15 Highlights

Rückblick auf 2017: Die besten Alben des Jahres

Musik
20.12.2017 14:54

Es ist schwierig bei der unendlichen Fülle an Alben aus allen verschiedenen Genres die großen Favoriten zu küren - wir haben es dennoch wieder versucht und uns für die zehn (+ fünf) besten Alben des Jahres 2017 entschieden. Natürlich streng subjektiv und alphabetisch geordnet. Welche Werke sind Ihre Favoriten?

(Bild: kmm)

Cigarettes After Sex - Cigarettes After Sex
Den elegischen Dream-Pop dieses amerikanischen Kollektivs an einem sonnigen Nachmittag zu verheizen, war die Live-Fehlentscheidung des Jahres. Dennoch war der Auftritt von Cigarettes After Sex beim ansonsten famosen - und leider bereits wieder verstorbenen - Out Of The Woods Festivals in Wiesen ein legendärer. Frontmann Greg Gonzalez ließ sich von den gegebenen Umständen nicht verstören und bezirzte mit seinem weiblich-androgynen Stimm-Timbre alle Sinne. "Apocalypse" und "Each Time You Fall In Love" glänzten dabei besonders hervor. Die beiden Singles des diesen Frühling veröffentlichten Debütalbums der Texaner stehen sinnbildlich für eine auditive Reise in eine andere Galaxie. Keine Band verstand es dieses Jahr so prägnant, den Hörer derart geschickt aus der Realität zu beamen. Im düsteren Soundsegment konnte höchstens noch Lana Del Rey mithalten, aber dazu später. Mit den Cigarettes After Sex gibt es im Frühling 2018 ein Wiedersehen im Wiener Gasometer. Und zwar spätabends, wo man auch hingehört.

Benjamin Clementine - I Tell A Fly
Seine Erscheinung ist imposant, seine Stimme außerirdisch, sein Gehabe von kokettierender Selbstsicherheit durchzogen. Auch er war Gast beim Out Of The Woods und wagte es sogar, sich mit dem reservierten Publikum anzulegen. Gut so, denn Benjamin Clementine hat mehr Aufmerksamkeit verdient, als sie ihm eine Festivalzuhörerschaft geben kann. "I Tell A Fly" ist ein charismatisches Gebräu aus Avantgarde-Pop, nachdenklichem Jazz, Klassik-Zitaten und Experimentierfreudigkeit. Wenn der Hüne in "God Save The Jungle" seine Stimme erhebt und das Piano die Atmosphäre kreiert, dann fühlt man sich in Clementines eigenen Soundwelt gefangen. Dem Druck seines erfolgreichen letzten Albums "At Least For Now" hält der einst obdachlose Vollblutmusiker mühelos stand und Songs wie "Phantom Of Aleppoville" oder "Paris Cor Blimey" sind voller Referenzen auf die Flüchtlingskrise, das harte Schicksal syrischer Kinder und die grausame Welt, in der sich Clementine wie ein missverstandenes Alien fühlt. Die ganzheitliche Genialität dieses Werkes wird sich wohl erst über die Jahre entfalten.

Grandaddy - Last Place
Wer offen deklarierte Fans wie David Bowie oder Danger Mouse hat, befindet sich musikalisch schon einmal garantiert in der richtigen Ecke. Die kalifornischen Indie-Rocker Grandaddy waren rund ums Millennium so etwas die Prog-Rock-Band und den Karohemdenträgern, doch erst als die Band 2006 nach "Just Like The Fambly Cat" sich auflöste und für sechs Jahre von der Bildfläche verschwand, bekam auch die breitere Öffentlichkeit immer stärker mit, welch herausragendes Kleinod sich einst unbemerkt seinen Weg durch den Underground bahnte. Elf Jahre nach dem letzten Output erschien diesen Winter das große Comeback "Last Place" und setzte im Prinzip dort an, wo Grandaddy früher aufhörten. Analoge Synthies, memorable Melodien und die ausdrucksvolle Stimme von Sänger und Bandboss Jason Lytle. Dieser kümmert sich textlich nicht nur um mehr oder weniger bekannte Alltagsprobleme, sondern auch um seinen Umzug nach Portland und seine schmerzvolle Scheidung nach mehr als zehn Jahren Ehe. Eigentlich ist alles so wie immer - als wären wir niemals elf Jahre älter geworden.

