Justizminister erbost:

„Zivilisatorischer Rückschritt“ beim Gewaltschutz

Österreich
26.09.2019 07:51

Im Rahmen der letzten Sitzung des Nationalrats vor der Wahl (siehe auch Video oben) ist neben anderen Beschlüssen am Mittwochabend mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ das heftig umstrittene Gewaltschutzpaket abgesegnet worden. Ungewöhnlich war, dass Kritik nicht nur aus den Fraktionen kam, sondern auch von der Regierungsbank  - und die fiel geharnischt aus. Justizminister Clemens Jabloner ortete gar einen „zivilisatorischen Rückschritt“.

Schon in seiner Einleitung machte Jabloner klar, dass er zu der Vorlage, die die Vorgängerregierung initiiert habe, „eine reservierte Haltung“ einnehme, auch wenn er die Opferschutzmaßnahmen begrüße. Wenig später wurde er deutlicher: Praktisch die gesamte Fachwelt lehne die Verschärfungen mit der Erhöhung der Strafen vor allem für Sexualdelikte und Delikte gegen Minderjährige „mit unterschiedlicher Vehemenz ab“. Da diese Einwände einfach vom Tisch gefegt würden, werde das Gefühl vermittelt, Kritik sei unerwünscht.

Jabloner verärgert und sarkastisch
Besonders stößt sich der Vizekanzler daran, dass junge Erwachsene von 18 bis 21 Jahren bei mehreren Delikten mit Erwachsenen gleichgestellt werden. Immerhin gebe es für sie kein Lebenslang, denn sonst wäre man „gleich ins Jahr 1851 zurückgeführt“ worden, merkte er nicht ohne Sarkasmus an. Ungeachtet dessen sieht Jabloner aber einen „zivilisatorischen Rückschritt“.

FPÖ und ÖVP zufrieden
FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan versuchte daraufhin, die aus seiner Sicht richtigen Relationen herzustellen. Er betonte, dass nur bestimmte, besonders schwerwiegende Delikte aufgenommen worden seien, bei denen diese Altersgruppe besonders gehäuft als Täter vorkomme. Das bedeute Taten, die mindestens fünf Jahre Haft nach sich ziehen - bei Delikten, die gegen Leib und Leben oder gegen die sexuelle Integrität gingen, bei Völkermord, Kriegsverbrechen oder Beteiligung an terroristischen Vereinigungen.

ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker hält es für gerechtfertigt, dass beispielsweise bei Vergewaltigung eine Mindeststrafe eingezogen wird: „Wir wollen nicht, dass ein verurteilter Vergewaltiger nicht einen Tag im Gefängnis verbringen muss.“ Die höheren Strafausmaße werden nach Meinung Steinackers präventive Wirkung erzielen.

SPÖ: „Ein Schmarrn“
Das bezweifeln die anderen Parteien. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim bezeichnete die Vorlage gar als einen „Schmarrn“. SPÖ-Frauenchefin Gabriele Heinisch-Hosek zeigte sich überzeugt, dass die geplanten Verschärfungen dem Opferschutz nicht dienlich seien. So werde die Verdoppelung von Mindeststrafen dazu führen, dass sich Frauen zurückziehen und keine Anzeige erstatten.

Zu den weiteren Kritikpunkten von Opferschutzvereinen zählt, dass die Anzeigepflicht für medizinisches Personal ausgeweitet wird. Hier wurde mittels Abänderungsantrag noch eine Einschränkung vorgenommen, wie Steinacker ausführte. Demnach sollen Volljährige ein volles Recht haben, der Anzeigepflicht zu widersprechen. Es sei denn, es drohe unmittelbare Gefahr, wie Stefan ergänzte.

NEOS: „Stammtischpolitik in Reinkultur“
Die NEOS-Mandatarin Irmgard Griss nannte das Gewaltschutzpaket eine „Mogelpackung“, anständige, seriöse und vernunftgeleitete Politik schaue anders aus. Stattdessen werde hier „Stammtischpolitik in Reinkultur“ betrieben. Diese Vorlage werde „wahrscheinlich keine einzige Gewalttat verhindern“. Kein einziger Gewalttäter erkundige sich vorher, wie hoch die Mindest- oder die Höchststrafe sei.

Frauenministerin Ines Stilling mahnte sanft ein, dass man mehr auf die Meinung der Experten hören hätte können. Die mit dieser Thematik befassten Stellen wüssten besser „als wir alle hier“ Bescheid, was Betroffene brauchen. Gewarnt wurde von Stilling vor unbedachten Fehlern, etwa wenn die gut gemeinte Ausdehnung des Betretungsverbots die Folge habe, dass damit ein Verzicht auf eine Bannmeile bei Schulen einhergehe.

JETZT: „Reiner Aktionismus
JETZT-Abgeordneter Alfed Noll sprach schließlich von „reinem Aktionismus“ und einer postfaktischen Politik. Vielmehr müsse mehr Geld lockergemacht werden, es fehle sowohl an den Gerichten als auch bei Opferschutzeinrichtungen.

Zum Abschied ein Ordnungsruf
Noll nützte seine letzte Rede im Nationalrat übrigens auch gleich für eine Abrechnung mit seinen Abgeordneten-Kollegen, die er unter anderem „verbrecherischer Unterlassungen“ zieh. Sein Abschiedsgruß: „Sie sind Fürstendiener, aber keine Volksvertreter.“ Die gerade den Vorsitz führende Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures verabschiedete Noll mit besten Wünschen - und einem Ordnungsruf.

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