DisUtility Vehicle

BMW X6 xDrive35d: Groß und mächtig

Motor
14.01.2009 11:53
Wenn man in etwas Entfernung zum BMW X6 steht und außerdem gerade keinen Größenvergleich hat, fällt gar nicht auf, was dieses SUVpé oder dieser Coujeep für ein riesiges Schiff ist. Es sind nicht die Proportionen, die ihn so ungewöhnlich machen, sondern die schiere Größe. Wie ein normales Auto, nur durch eine Lupe betrachtet. Jeder Kubikmeter strahlt aus: „Ich kann mir Unnötigkeit leisten!“
(Bild: kmm)

Stell den X6 neben einen Familienkombi und warte die Reaktionen der Umstehenden ab. „Daneben schaut ja jeder andere aus wie ein Spucki!“ Okay, das ist ein Effekt, den man von einem Hummer kennt, aber die kantige Geländewagenform relativiert das Ganze. Hier degradiert die Hinterfotzigkeit der Coupéform in überdimensionalen Dimensionen Nachbars Auto optisch zum Kinderspielzeug. Der X6 ist sogar länger und breiter als sein Stammvater X5, also beileibe mehr als dessen abgeflachte Version.

An dieser ungewöhnlichen Verschiebung der Größenverhältnisse ecke ich auch das eine oder andere Mal an, beim Einsteigen. In keinem SUV habe ich mir bisher den Kopf angehauen, im X6 gleich mehrmals. Denn der Einstieg ist wie in einem gewöhnlichen Coupé recht flach; womit mein auf „In-einen-SUV-Einsteigen“ gepoltes Hirn aber nichts anfangen kann. Sitzen lässt es sich dann komfortabel. Jedenfalls vorne, denn hinten müssen groß Gewachsene den Kopf einziehen. Platz ist in der zweiten Reihe übrigens nur für zwei – Einzelsitze. Wer wird denn da von Platzverschwendung reden?

DUV = DisUtility Vehicle
„Abgehoben“ ist vielleicht eine gute Bezeichnung für dieses Konzept. Abgehoben von realen Bedürfnissen (also mal abgesehen von psychologisch begründbaren), abgehoben von Vernunft, abgehoben von Rationalität, abgehoben von einem praktischen Zugang zum Thema Autofahren. Denn der X6 ist alles andere als praktisch: Die Linie steigt nach hinten an, was zu einer extrem hoch angesetzten Unterkante des Heckfensters führt. Im Straßenverkehr verschwindet darunter sogar der Hintermann, wenn er nicht eine halbe Meile Respektsabstand hält. Nach hinten seitlich sieht man genauso wenig, was am Wiener Gürtel jeden Spurwechsel zu einem Vabanque-Spiel macht. Andererseits: Er erzieht damit zu einer gelasseneren Fahrweise, weil man im Zweifelsfall eben lieber auf seiner Spur bleibt.

Oder man betreibt es auf die dekadente Art und denkt sich: „Ha! Ich könnte mir auch fünf vernünftige Golfschüsseln leisten, tu‘s aber nicht. Ich steck meine Kohle lieber in einen X6, da sieht‘s jeder. Von 5 Gölfen kann ich nur einen fahren!“

Ganz schön aktiv, der Große!
Verlässt man die Spurwechselpfade, lässt sich dieser schwangere Wal ungeahnt behände bewegen. Nicht, dass man von den 2,2 Tonnen Leergewicht (nach EU) nichts merken würde, aber hier gleitet eine Dynamik über die Straßen, die in diesen Formaten ihresgleichen sucht. Die Technik spielt da auch das eine oder andere Stückl: Wankstabilisierung, Adaptive Drive, Dynamic Performance Control Letzteres feiert im X6 Premiere und ist schnell erklärt: Die Kraft des Allradantriebes wird nicht nur zwischen Vorder- und Hinterachse bedarfsgerecht verteilt, sondern auch zwischen dem linken und dem rechten Hinterrad. Da lenkt quasi ein unsichtbarer Dritter mit. Übertreibt man es, schiebt die Walmasse aber wider jede Technik, jedoch konform mit den physikalischen Gesetzen da hin, wo es die Trägheit verlangt. Diese lassen sich eben nur beugen, aber nicht brechen.

Fenster zu, es zieht!
Beim Schnellfahren sollte man das Fenster zu haben, sonst zieht es direttissima ins Ohr. So rauscht man dahin, ohne von draußen viel mitzukriegen. Auch die (optionale Aktiv-)Lenkung hält sich recht bedeckt, sie dürfte gerne gefühlvoller sein. Geschaltet wird geschmeidig entweder automatisch oder via Schaltpaddles am Lenkrad. Deren Plastiksound ist für ein Auto wie dieses aber echt unangebracht. Und beim Anfahren dauert es etwas, bis die Kraft zu den Rädern findet.

Und Kraft gibt es viel: Der Sechszylinder-Diesel im getesteten X6 xDrive35d leistet 286 PS und wuchtet 580 Nm auf die Kurbelwelle, und das schon ab 1.750/min. Es ist beeindruckend, in diesem Schiff nach 6,9 Sekunden die Hundertermarke zu passieren. Bei 236 km/h ist Schluss mit schneller.

Es geht aber auch langsam sehr gut voran, denn der X6 hat eine Bergabfahrhilfe vor allem fürs Gelände serienmäßig. Die lässt sich kilometerweise von 6 bis 25 km/h regulieren.

Beschränk dich nicht auf Brot und Butter...
Der X6 ist ein Auto, in dem der Griff in die Sonderausstattungskiste mit beiden Händen zu erfolgen hat. Wenn schon, denn schon. Ich bin vor allem ein Fan des Head-Up-Displays. Ansonsten: Abgesehen vom obligaten Österreich-Paket braucht’s wie im Testwagen u.a. Adaptive Drive, Komfortzugang, Fernlichtassistent, HiFi-System, Navi, Automatikheckklappe und natürlich das sensationelle BMW-Assist, das einem auf Anfrage den Weg zum Wunschrestaurant oder zu jeder anderen Location ins Navi schickt. Angesichts der eklatanten Unübersichtlichkeit empfiehlt sich auch die Rückfahrkamera, auch wenn ihr Bild vor allem im Dunkeln das hinter einem liegende nicht ganz zweifelsfrei darstellt. Tolles Feature: Für das Ankuppeln eines Anhängers gibt es eine spezielle Einstellung.

Mit allen Extras kommt der Testwagen auf einen Preis von knapp 100.000 Euro (Einstiegspreis für den 35d: 70.500 Euro). Dafür bekommt man ein Auto, das den Fahrer bisweilen fordert, andererseits aber auch unterstützt. Vor allem das Ego. Und die Kommunikation, denn Tankstellengespräche sind an der Tagesordnung, wobei das Feedback hauptsächlich positiv ist. Auch in Zeiten wie diesen sorgt dieses Auto (das BMW als „Sports Activity Vehicle“ bezeichnet) mehr für bewundernde als für verachtende Blicke. Auch wenn man eine neue Fahrzeug-Gattung einführen müsste: DUV, also DisUtility Vehicle; zu Deutsch: nutzloses Fahrzeug.

Stephan Schätzl

Warum?

  • Weil er einfach ein Hammer ist.
  • Weil ein Vernunftauto in der Garage auch noch Platz hat.

Warum nicht?

  • Nicht jeder kann mit so viel Auto umgehen.
  • Die Beifahrerin sagt: Er schaut aus wie ein geschwollener Daumen.

Oder vielleicht …

  • … doch fünf neue VW Golf?
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(Bild: kmm)



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