Horisont - About Time
Natürlich kann man sich von der nicht enden wollenden Welle an Retrorock-Bands belästigt fühlen und doch lieber die vergilbten Platten von Papa oder Opa hervorkramen, aber manche Bands beweisen eindrucksvoll, dass sie nicht nur bloße Blaupausen ihrer Helden sind, sondern den warm-analogen Sound der innovativen 70er-Jahre tatsächlich mit viel Herzblut und Liebe zum Detail in die Jetztzeit projizieren können. Die schwedischen Schnauzbart- und Schlaghosenträger Horisont haben auf "About Time" heuer schon zu Jahresbeginn einen Brocken vorgelegt, an dem sich alle andere Bands messen mussten - und schließlich versagten. Wo sich vor allem die skandinavischen Genre-Kollegen oft zu sehr in Lobhuldigungen ihrer Heroen verzettelten, fanden die Göteborger auf ihrem fünften Weg den goldrichtigen Mittelweg. Die Songs mäandern geschickt zwischen Fleetwood Mac, Status Quo, Thin Lizzy und The Sweet, fürchten sich aber auch nicht davor, den viel zu wenig beachteten AOR der 80er zu streifen. Das man trotzdem eigenständig klingt, liegt an der unfassbaren Coolness der Musiker.

Run The Jewels - Run The Jewels 3
Was das US-Hip-Hop-Duo Killer Mike und El-P angreift, wird zu Gold. Mit "Run The Jewels 3" legten sie zum Jahreswechsel das dritte Album in knapp vier Jahren vor und konnten sich qualitativ tatsächlich noch einmal steigern. Die Gast-Features von stilvermischten Kalibern wie Danny Brown, Tunde Adebimpe, Zack de la Rocha oder Kamasi Washington sind schön, wären strenggenommen aber gar nicht zwingend notwendig gewesen. Wie gewohnt wüten die Rapper mit viel Stil und noch mehr Inhalt. Neben tragischen persönlichen Erfahrungen wie die eines verlorenen Kampfs gegen Lungenkrebs oder einem sinnlosen Straßentod durch einen Streit um eine simple Kette, halten die zwei Verbal-Schwergewichtler den Amerikanern auch den Spiegel für ihr Wahlverhalten vor. Speziell "2100" und "Thursday In The Danger Room" beschwören dystopische Zukunftsszenarien einer Weltmacht, die sich gerade erfolgreich selbst abschafft. Dicke Hosen klingen eben immer noch am besten, wenn sie die Weltprobleme behandeln und nicht den goldzahnblinkenden Gangsta imitieren.

Sleaford Mods - English Tapas
Für die Gesellschaft verheißt es nichts Gutes, wenn die junge Generation 4.0 lieber Foodporn-Bilder auf ihre Instagram-Accounts lädt, anstatt tatkräftig für eine bessere Welt und gegen aufkeimenden Populismus zu kämpfen. Wenn es die Jungen nicht machen, dann müssen es eben die Alten richten. Denken sich zumindest Sänger Jason Williamson und DJ Andrew Fearn, die ihre einzigartige Form aus dadaistischen Schimpftiraden im Electropunk-Korsett zwar schon seit zehn Jahren auf die Menschheit loslassen, ihren antielitären Midlands-Akzent aber erst mit dem famosen "English Tapas" für die breite Masse salonfähig machten. Wie ein frisch losgelöster Terrier keift sich Williamson durch zwölf Songs voller Wut, Verzweiflung und dunkler Zukunftsszenarien. Kompromisslos und unbeugsam stellt er mit seiner Working-Class-Attitüde genau das dar, was die ihm verhassten Gallagher-Brüder oder Paul Weller nur vorgeben zu sein: unermüdliche Kämpfer gegen das bequeme Establishment. Nichts klang 2017 so echt und dringlich wie "English Tapas".

