterging. Als sie wieder in die USA reisen durften, hatten wir schon das Studio gebucht und die Songs bereit. Wir haben die Jungs quasi als Grund dafür gebraucht, unsere Ärsche in Gang zu bringen.
Sweeney: Wir hatten eine Vorstellung davon, wie das mit den Jungs klingen könnte, aber sie haben das Album so unglaublich aufgewertet, das kann man mit Worten gar nicht beschreiben.

Auch die Voraussetzungen für dieses Album waren ganz anders als für euer Erstwerk 2005. Matt, du warst damals ziemlich am Boden, das Zwan-Projekt mit Billy Corgan endete ziemlich unschön und du warst zu der Zeit etwas orientierungslos. Diese persönliche Dringlichkeit war jetzt bei „Superwolves“ nicht mehr gegeben - hat das den Klang des Albums beeinflusst?
Sweeney:
Ich glaube schon. Wir sind 16 Jahre älter und reifer, schon allein das ändert vieles. Als Will mir 2003 den Vorschlag unterbreitete an den Songs für „Superwolf“ zu schreiben, war ich tatsächlich völlig verloren. Er hat mir damals einen Sinn im Leben verschafft. Jetzt bin ich auf jeden Fall solider und das hat natürlich Einfluss auf die Musik.

Will, du hast in einem Interview einmal gesagt, am Wichtigsten wäre dir mit Musik direkt das Herz und die Emotionen der Menschen zu berühren. Habt ihr das als Prämisse im Kopf, wenn ihr Songs komponiert?
Oldham:
Wir versuchen immer eine Verbindung zu den Leuten herzustellen. Aber nicht in einer simplen „wir alle sind Menschen“-Art-und-Weise, sondern spezieller. Es ist quasi unmöglich eine Verbindung zu einem sehr großen Publikum herzustellen. Allein deshalb sind kleinere Konzerte angenehmer, weil man sich viel besser auf die einzelnen Personen fokussieren kann. Dann kommt die Tatsache hinzu, dass nicht jeder in jedem Moment dieselben Emotionen geben kann, weil er vielleicht gerade selbst in einer unruhigen Phase steckt und sich nicht fallen lassen kann. Die emotionale Verbindung zwischen mir, meiner Musik und dem Publikum ist mir im Endeffekt wichtiger als die kommerzielle, wo es darum geht: ich mache die Musik und du kaufst sie.

Das Thema Tod ist auf „Superwolves“ sehr oft zu finden. Manchmal direkter, manchmal stärker hinter Metaphern versteckt. Es gibt zum Beispiel den Song „Hall Of Death“ und den Track „God Is Waiting“, wo es darum geht, das eine fiktive Person mit dem Tod konfrontiert wird, der weiblich ist. Wie kam es dazu?
Sweeney:
Der Tod hat einen kräftigen Einfluss auf jede einzelne Facette in all unserer Leben. Wir sind geboren, um unsere Geliebten zu verlieren, das ist unumgänglich. Der Tod ist direkt neben dem Leben, der Liebe und dem Lachen angesiedelt.
Oldham: Musik ist prinzipiell mysteriös und ein sehr gutes Medium, um derartige Themen zu behandeln. Sie erlaubt uns in ihrer besten Form, die Schilder runterzunehmen und uns verletzlich zu machen. Wenn das passiert, dann kannst du Musik und das Leben neu erfahren und erleben. Das ist auch der Grund, warum es so viele Songs über Liebe und Sex gibt, weil es dort ähnlich ist. Meiner Meinung nach gibt es zu wenige Songs, die sich um das Geld drehen, denn das ist auch ein mysteriöser Fakt, der unser aller Leben regiert, aber musikalisch noch viel zu wenig beackert wurde. Wenn du an Songs über Geld denkst, dann an furchtbare Nummern wie Pink Floyds „Money“ oder Songzeilen wie „Money makes the world go ‘round“. Es wäre sicher eine interessante Herausforderung, ein Album über Geld zu schreiben.
Sweeney: Ich will aber hinzufügen, dass Leute wie wir, also mittelalte weiße Typen, nicht so oft über das Thema schreiben, doch im Rap ist das Thema Geld extrem stark vorhanden. Es kommt aber immer darauf an, wo und wie du das beobachtest. Natürlich kannst du Rap mit vielen Bespielen darauf reduzieren, aber das wäre dann wieder pauschalisiert und zu kurz gedacht.

