"Krone"-Interview

Bosse: “Zum Schreiben reicht mir ein Dixie-Klo”

Musik
11.02.2016 17:00

Es liegt wohl mehr an seiner Arbeitsweise und den Songs als an seinem Nachnamen, doch Axel Bosse wurde schon des Öfteren als "deutscher Bruce Springsteen" bezeichnet. Auf seinem brandneuen Album "Engtanz" besingt der sympathische Hamburger einmal mehr die Tücken des Erwachsenwerdens, die Schwere von Verlusten und den alltäglichen Wahnsinn. Sein Interview mit der "Krone" konnte auch nicht durch einen um ihn kreisenden Raben in Hamburg verhindert werden - genug Interessantes zu erzählen gibt es schließlich zuhauf.

(Bild: kmm)

"Krone": Axel, dein Erfolgsalbum "Kraniche" war vor drei Jahren der bislang größte Erfolg deiner Karriere. Die Verkaufszahlen waren gut und die Konzerte sehr gut gefüllt. Wie hat sich dieser Karriereturbo für dich entwickelt?
Axel Bosse: Es war tatsächlich ein Boost und das habe ich auch im Körper gemerkt. Wir spielten zweieinhalb Jahre durchwegs Konzerte und hatten dazwischen kaum frei. Früher war das andersrum, da habe ich mich eher gefreut, wenn ich mal einen Termin hatte. (lacht) Mit der Akustik-Tour und den Festivals und Open Airs war das quasi eine permanente Beschäftigung. Als es vorbei war, war es dann aber auch gut. Wenn ich im Studio bin denke ich mir oft, dass ich wieder auf die Bühne will, weil es mich sonst langweilt, aber in dem Fall wusste ich beim letzten Konzert, dass es wirklich mal reicht und ich wieder sitzen möchte. (lacht)

"Krone": Hast du dich persönlich in den letzten drei Jahren verändert?
Bosse: Ganz ehrlich? Gar nichts. Ich habe immer noch dieselbe Band, denselben Mischer, die Vögel aus der Plattenfirma sind die gleichen und auch meine Familie ist noch dieselbe. Darüber bin ich auch sehr froh. Bei mir persönlich ändert sich gar nichts und der ganze Rest wird mal besser und mal schlechter. Ich finde aber auch, dass ich das so viel mehr genießen kann. Natürlich freut sich der Gitarrist, mit dem ich schon vor zwölf Jahren vor null Leuten spielte über die Fans, die jetzt kommen. Wir können das wohl besser teilen, wie kleine Jungs. Ich rechne meinen Leuten hoch an, dass sie auch bei mir blieben als es schlecht war. Jetzt läuft es ziemlich gut und alle sind sehr demütig und freuen sich über Kleinigkeiten. Zum Beispiel, dass wir im Nightliner fahren. Mittlerweile zwar auch schon zum fünften Mal, aber es ist immer noch so viel besser als ein kleiner Sprinter. (lacht)

"Krone": Du meintest, es wäre dir nicht sehr leicht gefallen, dein neues Album "Engtanz" zu schreiben. Woran lag das? Hattest du mit "Kraniche" schon alles gesagt, was dir auf der Zunge lag?
Bosse: Die hohe Erwartungshaltung habe ich ja auch selbst an mich. Ich möchte coole Sachen sagen, die mich berühren und die schlau sind. Am Ende sitze ich dann aber doch wieder vor einem weißen Blatt Papier, einem Klavier und einer Gitarre - völlig egal, was ich mir davor so alles vorgenommen habe. Dieses Mal merkte ich das extrem, aber gut, das ist mein sechstes Album und da hat man im Vorfeld eben schon viel gesagt. Ich musste mir erst einmal Gedanken darüber machen, ob ich überhaupt noch etwas Kluges zu sagen habe, ob da noch was ist. Ich fasste dann den Entschluss, dass wenn ich etwas mache, was mich noch einmal richtig kicken sollte, dann muss das tiefgehender als alles Bisherige sein. Wiederholungen bleiben nicht aus, aber man muss es probieren. "Kraniche" passierte schon stark von außen, wo man sich selbst und auch die Gesellschaft gut im Blick hat. Dieses Mal wollte ich von einer inneren Perspektive heraus schreiben. Bis ich das fand, hat das aber ganz lange gedauert und ich habe dazwischen extrem viel ausprobiert und auch weggeschmissen.

"Krone": Wiederholungen konntest du wieder gut umschiffen, aber wird das Schreiben und Aufnehmen für dich von Mal zu Mal quälender?
Bosse: Das Aufnehmen selber hat mir schon immer wehgetan. (lacht) Der geschlossene Studioraum und der Bassdrum-Sound sind Sachen, da muss ich Espresso trinken gehen. Ich bin schon froh, dass Menschen gerne vor dem Pult sind. Ich bin froh, dass ich oft nach Umbrien komme, denn dort kann ich draußen sitzen und mein Produzent bleibt derweil drinnen. Ich kann während des Textens auch rauchen und es regnet selten, aber diese Elektrosmog-Studios sind nichts für mich. Ich werde daher auch nie ein Künstler sein, der sich drei Monate im Studio einschließt und dort dann arbeitet. Ich kann nicht Nintendo spielen und nebenbei aufnehmen. (lacht)

