Prachtbauten in einer einstigen Sowjetrepublik. Die Mischung aus Religion, Tradition und Kultur macht Usbekistan so spannend.
Nacht für Nacht redete sie um ihr Leben: Scheherazade, die schöne Tochter des Wesirs des grausamen Königs Schahryar. Der war einst von seiner ersten Frau mit einem Sklaven schmählich betrogen worden. Das sollte nie wieder passieren, und deshalb heiratete er jeden Tag ein anderes Mädchen – um es Stunden später töten zu lassen. Niemand wollte sich mehr mit dem Herrscher vermählen, nur eine geht das Risiko ein: Scheherazade. Sie erzählt dem König jede Nacht eine andere Geschichte, behält das Ende aber bis zum nächsten Abend für sich. Der König, interessiert am spannenden Finale, lässt sie leben. Nach drei Jahren und drei gemeinsamen Kindern ist er von ihrer Treue endgültig überzeugt.
Das alles soll sich einst in Samarkand abgespielt haben und ist in den Märchen aus 1001 Nacht überliefert. Heute liegt die Stadt in Usbekistan, einer früheren sowjetischen Teilrepublik, deren Grenzen Diktator Josef Stalin 1924 willkürlich gezogen haben soll. Früher teilten sich 92 Stämme das Land, das laut Eigendefinition jetzt eine Präsidialdemokratie ist. Gesprochen wird Russisch, in den Familien auch das dem türkisch ähnlichen Usbekisch.
Ohne Plow gibt es keine Heirat
Der Islam ist zwar Staatsreligion, hat in der Praxis aber wenig Bedeutung. 70 Jahre sowjetische Herrschaft mögen dazu beigetragen haben. Strenge Religionsregeln im Alltag sind unbekannt. Der nach jedem Essen kredenzte Wodka ist ein deutliches Indiz. Die Tradition des landes wird hochgehalten, aber die hat mit der Religion wenig zu tun. Ehen müssen vor allem zwischen weiblichen Familienmitgliedern ausgehandelt werden. Liebe als Motiv für eine Hochzeit ist zu wenig, vorehelicher Sex geradezu undenkbar, ein verschämter Kuss im Dunkeln das Maximum. Bei einem „Gipfeltreffen“ der Eltern der beiden Heiratswilligen werden Details vereinbart. Das Nationalgericht Plow, eine Art Eintopf aus Rindfleisch, gelben Rüben und Reis, spielt dabei eine gewichtige Rolle. Kredenzen die Eltern der Tochter Plow, gilt dies als stilles Einverständnis, alles andere wird als Ablehnung verstanden. Weshalb der Spruch gilt: „Ohne Plow gibt es keine Heirat und keine Kinder.“
Sehr gut restauriert erhalten geblieben sind zahlreiche orientalische Prachtbauten, allen voran das Wahrzeichen des Landes, der Registan-Platz in Samarkand. Zwei Koranschulen und eine Moschee säumen das gewaltige Areal. Der Basar mit seinen lärmenden Händlern ist umgezogen, aber die einmalige Architektur blieb. Im Innenhof sind noch gut die schlichten Wohnzellen der Studenten zu sehen. Vor der Türe wurde mit den Professoren über Astronomie, Medizin und natürlich den Koran philosophiert. Lernunwillige mussten die Bastonade fürchten – Stockhiebe auf die Fußsohlen.
Eindruckvoll auch die Gräberstadt Schah-i Sinda und das Grabmal des heutigen Nationalhelden Usbekistans, Timur, bei uns besser als Tamerlan bekannt. Die Reiterhorden des brutalen Tyrannen eroberten einst halb Asien. Alles wird überstrahlt von einem wunderbaren Blau und Türkis. Diese Farben gelten, weil sie an einen Bergsee erinnern, als kühl, was in der unerträglichen Hitze als angenehm empfunden wird. Wer früher aus der Wüste kam, muss die bunten Kuppeln und Gebäudefassaden als Explosion aus Farbe und Licht empfunden haben.
Wasser war stets ein heikles Thema
Der noch aus Sowjet-Zeiten stammende Plan, in einem Staat, der zu zwei Dritteln aus Wüste besteht, Baumwolle und Reis anzupflanzen, erwies sich als suboptimal. Beide brauchen Unmengen von Wasser. Der Aralsee im Norden des Landes, der heute praktisch ausgetrocknet ist, ist ein trauriges Zeugnis. Angeblich besteht jetzt der Plan, die brachliegende Wirtschaft der Gegend mit Casinos anzukurbeln. Für Inländer soll der Zutritt verboten werden, weil Spielen für Moslems als verpönt gilt; man hofft auf Zocker aus China und Indien.
Die Hitze hat auch die Handelswege beeinflusst, durch die die Gegend zu ihrem Reichtum gekommen ist. Samarkand und Buchara waren wichtige Kreuzungspunkte der Seidenstraße, auf der kostbare Waren wie eben Seide von China bis ans Mittelmeer transportiert worden sind. Im Sommer waren die Karawanen mit ihren bis zu 300 Kamelen vor allem nachts unterwegs. Und verwendeten als wichtige Orientierungshilfe die Minarette, auf denen Feuer brannten. Zum Beispiel jener 47 Meter hohe „Leuchtturm“ in Buchara, der von weit her zu sehen ist. Dass er so nebenbei für die Vollstreckung von Todesstrafen verwendet worden ist, sei nur am Rande erwähnt. Delinquenten wurden auf das Minarett geschleppt, in einen Sack aus Tierhäuten verpackt und hinuntergeworfen.
Warentransport auf der Seidenstraße war mühsam
Auf der Ebene waren Kamele im Einsatz, im Gebirge zuerst Esel oder Yaks. Händler bewältigten nur kleine Teilstrecken, bei der Weitergabe wurden stets ein paar Prozent aufgeschlagen. Was bedeutete: Seide, die in China umgerechnet einen Euro kostete, wurde am Mittelmeer um 200 Euro verkauft. Im 15. Jahrhundert, als die Portugiesen den Seeweg nach Indien entdeckten, begann der Niedergang der Seidenstraße. Der Transport auf Schiffen war bald billiger und schneller. Die Karawanen verloren an Bedeutung. Die wunderbaren Prachtbauten, die erst durch den Reichtum der Seidenstraße ermöglicht wurden, blieben aber bis heute erhalten. Und sie sollen jetzt für den Touristenstrom sorgen, den das Land so inständig erhofft. Inschallah – so Allah will.
Peter Grotter, Kronen Zeitung
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