"Jüdischer IS"

Ultraorthodoxe Gewalt erschüttert Israel

Ausland
03.08.2015 07:43
Es handelt sich um ein lange verdrängtes Phänomen in Israel. Doch die jüngsten Gewaltakte, bei denen ein 18 Monate alter Bub und ein 16-jähriges Mädchen getötet wurden, haben den jüdischen Extremismus auf brutale Art und Weise wieder ins Bewusstsein gerückt. Premier Benjamin Netanyahu kündigte am Sonntag eine Politik der "Null-Toleranz" gegen Hassverbrechen an: "Wir sind entschlossen, mit aller Kraft gegen das Phänomen des Hasses, des Fanatismus und des Terrorismus von jeglicher Seite anzukämpfen." Die Chefin der linken Meretz-Partei, Zahava Galon, bezeichnete die ultraorthodoxe Gewalt als "jüdischen IS".

Ein ultraorthodoxer Jude hatte am Donnerstagabend bei einer Lesben- und Schwulenparade in Jerusalem sechs Menschen niedergestochen. Eines der Opfer, ein 16-jähriges Mädchen, erlag am Sonntag seinen schweren Verletzungen. Bei dem Angreifer handelte es sich um einen gewaltbereiten Mann, der bereits im Jahr 2005 die Gay Pride in Jerusalem angegriffen und drei Menschen verletzt hatte. Nach einer dafür ausgefassten zehnjährigen Haftstrafe war er gerade erst wieder freigekommen.

Ministerpräsident Netanyahu sprach am Sonntag der Familie des Opfers sein Beileid aus. "Wir werden nicht zulassen, dass dieser abscheuliche Mörder die grundlegenden Werte der israelischen Gesellschaft untergräbt", hieß es in einem Kondolenzschreiben.

Brandanschlag auf Palästinenser-Haus: Kleinkind tot
Am Freitag hatte ein weiterer Anschlag das Land erschüttert: Militante jüdische Siedler zündeten das Haus einer palästinensischen Familie im Westjordanland an. Ein 18 Monate alter Bub starb an Brandverletzungen, weitere Familienmitglieder wurden lebensgefährlich verletzt. Die Täter hinterließen eine Botschaft: "Rache" stand in großen hebräischen Lettern auf der Hauswand.

Nach Zusammenstößen Angst vor neuer Intafada
Nach dem Brandanschlag gab es gewaltsame Proteste von Palästinensern mit weiteren Todesopfern. Bei Zusammenstößen mit der israelischen Armee wurde am Freitagabend ein junger Palästinenser im Westjordanland angeschossen, er starb später im Krankenhaus. Am Samstag gab es bei seiner Beerdigung im Flüchtlingslager Jalason neue Auseinandersetzungen. Im Gazastreifen kam es ebenfalls zu Gewalt. Israelische Soldaten erschossen einen Palästinenser, der sich nach Angaben der Armee unerlaubt einem Grenzzaun genähert hatte. Nach den Vorfällen wächst nun die Angst vor einer Explosion der Gewalt in Form einer neuen Intifada.

Israels Präsident: "Das Land braucht einen Weckruf"
Es wurde aber auch friedlich gegen den Extremismus demonstriert. Tausende Israelis versammelten sich am Wochenende in zahlreichen Städten zu Kundgebungen gegen Hass und Gewalt. Oberrabbiner David Lau verurteilte den Anschlag vom Freitag als "abscheulichen Mord". Staatspräsident Reuven Rivlin sagte, dass er sich schäme und dass das Land einen "Weckruf" brauche. "Jede Gesellschaft hat extremistische Ränder, aber heute müssen wir uns fragen: Was ist es, was hier in der Luft liegt, das es Extremismus und Extremisten erlaubt, unbesorgt im hellen Tageslicht zu wandeln?", erklärte Rivlin bei der Jerusalemer Kundgebung und drängte auf harte Maßnahmen gegen radikale Juden.

Künftig Verwaltungshaft und härtere Verhörmethoden
Israels Verteidigungsminister Moshe Yaalon sagte, dass er nun auch gegen radikale Juden die umstrittene Verwaltungshaft angeordnet habe - eine gegen militante Palästinenser gängige Maßnahme. Das heißt, dass als Sicherheitsrisiko eingestufte Personen schon festgenommen werden können, bevor sie eine Tat begangen haben. Dabei können Verdächtige auch über lange Zeiträume ohne Prozess inhaftiert werden.

Zudem genehmigte das Sicherheitskabinett auch härtere Verhörmethoden gegen jüdische Verdächtige. "Das Sicherheitskabinett hat den Diensten erklärt: Alle Methoden sind koscher", sagte der Minister für Innere Sicherheit, Gilad Erdan. "Eine Verhörmethode wie Tiltul oder irgendetwas, das gemacht wird, wenn es um palästinensische Terroristen geht - dasselbe muss getan werden, wenn es um einen jüdischen Terroristen geht." Tiltul, das hebräische Wort für gewaltsames Schütteln eines Verdächtigen, war zwar 1999 vom Obersten Gerichtshof verboten worden, allerdings gibt es Sicherheitsexperten zufolge zulässige Ausnahmen.

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