"Krone"-Interview

Good Charlottes Kampf mit dem Erwachsenwerden

Musik
20.07.2017 12:26

Mit Songs wie "Girls & Boys" oder "I Just Wanna Live" haben Good Charlotte Anfang des Jahrtausends die globale Pop-Punk-Szene beherrscht. 2011 war die Band rund um die Madden-Zwillinge Joel und Benji von den Majorlabels, dem Erfolgsdruck und der Society-Berichterstattung so zerrieben, dass sie sich für unbestimmte Zeit zurückzogen. 2016 gelang ihnen mit dem Album "Youth Authority" ein bemerkenswertes Comeback, das sie wieder auf die größten Bühnen zurückbrachte. Im Zuge des Nova Rocks sprachen wir mit den beiden über das harte Erwachsenwerden, warum sie jetzt junge Künstler unterstützen und weshalb sie die Verantwortung für ihre Karriere nie mehr aus der Hand geben.

(Bild: kmm)

"Krone": Joel, Benji, nach fünfjähriger Abwesenheit seid ihr letztes Jahr mit dem Album "Youth Authority" wieder auf die Bildfläche zurückgekehrt. Wie bewertet ihr dieses Comeback mit etwas Abstand zu heute?
Joel Madden: Wir waren für lange Zeit weg und das war uns total bewusst. Ich weiß heute gar nicht mehr, warum wir so eine lange Pause brauchten, aber es war eben so. Wir haben dann endlich an einem Album gearbeitet und das fiel extrem ehrlich aus. Wir sind allgemein sehr ehrlich zu uns selbst und spielen derzeit die besten Konzerte unserer Karriere. Wir haben viele neue, junge Fans gewonnen, die uns gerade erst entdecken und mit Good Charlotte hatten wir immer das Ziel, die Zeiten zu überdauern und stets relevant zu bleiben. Die Zeit bringt dich dazu, die Wahrheit zu ergründen und die Wahrheit über unsere Band ist, dass wir hier sind, um zu bleiben. Insgesamt gibt es uns jetzt 21 Jahre und wir sind richtig stolz darüber, was wir sind und wer wir sind. Wir jagen keinen Luftschlössern nach und versuchen nicht, uns wo anzubiedern, sondern sind einfach wir selbst.
Benji Madden: Egal, was jemand anders über uns denkt - wir ziehen unser Ding durch.

Musstet ihr über die Jahre erst lernen, wie man ehrlich zu sich selbst ist?
Benji: Wenn du jung bist, dann lässt du dir einfach mehr einreden und dich in gewisse Richtungen bugsieren. Erst mit dem Alter lernst du, dass Selbstsicherheit und Zufriedenheit gut für dich sind. Es ist ein Zusammenspiel aus Zeit und Erfahrungen.

Hattet ihr bestimmte Momente, in denen ihr wusstet, ihr müsst jetzt an Selbstsicherheit gewinnen oder einfach auch mal den eigenen Egoismus gegen andere durchsetzen, um weiterzukommen?
Benji: Wir haben eine Musikfirma gestartet und managen nicht nur uns selbst, sondern auch viele andere Künstler, die wir gut kennen.
Joel: Die Philosophie dahinter ist, ehrlich zu sich selbst zu sein, weil wir das auch auf hartem Weg erlernten.
Benji: Diese Erfahrung wollen wir mit anderen Künstlern teilen. Vielleicht könnten wir ihnen helfen, schneller an ein Ziel zu kommen als wir es taten, weil uns damals nicht so eine Hilfe zuteilwurde. Die Künstler können einige harte Lehrjahre und Leerläufe überspringen.

Lernt ihr selbst von den jungen Künstlern, denen ihr helft?
Benji: Jeden Tag sogar. Ich sage das auch allen, dass das Schönste an meiner Arbeit die Tatsache ist, dass man gegenseitig von sich lernen kann.
Joel: Good Charlotte wurden zu einer besseren Band, weil wir von anderen Bands dazulernten.

