Regierungsbildung

Drohen Spanien jetzt “italienische Verhältnisse”?

Ausland
21.12.2015 18:22

Die Siegerpose wirkte gekünstelt, das Lächeln aufgesetzt. "Wir haben die Wahl gewonnen", rief Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy in die Menge. Auf dem Balkon der Zentrale von Rajoys Volkspartei (PP) waren jedoch auch viele besorgte und nachdenkliche Gesichter zu sehen. Die Konservativen haben zwar am Sonntag die meisten Sitze im Parlament gewonnen, aber vier Jahre nach dem besten Wahlergebnis ihrer Geschichte ein Drittel ihrer Mandate eingebüßt. Drohen den Spaniern jetzt "italienische Verhältnisse"?

Der frühere Regierungschef Felipe Gonzalez hatte bereits im Frühjahr davor gewarnt, dass in Spanien "italienische Verhältnisse" drohen könnten. "Willkommen in Italien", witzelte die Zeitung "El Pais" am Montag und gab zu bedenken, dass die Spanier vielleicht nicht die Fähigkeiten der Italiener haben, mit ungewissen politischen Verhältnissen zurechtzukommen.

Konservative und Sozialisten wurden abgestraft
Niemand kann derzeit sagen, ob Rajoy der neue Regierungschef sein wird. "Ein allgemeines Durcheinander", beschrieb die Zeitung "El Periodico" die politische Lage im Land. Die Wahl hat dem vorherrschenden Zweiparteiensystem, das Spanien in den vergangenen Jahrzehnten zu einer politischen Stabilität verholfen hatte, vorerst ein Ende gesetzt. Die traditionellen Großparteien der Konservativen und der Sozialisten (PSOE) wurden abgestraft.

Die Linkspartei Podemos ("Wir können") und die liberalen Ciudadanos (Bürger) ziehen mit starken Fraktionen neu ins Parlament ein. Die politischen Aufsteiger bringen frischen Wind und mehr Vielfalt in den "Congreso". Die Aufsplitterung der Parteienlandschaft bedeutet aber auch weniger Stabilität, weil sich die Regierungsbildung komplizierter gestaltet.

König Felipe VI. wird nun vielleicht seinen Vater Juan Carlos ein wenig beneiden. Wenn dieser dem Parlament nach einer Wahl einen Ministerpräsidenten vorschlug, konnte er sicher sein, dass der jeweilige Wahlsieger - egal ob von den Konservativen oder den Sozialisten - eine ausreichende Mehrheit bekommen würde.

Die Aufgabe von Felipe, der erstmals seit seiner Krönung im Juni des Vorjahres einen Regierungschef vorschlagen muss, wird ungleich schwerer sein. Der Monarch muss Beratungen mit den Parteiführern aufnehmen und dann entscheiden, wer die besten Aussichten hat, gewählt zu werden. Ob der von Felipe vorgeschlagene Kandidat dann auch wirklich eine Mehrheit erhält, ist nach jetzigem Stand nicht sicher.

Spekulationen über Neuwahlen
In einigen Medien wurde bereits über Neuwahlen spekuliert. Diese werden fällig, wenn innerhalb von zwei Monaten nach der ersten Abstimmung im Parlament kein neuer Regierungschef gewählt ist. Rein rechnerisch scheint die Lösung einfach zu sein: Eine große Koalition von Konservativen und Sozialisten käme auf eine stabile Mehrheit. In Spanien ist die Kluft zwischen den beiden Parteien jedoch so tief, dass ein solches Bündnis kaum ernsthaft in Betracht gezogen wird.

"Für die Sozialisten ist eine große Koalition ungefähr das, was Gotteslästerung für einen Gläubigen ist", meinte die Zeitung "El Mundo". "El Pais" stellte die Frage: "Warum sollte man nicht an das Unmögliche denken?" Die PSOE winkte jedoch ab: "Wir werden gegen Rajoy und die PP stimmen", kündigte Vizeparteichef Cesar Luena an.

Auch die Hoffnung der PP auf ein Mitte-rechts-Bündnis mit den Ciudadanos steht vor hohen Hürden. Erstens käme es nicht auf eine ausreichende Mehrheit im Parlament, zweitens wollen die Liberalen eine solche Allianz nicht, sondern sich in einer Vertrauensabstimmung allenfalls enthalten. Theoretisch wäre auch ein Linksbündnis der PSOE mit Podemos und kleineren Regionalparteien möglich. Dieses könnte zwar genügend Stimmen im Parlament zusammenbekommen, ist aber in der PSOE kaum durchsetzbar, weil Podemos in Katalonien ein Referendum über eine Abspaltung der Region abhalten lassen will.

Rajoy fasste die Herausforderung, der er sich jetzt stellen muss, mit den Worten zusammen: "Nun hat die Stunde der wahren Politiker geschlagen."

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