Kern legt nach:

Türkei mit Verhandlungen an EU binden ist “falsch”

Österreich
15.08.2016 14:56

Bundeskanzler Christian Kern hat am Montag im Türkei-Streit mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nachgelegt: Die Annahme, dass man die Türkei über einen Verhandlungsprozess stärker an Europa binden könne, habe sich als "falsch" herausgestellt, sagte der Kanzler. Junckers Kritik an seiner Forderung nach einem Abbruch der EU-Beitrittsgespräche wies Kern zurück: Er sehe keine Sinn darin, wenn Juncker sage, man müsse Verhandlungen führen, aber die Türkei werde nicht beitreten.

Kern wünschte sich "deutlich mehr Klarheit". An der "Fiktion" von Beitrittsverhandlungen festzuhalten führe "zu gar nichts, außer dass uns die Leute fragen, ob wir noch ernst zu nehmen sind, ob wir das Eintreten für Demokratie, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit überhaupt noch ernst nehmen".

"Kein Verständnis und keine Sympathien für Gülen"
Österreich verurteile den Putschversuch in der Türkei "mit aller Vehemenz" und habe kein Verständnis und keine Sympathien für den Prediger Fethullah Gülen, den die türkische Führung für den Putschversuch verantwortlich macht, bekräftigte Kern. Er verstehe auch die Verhängung des Ausnahmezustandes, so der Bundeskanzler, wie dieser genützt werde, sei aber "problematisch".

Den Vorwurf, mit seiner Forderung nach Abbruch der Beitrittsverhandlungen Öl ins Feuer gegossen zu haben, könne er "ganz und gar nicht" nachvollziehen, sagte Kern. Auch dass er aus innenpolitischen Überlegungen gehandelt habe, sei ein "falscher" Vorwurf. Zur aufgeheizten Stimmung in der türkischen Community in Österreich hielt Kern fest, dass die Menschen ihre Meinung ausdrücken könnten, auch wenn das nicht gefalle. Umgekehrt müssten aber die westlichen Werte akzeptiert werden - keine Gewalt, auch nicht in der Familie, keine Frauendiskriminierung, und die Religion müsse sich aus der Politik heraushalten.

Asyl-Sonderverordnung Anfang September fertig?
Zum innenpolitischen Streitfall rund um die umstrittene Asyl-Sonderverordnung sagte der Kanzler, er halte die Vorlage eines Begutachtungsentwurfs in wenigen Wochen für möglich. "Anfang September findet noch ein Gespräch auf Ebene der Innen- und Verteidigungsminister zwischen Österreich und Ungarn statt", sagte Kern. "Dort müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, um die Verordnung umsetzen zu können und Menschen auch nach Ungarn zurückzubringen. Wenn das gelingt, halte ich den Ministerrat am 6. September für ein gutes Datum, um den fertigen Text in Begutachtung zu schicken." Der Ball liege nun bei Innenminister Wolfgang Sobotka.

Wenn die offenen Fragen geklärt seien, "dann werden wir es im Ministerrat behandeln, wenn nicht, müssen wir nacharbeiten". Für den Bundeskanzler ist das "keine emotionale Frage". Er bekenne sich zur Begrenzung der Zuwanderung, "diese ist in den letzten Monaten auch massiv gesunken". Österreich müsse sich aber auch darauf vorbereiten, was passiere, wenn sich die Lage in Nordafrika und der Türkei verändere und erneut mehr Flüchtlinge kommen sollten. Diese Vorbereitung müsse juristisch sauber und unter Einhaltung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit erfolgen.

Mindestsicherung: Mehr Sachleistungen, Wohnsitzpflicht, Sanktionen
Auch beim Streitthema Mindestsicherung hält der Bundeskanzler eine Einigung mit der ÖVP für durchaus möglich. "Wenn man das lösen möchte und nicht als willkommenes ideologisches Sommerthema sieht, dann gibt es natürlich einen Weg." Kern plädierte dafür, "nicht die Ärmsten gegen die Allerärmsten auszuspielen", und verwies darauf, dass die Mindestsicherung ein Beitrag zur Vermeidung von Armut, Gettos und Obdachlosigkeit sei. Ohne auf Details der Verhandlungen einzugehen, trat Kern für vermehrte Sachleistungen, eine Wohnsitzpflicht und die tatsächliche Anwendung von Sanktionen im Fall von Arbeitsverweigerung ein.

ÖVP-General sieht "Bewegung in der Sache"
In Sachen Sonderverordnung reagierte ÖVP-Generalsekretär Peter McDonald am Montagnachmittag positiv auf Kerns Äußerungen: "Jetzt wo Kern doch seine Unterstützung für eine rasche Umsetzung bekundet, könnte Bewegung in die Sache kommen", sagte er. "Zwar ist es schwer, sich auf das Zickzack einzustellen, allerdings zählt am Ende nur das Ergebnis."

Weniger erfreut zeigte sich die FPÖ: Kern spiele "auf Zeit", habe aber kein Konzept, um die Migrationswelle nach Österreich nachhaltig zu stoppen, so Generalsekretär Herbert Kickl. "Kern verhält sich wie ein Roulettespieler, wir sind aber nicht im Kasino." Der Kanzler solle stattdessen "Staatspolitik machen".

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