Habt ihr die mehrjährige Pause gebraucht, um die Dinge wieder neu zu ordnen? Weil ihr sonst als Band komplett auseinandergebrochen wärt?
Benji: Es war notwendig, um Good Charlotte in der Form zurückzubringen, wie wir es wollten. Anders hätten wir die Band nicht mehr retten können. Wir wollten das letzte Kapitel nicht so schreiben und vor allem nicht jetzt schon. Es ging darum, dass wir wieder glücklich sind und dabei nicht auf das Glück der anderen bauen. Nun sind wir wieder da und ich finde, man kann nun fühlen, dass wir unabhängig und neu geordnet sind. Wir fühlen uns total gut bei allen Entscheidungen und schauen nicht mehr nach links oder rechts. Es ist eine sehr angenehme Situation.

Gibt es auch Grenzen, die euch an der völligen Unabhängigkeit hindern?
Joel: Es ist interessant, weil sich alles so einfach und logisch anfühlt. Es ist mir heute auch egal, wenn wir wirklich hart arbeiten müssen, denn wenn du dir ob deiner Arbeit zu 100 Prozent sicher bist und voll dahinterstehst, kannst du sie auch genießen. Machst du etwas für jemand anderen, dann verlierst du den Spaß.
Benji: Reden wir vom Nova Rock. Die Frage war nicht, wie viel verdienen wir, sondern wollen wir vor diesem tollen Publikum spielen? Wer spielt sonst noch hier? Wir stellen uns die Fragen selbst und wenn wir sie richtig beantworten können, dann spielen wir mit. Wir müssen heute zu 100 Prozent sicher sein, dass wir etwas machen wollen. Das ist auch bei den Interviews so - wir machen nur mehr wenige, weil wir mittlerweile aussortieren, mit wem wir über was sprechen. Auch hier etwas zurückzuschrauben war geschickt. Wir wollen nicht mehr die Welt erobern, sondern einfach gute Songs, gute Alben und gute Shows abliefern. Die Fans sollen wissen, dass uns Erfolg nicht mehr so wichtig ist, sondern es um die Eigenständigkeit der Band geht. Geld ist nicht mehr die bestimmende Maxime, das war früher natürlich anders. Früher wollten wir alles machen und alle Bäume ausreißen.
Joel: Das waren lehrreiche Stunden. Ohne unsere Zugangsweise zur Karriere zu hinterfragen, würden wir heute nicht da stehen, wo wir sind.

Habt ihr vor sechs Jahren auch ein bisschen die Liebe zur Musik verloren, weil ihr die Band auf Eis gelegt habt?
Joel: Wir hatten das Gefühl, dass die Band missbraucht wurde, weil wir sie nicht gut genug beschützt haben. Wir hätten öfter nein sagen, besser selektieren müssen. Die Liebe zur Musik haben wir aber nicht verloren.
Benji: Auch nicht die Liebe zur Band, aber die Passion war etwas zurückgeschraubt, wir sind einfach aus der Spur geraten. Man könnten sagen, dass wir etwas verwundet waren und wieder Zeit brauchten, um auf die Füße zu kommen. Man muss gebrochene Gliedmaßen ausheilen lassen, dann kann man wieder angreifen. Wir haben gemerkt, dass kein Geldbetrag der Welt uns jemals wieder davon abbringen könnte, das Geschäft so laufen zu lassen, wie wir es für richtig halten. Wir haben uns von den Labels getrennt und alles noch einmal evaluiert.
Joel: Ich habe Benji gesagt, dass ich lieber mein restliches Leben als obskurer Typ durchs Leben gehen würde, der seinen Stolz und seine Integrität für sich hat, als für die falschen Gründe auf die Bühne zu gehen. Es war uns klar, dass es kein Album und keine Konzerte geben würde, bis alle fünf von uns in der Band im völligen Gleichklang ticken und dieselbe Sichtweise auf die Band haben würden. Das war zwar früher auch immer so, aber in einer anderen Art und Weise. Wir lassen uns keine Vorgaben mehr machen, sondern ziehen das durch, was wir für richtig halten.
Benji: Wir hatten viele Menschen aus der Musikindustrie, die sich nicht um uns kümmerten. Sie wollten nur den Lohnzettel abstauben und es ging ihnen nicht um uns und die Musik. Wir waren wir die Orange, die man so lange quetscht, bis sie komplett ausgewringt ist - dann schmeißt man sie weg. Aber der Künstler ist im Recht, es ist unsere Kopfarbeit, die andere zum Erfolg bringt. Die Leute im Business schreiben keine Songs, nehmen keine Alben auf, gehen nicht auf die Bühne und reden nicht mit den Fans - das sind wir und niemand sonst. Die Verbindung zu all dem, was alle leben lässt, geht über uns und das wurde uns bewusst. Unsere Fans und wir wurden immer mehr zu einer verschworenen Einheit, die sich gegen den Rest durchsetzen konnte. Unsere Absichten sind ehrlich und echt und nichts anderes zählt. Wir managen uns selbst und alles funktioniert noch besser als vorher.
Joel: Die Künstler, die es mit uns versuchten, bemerkten dasselbe. Sie kamen plötzlich drauf, dass wir einen anderen Zugang als all die Labels und Manager hatten, weil wir eben selbst Musiker sind. Ich sehe die Industrie nicht als gesamt schlecht, es gibt viele tolle Menschen, aber leider liegt hier sehr vieles im Argen. Wir haben quasi als Künstler eine Firma für Künstler aufgebaut und so nebenbei auch die wirklich guten Leute der Majorlabels an uns binden können, weil sie unserem Weg glauben und vertrauen. Wir sind also breit aufgestellt und können in vielen Bereichen sinnvoll helfen. Wir haben eine der am schnellsten wachsenden Firmen in der Musikindustrie.
Benji: r zu nennen. Sie glauben an die gleichen Dinge wie wir, sie jagen nicht mehr dem einen großen Hit nach, sondern wohl normal wachsen.

