Freibeuterei am Ende

Somalia: Die Piraten-Party ist ausgefeiert

Ausland
28.09.2012 16:56
Sie wohnten in Villen, hatten Luxusautos und waren umringt von hübschen Frauen. Das war, als sie noch jeden zweiten Tag am Horn von Afrika einen Angriff auf ein Schiff durchführten und zumindest jedes dritte Mal erfolgreich waren. Doch die Piraten-Party in Somalia ist ausgefeiert. "Hier gibt es nichts mehr zu holen", schildert ein ehemaliger Freibeuter. Sein Haus gehört nun einem Kredithai, das Auto ist verscherbelt und er verdient im Monat so viel, wie er vor einem Jahr am Tag ausgegeben hat.

Ein Reporterteam der Associated Press hat sich in die früheren Piratenhochburgen an der Küste Somalias begeben und ehemalige Freibeuter getroffen, die nach ein paar Monaten Leben in Saus und Braus nun wieder in die bittere Armut abgedriftet sind.

Schon die nackten Zahlen lassen erahnen, dass die Zeiten der Piraterie vorüber sind: 2009 hatten sie noch 46 Schiffe kapern können und von den Besitzern Lösegeld erpresst. Ein Jahr später waren es 47, im Jahr 2011 immerhin noch 25. Heuer, 2012, sind Freibeutern gerade einmal fünf Entführungen gelungen. Und dabei erwischten sie längst keine Supertanker potenter Reedereien.

Besitzer wollen nicht mehr zahlen
Aktuell befindet sich etwa ein unter der Flagge Liberias operierendes Frachtschiff in der Gewalt einer Piraten-Gruppe. Der Besitzer kann sich ein Millionen-Lösegeld nicht leisten. Anfang September töteten Piraten ein Besatzungsmitglied des arabischen Frachtschiffs "MV Orna", um Druck auf die Lösegeldzahler zu machen. Das Schiff befindet sich seit eineinhalb Jahren in der Gewalt von Freibeutern.

Ihr Kommandant, Hassan Abdi, ein Lehrer, der sich ab 2009 für den schnellen Reichtum der Piraterie widmete, gibt unumwunden zu, dass seine Zunft zumindest in Somalia im Aussterben begriffen ist. So als wäre es ein legitimes Gewerbe, dem er nachgeht, sagt er: "Die Hoffnung, dass sich der Markt für uns erholt, ist gering."

Piraterie wurde zum Wirtschaftszweig
Zu Spitzenzeiten hatten die Freibeuter 30 Schiffe und 600 Menschen in ihrer Gewalt. Die Piraterie wuchs zu einem für afrikanische Verhältnisse riesigen Wirtschaftszweig: Im Schnitt gab es fünf Millionen Dollar für ein gekapertes Schiff, die höchste Lösegeldsumme mit elf Millionen zahlte eine griechische Reederei.

"Es zahlt sich nicht mehr aus, es ist zu gefährlich geworden", sagt einer der Piraten. Militäreinsätze der Europäischen Union, der USA sowie Japan und China haben Hunderte Piraten hinter Gitter oder ums Leben gebracht. Die großen Reedereien lassen ihre Schiffe nur mehr mit bewaffneten Sicherheitsleuten an Bord auslaufen, die den Piraten mit ihren ausrangierten Kalaschnikows millitärisch weit überlegen sind. Bei vielen Ex-Piraten, die in ihrem Leben kein Verbrechen begingen, sondern erst beim Anblick der im Geld schwimmenden Freibeuter zu Piraten wurden, ist die kriminelle Energie zu wenig ausgeprägt, um dafür das Leben zu riskieren.

Die Party ist vorbei
Wie viele Somalier sich mit der Piraterie aus der Armut befreien konnten, ist unklar. Die in den Küstengebieten verbliebenen Freibeuter zählen jedenfalls zu den Verlierern. Sie bekamen eine Kostprobe vom Luxusleben, kauften riesige Häuser über Kredithaie, die ihnen in den letzten Monaten allesamt wieder weggenommen wurden.

Faduma Ali, eine Prostituierte in Galkayo, erzählt den Reportern von rauschenden Festen, die in der Stadt gefeiert wurden, nachdem wieder einmal eine Lösegeldzahlung eingegangen war. Bis zu 1.000 Dollar verdiente sie damals in einer Nacht. Wenn ihre früheren Kunden jetzt anrufen, wollen sie ein Schäferstündchen auf Pump.

Können die Piraten aufhören?
Für die Bewohner der Küstenregionen hat die Piraterie zu ihren Spitzenzeiten rückblickend nur Inflation und gesellschaftliche Unruhen gebracht. Jetzt, wo der Preis für eine Tasse Kaffee in einer Bar wieder von 50 Dollar-Cent auf den Normalpreis von 5 Cent gesunken ist, bemerken zumindest die Fischer einen positiven Effekt. Sie selbst hatten vor einigen Jahren die ersten Piratenüberfälle begangen, um ausländische Fischfangflotten aus den Küstengebieten vor Somalia zu vertreiben. Die Fangnetze sind voll geblieben und in dem einen oder anderen Freibeuter fanden die legitimen Fischer sogar einen Hilfsarbeiter für den Hummerfang.

Auf der Seite der Piraten-Bekämpfer will man trotz der stark rückläufigen Zahlen allerdings noch nicht von einem Ende des Freibeutertums am Horn von Afrika sprechen. Ein Sprecher des Maritim-Büros der Internationalen Handelskammer, das seit 30 Jahren eine Piraten-Meldezentrale betreibt, rät Seemannschaften, weiterhin auf der Hut zu sein. "Der Verdienst an einer einzigen geglückten Entführung ist enorm, das so einfach aufzugeben, ist für diese Leute schwer."

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