Gibt es einen Song auf „Superwolves“, der euch zum Album geführt hat? Eine Art Initialzündung für das nun vorliegende, fertige Projekt?
Sweeney:
Das kann man nicht so genau festmachen, weil wir uns ja nie in einer Bandposition befanden. Will schickte mir mehrere Texte auf einmal und ich arbeitete daran - so entstand das Ganze ohne bestimmten Fixpunkt oder Plan, wie man jetzt loslegt.
Oldham: Die ersten Songs waren „Good To My Girls“ und „You Can Regret What You Have Done“. Es gab auch eine Textzeile, die ich sehr früh schickte, bei der aber Matts Musik dazu erst sehr spät zurückkam.
Sweeney: „My Body Is My Own“, dieser Text hat mich wirklich herausgefordert. Ich schätze alle Texte von Will, aber dieser war so stark und speziell, dass ich eine Zeit brauchte, um den richtigen Sound dafür zu finden. Es war einer der letzten Songs, der dann fertig wurde.

Der Album-Opener „Make Worry For Me“ war dafür der allerletzte Song, den ihr für das Album geschrieben habt. Ist der nun bewusst als Einstieg positioniert? Als ein Zeichen?
Sweeney:
Der Text kam sehr spät, aber hier hatte ich sehr schnell eine bestimmte Vision davon, wie er klingen sollte. Es war das perfekte Statement für einen Opener, aber das habe ich Will nicht gesagt, weil ich es schlichtweg vergaß. (lacht) Wir haben dann also bei der Feinabstimmung noch einmal diskutiert, was wiederum zu der Frage führte, womit wir das Album abschließen wollen. Ich schlug „You Can Regret What You Have Done“ vor, aber Will meinte, es wäre ein ziemlicher Bummer, damit das Album zu beschließen. (lacht) Will hat sich dann an einen alten Song erinnert, der nie veröffentlicht wurde und so landete dann noch „Not Fooling“ als Closer am Album.
Oldham: Wir haben den Zirkel also mit einem Song geschlossen, den wir selbst zwischenzeitlich schon vergessen hatten.
Sweeney: Den Song hat David Blaine schon als Abschluss für seine Zaubershow verwendet, aber aus irgendeinem magischen Grund hat er letztendlich auch ohne Kontext perfekt ins restliche Album reingepasst.

„Superwolves“ klingt wie aus einem Guss. So als ob man von Song eins zu Song 14 in einem gemütlich laufenden Fluss schwimmen würde. Fühlt man das als Songwriter schon im Vorfeld oder muss man da viel drehen und ändern, bis es so natürlich und kongruent klingt?
Oldham:
Ich bin so froh, dass du das so beschreibst, weil das natürlich das Schönste ist, was passieren kann. Es zeigt, dass jeder Song richtig platziert ist und das ist signifikant für das Gesamtfeeling. Am Anfang des Albums bricht etwas auf und mit Fortdauer versteht man diesen Aufbruch, der sich dann am Ende legt. Ich habe das Album oft durchgehört und hatte das Gefühl einer Reise und einer Erleichterung, das mich zum weinen brachte. Ich wusste irgendwann, dass „Superwolves“ mit seinem Klang einfach für all die Mühen und die Arbeit entlohnt. Das hatte ich nicht oft bei meinen Alben in den letzten Jahren. Das liegt vielleicht auch daran, dass Musik heute ganz anders konsumiert wird und diese Konzentration in den letzten zehn bis 15 Jahren verlorenging. Wir hatten keine Deadline bei diesem Album und konnten tun was und wann wir wollten. „Superwolves“ führt mich zu dem schönen Gedanken zurück, der mich seit meinen frühen Tagen begleitet: dass es mein größter Wunsch ist, Alben zu machen. Es funktioniert von Anfang bis zum Ende und das ist wie ein Film oder ein Buch. Das ist die Stärke des Mediums Album, das leider immer stärker an Popularität verliert.