Bei manchen Labels hat man das Gefühl, dass sie den Entwicklungen im Musikbusiness nicht mehr rasch genug folgen könnten.
Joel: Das sind verdammte Dinosaurier.
Benji: Jeder dieser Bands hat seinen eigenen Erfolg, der nicht mehr auf den alten Modellen beruht. Wir verstecken nichts, sind keine Gatekeeper, sondern kommunizieren vollkommen offen untereinander, weil das heute nötig ist. Die Musik muss immer an erster Stelle stehen, das gilt für uns als Musiker genauso wie für uns als Geschäftsleute.

War es ein Problem, dass bei vielen Plattenfirmen die Musikliebhaber sukzessive von schnöden Zahlenjongleuren und Wirtschaftlern abgelöst wurden?
Joel: Das ist das große Problem der Majorlabel. Wir haben mit allen Großen zusammengearbeitet und es war bei Gott nicht alles und jeder schlecht, ganz im Gegenteil. Aber das Grundprinzip baut darauf, dass sie junge und hungrige Künstler entdecken, ihnen wirre Verträge vorlegen, die nie gut für eine Band sein können und sie dann auspressen. Wir wollen einfach fair sein, so dass alle Parteien gewinnen. Das sollte doch auch der Sinn hinter eine Geschäftsbeziehung sein.
Benji: Die Künstler brauchen Menschen, die sie außerhalb der Musik in allen Bereichen unterstützen. Das ist ja gar keine Frage und das wollen wir auch nicht bekritteln, aber wenn man ein global erfolgreicher Künstler sein will, muss es auch einen Weg geben, das fair und offen zu schaffen. Sind wir perfekt? Nein. Versuchen wir alles Menschenmögliche, um immer besser und fairer zu werden? Ja. Wir arbeiten mit Menschen mit echten Leben, die es verdienen, nicht verarscht zu werden. Zuerst kommt der Mensch, dann der Künstler.

