"Diktator, Diktator"

Ungarn: Hunderte Demonstranten pfiffen Orban aus

Ausland
24.10.2016 05:30

Proteste gegen den rechtskonservativen Regierungschef Viktor Orban haben am Sonntag die Gedenkfeierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Beginns des Volksaufstands von 1956 in Ungarn begleitet. Regierung und Opposition begingen den Jahrestag getrennt, beide beanspruchten das Erbe der Revolution gegen das stalinistische System vor 60 Jahren für sich.

Kritiker warfen Orban den Abbau der Demokratie vor und damit auch die Verhöhnung des Andenkens an den anti-sowjetischen ungarischen Volksaufstand vor 60 Jahren. Zuletzt hatte man auch hinter der mysteriösen Schließung der oppositionellen Tageszeitung "Nepszabadsag" vor zwei Wochen Orbans Hand vermutet.

Zum Festakt vor dem Parlament erschienen am Sonntag mehrere Tausend Anhänger der rechtsnationalen Orban-Regierung. Die mehrheitlich jugendlichen Gegendemonstranten sammelten sich an den Rändern des Parlamentsvorplatzes, riefen "Diktator! Diktator!" und bliesen in Trillerpfeifen. Pfiffe gab es auch für Orbans Ehrengast, den polnischen Präsidenten Andrzej Duda.

Rangeleien und Schläge
Die Hunderten Anhänger der Opposition wurden nicht auf den hermetisch abgeriegelten Platz gelassen. Von den Rändern des Platzes verschafften sie sich jedoch lauthals Gehör. Nur wenigen Gegendemonstranten gelang es, auf den Platz vorzudringen, wo es laut "Inforadio" zur Konfrontation zwischen Orban-Anhängern und -Gegnern kam. Stellenweise kam es zu Rangeleien. Ein Unbekannter schlug dem auch im deutschen Sprachraum bekannten Historiker Krisztian Ungvary ("Die Schlacht um Budapest 1944/45") mit der Faust ins Gesicht, sodass er blutete. Zu dem Protest aufgerufen hatte der Vize-Vorsitzende der kleinen liberalen Partei Együtt (Gemeinsam), Peter Juhasz.

Orban: "Entscheiden wir über unser Leben oder jemand anders?"
Orban nutzte seine Rede für eine neuerliche Attacke auf die EU-Politik. Er bezeichnete den 23. Oktober als "Tag des Stolzes". "Wir Ungarn haben das Talent zur Freiheit, wir wussten immer, was wir mit ihr anfangen", so der Regierungschef. Die einfache Frage laute: "Entscheiden wir über unser Leben oder jemand anderes?" Für die heutige Zeit bedeute dies, dass die "freiheitsliebenden Völker" die Europäische Union vor der "Versowjetisierung" schützen müssten. Die Ungarn wollten eine europäische Nation bleiben und keine Nationalität in Europa werden, so Orban. "Als die Erben von 1956 können wir nicht akzeptieren, dass Europa jene Wurzeln durchschneidet, die uns halfen, die kommunistische Unterdrückung zu überleben."

Die ungarische Opposition beging den Jahrestag des Aufstands getrennt in der Budapester Innenstadt. Die Gedenkfeier der linksliberalen Oppositionsparteien und NGOs am Blaha-Lujza-Platz stand ganz im Zeichen des Protestes gegen Orban. Der Chef der Demokratischen Koalition (DK) und frühere Regierungschef, Ferenc Gyurcsany, bezeichnete Orban als "Konterrevolutionär", der den Ideen der Revolution von 1956 entgegenstehe. Es gebe keinen "Mittelweg", "wer nicht gegen Orban ist, der ist mit Orban", so Gyurcsany.

Opposition fordert Rücktritt der Orban-Regierung
Die Oppositionsvertreter forderten die Ablösung der rechtskonservativen Regierung und einen Zusammenschluss der schwachen Opposition, um eine "neue Wende" zu vollziehen, damit Demokratie und Rechtsstaat wiederhergestellt würden. Dazu wurde die Schaffung eines Wahlbündnisses sowie ein 500-Tage-Programm bis zur Wahl 2018 angekündigt. "Die Macht ist durchaus abwählbar", sagte der Chef der Sozialisten (MSZP), Gyula Molnar. Er hätte nie geglaubt, dass eine Zeit kommen würde, in der die Forderungen von 1956 erneut aktuell seien: Abschaffung der Unterdrückung, Presse- und Redefreiheit sowie die Nicht-Einmischung der Russen in die ungarische Politik, so Molnar.

Am 23. Oktober 1956 hatte in Ungarn eine Demonstration den Volksaufstand gegen das kommunistische Regime eingeleitet. Die Revolution wurde am 4. November von sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen. Anführer und Sympathisanten des Aufstands wurden daraufhin hingerichtet, eingekerkert oder verloren ihre Arbeit. 180.000 bis 200.000 Menschen flohen nach Österreich.

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