In der Musik geht immer alles in Wellenbewegungen. Trends kommen und gehen, aber sind die immer kürzer werdende Aufmerksamkeitsspanne der Hörer und die Spotifysierung der Musik, überhaupt noch umkehrbar?
Sweeney:
Man muss sich aber auch vergegenwärtigen, dass dieses Hinsetzen und 45 Minuten lang konzentriert Musikhören vor 1966 auch nicht existent war. Davor gab es ja auch nur Singles - und eben Konzerte. Ich will nicht des Teufels Advokat sein, aber wir scheinen das Gefühl für ein Album an sich langsam zu verlieren. Es ist meine Lieblingsform von musikalischer Kunst, aber wenn du dir die ganze Geschichte der Musik ansiehst, ist es verdammt neu und jung. Es kann auch wieder an Popularität gewinnen. Ein Album wie „Superwolves“ ist dazu gedacht, es durchzuhören. Nach diesen Kriterien wurde es auch gefertigt.
Oldham: Ich hatte vor ein paar Tagen eine wundervolle, dystopische Fantasie, die ich mit euch teilen möchte. Wir leben jetzt in einer Welt der boomenden Kryptowährungen, wo man sich nicht sicher sein kann, ob und wie man investieren soll. Ich glaube, wir werden irgendwann zurückschauen und diese aktuelle Phase als eine „Wilden Westens“ des Internetzeitalters reflektieren. Ich hatte die Vision, dass irgendwann einmal jeder nur eine Stunde Internet pro Tag zur Verfügung hätte und dann würde sich auch jeder gut überlegen, ob er in dieser Zeit nicht lieber ein rundes, schönes Album genießt, anstatt einer Playlist, die von einer KI erstellt wurde. Man kann in dieser Vision eben nicht mehr alles zu jeder Zeit und gratis machen. Ich bin überzeugt davon, dass wir in der Zukunft wieder mehr Bewusstsein für das Leben an den Tag legen. Aber der Tag liegt noch sehr fern.
Sweeney: Das ist interessant Will, denn ich hatte vor einiger Zeit ähnliche Gedanken. Werden wir als Menschen irgendwann zurückblicken und uns wundern, wie dämlich wir mit unserer Zeit umgegangen sind? Das Internet ist derzeit ein ekelhafter Platz, aber wir haben früher ja auch Tiere getötet und Dinge verbrannt, bis wir irgendwann ihren Wert erkannten. Und vielleicht erkennt man die wahren Werte des Internets erst in mehreren Generationen. Das Internet ist offensichtlich großartig, aber das ist auch das Feuer und mit Feuer kannst du gewaltig viel Schindluder betreiben. (lacht)
Oldham: Ich liebe den Gedanken, dass unsere Enkel oder Urenkel sich irgendwann denken: „Ich kann nicht glauben, dass mein Opa so dämlich war und den ganzen Tag im Internet verbrachte“. Was für ein Idiot. (lacht)

Angeknüpft an diese Zukunftsvisionen - ist es euch wichtig, zeitlose, klassische Musik zu kreieren? Einen kleinen Stempel in der Geschichte zu hinterlassen, weil die Musik euch überstehen wird?
Oldham:
Wir erschaffen unsere Musik mit Verantwortung und es wäre schön, wenn fern in der Zukunft jemand dieses Album hört. Das Leben von Musik lässt sich aber nicht vorhersagen.
Sweeney: Ich stimme Will zu. Als ich in meinen 20ern war wollte ich unbedingt ein Album machen, dass die Leute 40 Jahre später noch immer schätzen würden. Ich kann die Zukunft nicht voraussagen, aber wenn die Leute in 150 Jahren noch immer eine Ahnung haben, was wir gemacht haben, wäre das natürlich wundervoll.

Die Livekonzerte werden weitergehen, hoffentlich auch bald mal wieder hier bei uns in Österreich.
Oldham:
Europa steht auf jeden Fall am Plan. Ich kann mich noch gut an das letzte Mal Österreich erinnern. Da wollten wir über die Grenze zu euch, aber Matt hat seinen Reisepass einmal zu oft in der Waschmaschine gelassen und er wurde nicht anerkannt. Wir waren in Osteuropa und wollten gerade von Slowenien rein, aber es gab keine Chance.
Sweeney: Wir hatten ein großes Konzert in Wien, aber die Chance, dass wir überhaupt in das Land kamen, war plötzlich verschwindend gering. (lacht)
Oldham: Die Grenzbeamtin war auf eine obskure Art unheimlich attraktiv mit ihrer faschistoid anmutenden Uniform. Es war wirklich skurril. (lacht) Wir sind dann einfach weitergefahren und haben es auf anderen Grenzübergängen versucht und dabei natürlich viel Zeit verloren. Irgendwann hatten wir den richtigen erwischt und es war kein Problem mehr reinzukommen.
Sweeney: Übrigens hatten wir damals in unserer Merchandiese-Palette ein sehr kontroverses T-Shirt an Bord, das die Veranstalter in ihren Venues auf keinen Fall sehen wollten. Aber in Wien haben wir das Shirt restlos ausverkauft. (lacht)
Oldham: Es war ein Cartoon-Motiv, auf dem ein großer Wolf Sex mit einer Frau mit der Botschaft „You’re fucked now“ hatte. (lacht)
Sweeney: In Wien haben wir tatsächlich 40 davon gekauft. Das bleibt für immer unvergessen. (lacht)

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