Mit der Single „Bis ans Ende der Welt“ haben Tokio Hotel ihre Fans nach eigenen Angaben „wachgerüttelt“ und „zum Aufbruch animiert“. Der Hauruck-Gemma-Krach der Single weicht im Gesamteindruck von „Zimmer 483“ aber wieder der üblichen Herz-Schmerz-Du-liebst-mich-nicht-i-bin-voll-ang’fressn-und-ur-verzweifelt-Pamperei.
Der Sound ist dabei absolut amtlich (wirklich!) und musikalisch machen das Rock- und Metaldauerbrenner wie Hoobastank oder die mittlerweile etwas schwächelnden Nickelback auch nicht besser. Aber inhaltlich bewegt sich das neue Oeuvre der gastronomisch angehauchten Combo wieder ganz auf der marketing-technisch verdienstsicheren Schiene. Dabei hatte es fast so ausgesehen, als könnten sie diesmal auch Volljährigen ein Achtungsnicken bzw. Schulterklopfen abringen!
„Wir sterben niemals aus“ heißt ein Track, der dem Hörer Gehirnwäsche-like einbläut, dass die Band ohne die Fans nichts ist, ja an mangelnder Unterstützung zugrunde gehen würde. Endzeit-Stimmung will auch „Wo sind eure Hände“ verbreiten. Chaos im System / auch wenn wir untergehen / Ich will euch alle sehen / Wo sind eure Hände? könnten aber auch die letzten Worte von DJ Ötzi auf einer verlassenen Skihütte ohne Sessellift ins Tal sein. In den ansonsten relativ schnörkellosen Lyrics, die den Hörer (Obacht, der psychologische Zielgruppenbindungstrick!) stets per du ansprechen, findet sich sogar ein verlassenes Fremdwort, das im Refrain von „Ich brech aus“ vergeblich auf Gesellschaft wartet. Ich fühl mich claustrophobisch [sic!] eng, lässt sich der Text im Booklet nachlesen.
Im CD-Begleitheft, das übrigens kein scharfes s kennt (auch das bei Straße, Schweiß und scheißegal nicht), zeigen sich Bill, Tom, Gustav und Georg von ihrer schlammverschmierten Seite mit einem Fotoshooting, irgendwo zwischen Rammstein und den Pussycat Dolls. Die Jungs danken ihren Müttern und der Plattenfirma und richten schöne Grüße an die Fans aus. Die letzte Seite offenbart: Einen mageren Song haben die vier Jungmusiker, die eigentlich ganz fit auf ihren Instrumenten sind, komplett alleine geschrieben bzw. allein schreiben dürfen. Ansonsten steht durchschnittlich ein Kaulitz-Zwilling bei Musik bzw. Text neben den Namen der Produzenten. Angaben darüber, wer was wo gespielt hat, findet man gar nicht.
Bemerkenswert und gleichzeitig stilistischer Höhepunkt von „Zimmer 483“ ist die höchst authentische Schilderung einer 1A-Heroin-Story in „Stich ins Glück“. Musikalisch hat man sich bei den Gitarrenriffs und Akkordfolgen ein paar Sachen von Nirvanas „Come As You Are“ stibitzt, was angesichts der Drogenthematik ja eh nahe liegt. Beim Text erreichen Tokio Hotel und ihre Produzenten mit Phrasen wie Ihr erster Stich ins Glück / Die Wunde bleibt für immer / ein goldener Augenblick / und jedes Mal wird’s schlimmer ihre poetische Höchstform. Das ist wie „Requiem For A Dream“ von Rosamunde Pilcher erzählt! Verdammt dünn und oberflächlich. Schade, eigentlich.
3 von 10 japanischen Beherbergungsbetrieben
Christoph Andert
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