Als ihr an der Spitze angelangt wart, drohtet ihr die Bodenhaftung zu verlieren?
Joel: Da bin ich mir sogar sicher. Jeder hat seinen Wert in dem Musikgeschäft und es gab natürlich Momente, in denen wir nicht immer sattelfest waren.
Benji: Ein 20-Jähriger kriegt unglaublich viel Aufmerksamkeit, Geld und Lob - natürlich schlägt man da manchmal über die Stränge und zeigt nicht genug Demut.
Joel: Das ist aber total menschlich. Niemand, der in seinem Bereich Erfolg hat, macht immer alles richtig. Es geht darum, sich in den richtigen Momenten richtig zu verhalten, aber wir alle machen Fehler.
Benji: Wir waren oft sehr verletzlich und haben uns quasi aus Selbstschutz verschlossen und sind dadurch arrogant rübergekommen. Man lernt daraus und verbessert die Situation.
Joel: Als Erwachsener und Vater ist es nicht so sehr mein Bestreben, alles immer richtig zu machen, sondern Streit zu schlichten, alles pünktlich zu bezahlen und meiner Familie ein gutes Leben zu bieten.
Benji: Wir haben sicher viele Fehler gemacht, aber unser Bestreben war es immer, dass auch alle Menschen und Künstler in unserem Umfeld Erfolg haben und jeder etwas vom Kuchen abbekommt. Wir hatten immer große Herzen und das hat sich niemals verändert. Die Leute haben uns über die Jahre besser kennengelernt und vertrauen uns stärker. Joel hat mich unlängst auf einem Flughafen darauf aufmerksam gemacht, dass ich zu einem Security ein ziemliches Arschloch war. Ich wollte das anfangs nicht einsehen, beruhigte mich dann aber und entschuldigte mich bei dem Typen, der nur seinen Job macht. Das sind Fehler, die man macht, aber man kann zumindest versuchen, sie wieder gut zu machen. Wenn du dich entschuldigen kannst, dann werden die Leute das auch verstehen. Da wir Brüder sind, können wir ganz ehrlich zueinander sein und dem anderen auch sagen, wenn er richtig Scheiße baut.
Joel: Es gehört zum Prozess der Menschlichkeit dazu, dass man Fehler macht und diese wieder ausmerzt. Es geht niemandem anders als uns, jeder hat sein Päckchen zu tragen. Sei nicht zu stolz darauf, dass du bescheiden bist oder glaub nicht, dass du immer Recht hast. Das sind Kardinalsfehler. Man sollte sich auch bei Charity-Projekten einbringen und Menschen mit Respekt behandeln.
Benji: Wir hatten auch Momente in unserer Karriere, wo uns die Aufmerksamkeit zu viel wurde und wir flüchteten. Außerhalb von Good Charlotte ließ das Interesse an uns nach, jetzt ist es wieder da. Das ist der Kreislauf des Lebens, aber ein 20-Jähriger geht damit anders um als ein 40-Jähriger.
Joel: Nach 20 Jahren im Geschäft siehst du andere Künstler auch in den unterschiedlichsten Phasen ihrer Karriere. Es geht bei fast jedem auf oder ab, außer du bist bei den ganz Großen. Jeder lernt auf seine Weise, wie er damit umgehen kann.
Benji: Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass je höher du in deinem Leben steigst, umso brutaler der Aufprall wird, wenn es mal nach unten geht. Aber du lernst Dankbarkeit und weißt viele Dinge viel besser zu schätzen. Ich schaue oft zurück, um aus meinen Fehlern zu lernen und gewisse Dinge anders zu gestalten.
Joel: Entschuldigungen sind eine wichtige Möglichkeit, Freundschaften zu festigen, zu retten oder entstehen zu lassen. Viele meiner Freunde habe ich früher dämlich behandelt, mich dafür entschuldigt und dadurch eine tiefere Beziehung als je zuvor aufgebaut. Es ist wichtig, über seinen Schatten zu springen und offen zu sein. So etwas lernt man mit den Jahren.

Am Totenbett schaut der Mensch für gewöhnlich auch eher darauf zurück, wie er sich verhalten hat, als welchen Job er eigentlich ausübte. Seid ihr selbst gut darin, zweite Chancen zu verteilen, wenn eure jüngeren Künstler mal Mist bauen?
Benji: Das musst du. Jeder muss seine Reise machen und du darfst ihn nicht dabei aufhalten. Manchmal geht etwas nicht gut, dann greifst du eben ein, aber Fehler sollen jedem gestattet sein, denn sonst verpuffen alle Lerneffekte.

Ist der Albumtitel "Youth Authority" in gewisser Weise eine Selbstbeschreibung für die Good Charlotte der Gegenwart?
Benji: Ich finde, es ist eine Referenz an die Kraft der Jugend. Wenn junge Leute auf einen Zug aufspringen, etwas für sich erobern wollen und sich artikulieren, dann muss die Welt zuhören. Sie kommunizieren gerne, haben ihre eigenen Slangs, aber man darf sie nicht ignorieren, sondern muss auf sie hören.
Joel: Wenn ein paar Jugendliche in ihrem Schlafzimmer einen Song kreieren, kann der die ganze Welt verändern - das darf man niemals vergessen. Viele ältere Leute haben Angst vor der Radikalität und Unbeschwertheit der Jugend, aber du kannst sie nicht ignorieren, sondern musst auf sie zugehen. Sie sind die Zukunft und die Zukunft sollte man dementsprechend gut behandeln.

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