Son Of The Velvet Rat - Dorado
Natürlich könnte man die dandyhafte Stilveränderung Bilderbuchs nennen oder Wandas Mut, sich auf "Niente" von der Singlelastigkeit freizuschwimmen, aber eine Best-Of-Liste hat nun einmal ihre Grenzen und das beste Produkt Österreichs gehört 2017 ohnehin nur zur Hälfte hierher. Den halbjährlich in der kalifornischen Wüste ansässigen Son Of The Velvet Rat gelang mit "Dorado" möglicherweise ihr Karriere-Opus-Magnum, zumindest beweist der steirische Wandervogel Georg Altziebler einmal mehr sein untrügliches Gespür dafür, trockene Folk/Blues/Americana-Klänge mit unter die Haut gehenden Texten und einer sanften Stimmfärbung zu vermengen. Wie keinem zweiten gelingt es ihm mit Ehefrau Heike und anerkannten US-Musikern die Schönheit lyrischer Poesie in eine breitflächige Klangwelt zu tunken, die genauso wenig Grenzen kennt wie ihr Erschaffer selbst. In der Ruhe liegt die Kraft.

The War On Drugs - A Deeper Understanding
Wenn wir schon bei ruhigen Klangszenarien sind, dann dürfen The War On Drugs natürlich nicht außer Acht gelassen werden. In einer Indie-Rock-Welt voller kreativer Wirrköpfe mit Hang zur Exzentrik ist Band-Mastermind Adam Granduciel ein ganz besonderes Exemplar dieser Spezies. Mehr als drei Jahre lang verkroch sich der Soundästhet in Studios, um gewohnt perfektionistisch an jenem Klangbild zu schrauben, das sich schlussendlich in "A Deeper Understanding" manifestieren sollte. Die weltweit über den Klee gelobten, meist überlangen Kompositionen klingen trotz der vorgefertigten Akribie so bandtauglich und gemeinschaftlich wie nichts zuvor. The War On Drugs befinden sich zwar sehr nahe an der allumfassenden Genialität eines Bruce Springsteen, ziehen sich als Personen dahinter aber einmal mehr angenehm bescheiden in den Hintergrund zurück. Ob "Up All Night", "Holding On" oder der Closer "You Don’t Have To Go" - Granduciel gelingt hier das Kunststück, durchwegs grandioses A-Material auf Polycarbonat zu pressen. Besser geht’s wirklich nicht.

Wolves In The Throne Room - Thrice Woven
Mit ihrem Debütalbum "Diadem Of 12 Stars" galten die beiden Brüder Aaron und Nathan Weaver 2006 als Begründer des sogenannten Cascadian-Black-Metal-Subgenres, das sich durch zahlreiche weitere Künstler aus dem Westen der USA mittlerweile zu einer Institution mauserte. Den autark in einer Art Kommune lebendem Duo waren die Grenzen ihres eigenen Tuns schon immer zu eng, wodurch sie zwischenzeitlich sogar auf die experimentelle Ambient-Schiene rutschten. Die mit "Thrice Woven" lang angekündigte und diesen Herbst durchgeführte Rückkehr zu den alten Wurzeln, animierte Fans schon im Vorfeld zu enthusiastischen Schnappatmung. Tatsächlich haben die beiden perfektionistischen Naturburschen nichts verlernt und kombinieren in unnachahmlicher Art und Weise viehische Brutalität mit gediegenen Slow-Motion-Parts und atmosphärischen Traumwelten. So in etwa muss es sich anfühlen, wenn man kurz vor dem Exitus durch das Höllenfeuer gejagt wird. Die schwedische Funeral-Pop-Künstlerin Anna von Hauswolff als Gaststimme zu verpflichten, war zudem eine Goldidee.

Zola Jesus - Okovi
Langjährige Fans hat der fröhlich-poppige Kurs von Zola Jesus auf ihrem letzten Album "Taiga" (2014) verstört, doch die unbeschwerte Leichtigkeit des Seins hielt nur für kurze Zeit Einzug in die Existenz der 28-jährigen Amerikanerin. "Okovi" geht nicht nur als eines der besten, sondern auch als eines der intensivsten und schmerzhaftesten Alben des Jahres über die Ziellinie. Hinter rauschhaften Klangcollagen, die sich im dicht bewachsenen Labyrinth von Dark Wave, Goth-Collagen und experimentellem Industrial Rock befinden, leidet die Künstlerin in elf eindringlichen Kapiteln, die von Selbstmordversuchen, Depressionen und mentaler Dunkelheit erzählen. Wer intensiv zuhört, kann die Nadelstiche selbst fühlen, die Nika Danilova knapp 40 Minuten lang nicht nur in Mark und Bein, sondern auch direkt in Herz und Seele treffen. Kein Künstler hat 2017 einen derart offenen und zugleich schockierenden Seelenstriptease hingelegt. Kein Wunder, dass die dunkle Messe in er viel zu kleinen Fluc Wanne in Wien restlos ausverkauft war.

Nun ja, zehn Alben sind gut, 15 aber noch besser. Hier haben wir für Sie noch weitere fünf Werke, die uns nachhaltig positiv im Gedächtnis geblieben sind:

Converge - The Dusk In Us
Das Leiden ist auch ein essenzieller Bestandteil der Metalcore-Urgesteine Converge. Spätestens mit "Jane Doe" (2001) wurde die Band rund um Multitalent und Sänger Jacob Bannon zu Heilsbringern einer ganzen Szene. Mit "The Dusk In Us", ihrem ersten Werk seit fünf Jahren, verteidigen sie den Platz am Thron souverän. Das kompositorische Hardcore-Geshredder mit viel Aussage und noch mehr Eigenständigkeit beinhaltet sogar Clean-Vocals-Passagen. Converge bleiben Könige in ihrer eigenen Welt.

Dizzee Rascal - Raskit
Das in Großbritannien florierende Grime-Genre erfreut sich vor allem in Westeuropa steigender Beliebtheit und schwappt langsam aber doch auch in unsere Breitengrade rüber. Der Brite Dizzee Rascal versucht auf seinem sechsten Studioalbum die elektronisch verstärkten Rap-Stakkatos zu revolutionieren und scheitert daran nur knapp. Doch zumindest die erste Albumhälfte wird all den Jungspunden der Szene noch lange als qualitativ hochwertige Blaupause dienen.

Japandroids - Near To The Wild Heart Of Life
Langsam, still, heimlich und ohne weitere Erläuterungen verschwanden die kanadischen Alternative Rocker vor vier Jahren von der Bildfläche - nur um heuer mit "Near To The Wild Heart Of Life" fulminant wieder an die Oberfläche zu stoßen. Die gereiften Herren haben mittlerweile den Heartland-Rock für sich entdeckt und streifen in manchen Songs sogar die viel zu früh verstorbene Legende Tom Petty. Jetzt muss nur noch die breite Öffentlichkeit davon Wind bekommen.

Lana Del Rey - Lust For Life
Böse Kritiker behaupten ja gerne, Lana Del Rey wäre mit ihrer beschränkten Stimmkraft und der immergleichen Ausstrahlung überbewertet, doch "Lust For Life" beweist das Gegenteil. Die größte junge Diva der Gegenwart haucht diesmal auch politisch ins Mikrofon, holte sich die kongeniale Stevie Nicks dazu und übertraf mit den elegisch-dunklen Songs alle Erwartungen. Der steigende Positivismus steht ihr gut und die Songs nützen sich auch nach mehrmaligem Durchlauf nicht ab.

Liam Gallagher - As You Were
Mit den auf diversen Social-Media-Plattformen ausgetragenen, verbalen Tiefschlägen könnten die kultigen Gallagher-Brüder längst eine halbe Saison im Rabenhof ausverkaufen. Doch heuer wollten es Liam und Noel auch musikalisch wissen und veröffentlichten fast zeitgleich neue Alben. Dass der näselnde Jungbruder mit seinem tadellosen Britpop-Album "As You Were" als Sieger hervorgeht, ist vielleicht die musikalische Sensation des Jahres. Der Coolere war er schon immer, jetzt kann er den Großen auch erstmals auf professioneller Ebene in die Schranken weisen. Mehr als nur "definitely maybe".

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