"Krone": Brauchst du beim Schreiben bewusst das Ländliche? Könntest du in deiner Heimat Hamburg gar keine Songs kreieren?
Bosse: Umbrien ist ja so etwas wie die arme und vielleicht ein bisschen hässliche Schwester der Toskana und da gibt es einen Berg und nichts drumherum - zudem noch uns und ein paar Tabakbauern. Da ist mein Leben so, dass wir um 8 Uhr morgens aufstehen, dann gibt's Kaffee, dann nehmen wir auf, essen gesund, arbeiten wieder, trinken ein paar Gläser Wein und gehen ins Bett. Wenn ich nach zwei Wochen nach Hause komme, habe ich das Gefühl, dass ich in Hamburg oder Berlin wohl ein halbes Jahr dafür brauchen würde. Ich hab ja hier viel zu viele Freunde und meine Familie und es gibt so viele Sachen, die man tun muss und das gibt es in Umbrien überhaupt nicht. Da geht es jetzt aber ums Produzieren und Aufnehmen. Zum Schreiben ist das scheißegal, da könnte ich auch auf einem Festival im Dixie-Klo sitzen - wenn man eine Idee hat, hat man eben eine Idee. Ideen kriegt man ja nur, wenn man lebt.

"Krone": Ein essenzielles Thema auf "Engtanz" ist das Erwachsenwerden und Reifen - war das für dich ein schwieriger Prozess? Es gibt ja unheimlich viele Menschen, die sich dem zeit ihres Lebens so gut es geht verweigern.
Bosse: So geht es auch mir und ich bin gespannt, ob sich da was ändern wird. Natürlich bin ich keine 22 mehr, sondern lebe mittlerweile einfach schon 13, 14 Jahre länger - das ist einfach Fakt. Ich könnte so Songs im Sinne von "du, ich bin megapleite, ich habe in meiner Ein-Zimmer-WG nur einen Pappkarton und ein Billy-Regal und ich renne durch Berlin, nehme Drogen und trinke Alkohol und suche nach der Braut und der Vision fürs Leben" natürlich nicht mehr schreiben. Ich habe das alles schon durchlebt. Der Ist-Zustand ist eben anders. Meine Tochter ist bald zehn - ich bin mit 16 von zuhause ausgezogen. Also nur noch sechs Jahre und dann haut die vielleicht schon ab. Das war einer der ersten Gedanken. Oder wie ist das mit meiner Verantwortung und meiner Zeit? Wie viele gute Sachen mache ich im Leben, die mir gefallen? Wie viele Chancen habe ich verpasst? Die ersten Freunde, die zu hart gefeiert haben, sind gestorben. Die 35 fühlt sich so an, als wäre die Hälfte rum. Ich finde, jetzt sollte man noch mal richtig und bewusst leben, vielleicht etwas gesünder, weil es der Körper sonst nicht mehr schafft, aber intensiv. Diese Situationen versuchte ich zu beschreiben.

"Krone": Wenn du mit 16 ausgebüxt bist und bereits vor zehn Jahren Vater wurdest, musstest du aber ohnehin schon sehr früh sehr reif sein.
Bosse: Definitiv, Verantwortung in punkto Liebe und Sorge habe ich schon sehr früh gelernt. Als ich mit 25 Vater wurde, hatte ich auch nicht mehr das Gefühl in dem Alter zu sein. Für mich war immer klar, dass man erst so mit 40 mal Vater wird und ich war halt sehr früh dran.

"Krone": Gibt es besondere kindische Momente, die du bewusst und absichtlich gerne oft durchlebst?
Bosse: Auf jeden Fall die kindliche Freude Musik zu machen und Bock darauf zu haben. Ich verkrampfe nicht und komme mir auch nicht langweilig dabei vor. Ich mache auch gerne Interviews und ich habe große Freude daran, was zu veröffentlichen, auf die Bühne zu gehen und Songs zu schreiben. Ich hoffe wirklich, dass das nie weg geht und das lässt mich zumindest total jung fühlen, auch wenn ich über Sachen singe, die Neunjährige vielleicht gar nicht verstehen. Zudem bin ich extrem ungeduldig, was auch sehr kindlich und jugendlich und sicher auch ein kleiner Nachteil für meine Mitstreiter ist. (lacht)

"Krone": Hat der Albumtitel damit zu tun, dass sich dein Leben manchmal wie ein Engtanz anfühlt?
Bosse: Ich fand die Wortmischung sehr gut. Einerseits ist das Album für mich zweigeteilt und es hat die größte Energie all meiner Alben, aber auch erst ab der zweiten Hälu schnell angefangen, aber das ist durchaus gut so. Andererseits ist das Album am Anfang und am Ende eines, wo man sich am besten hinlegt und den Kopfhörer aufsetzt, um reinzukommen. Für mich ist das verbunden mit dem Nahen und dem Engen. Zudem war ich in den letzten Jahren mit meiner Frau und meinen Freunden immer wieder auf Engtanz-Partys. Das kommt von Berlin und fängt jetzt auch in Hamburg so richtig an. Auf St. Pauli gibt es einen Laden mit offener Küche und wenn alle schon ein paar Rotwein intus und gut gegessen haben, dann schiebt der Koch die Tische beiseite und legt alte Schnulzen auf und ziemlich coole Leute fangen an, eng zu tanzen. Ich finde das Gefühl nach der Party so schön, wenn man sich eben nahe war. Auf dem Album geht es auch ganz oft um genau dieses Gefühl.

"Krone": Du warst für das Album nicht nur in Umbrien, sondern auch in Amsterdam und Spanien. Zudem bist du mit deiner türkischen Frau immer wieder in Istanbul unterwegs. Kannst du den Begriff Heimat noch mit einer bestimmten Stadt konnotieren?
Bosse: Das Gefühl ist schon etwas losgelöst, weil ich schon als junger Mann sehr oft umgezogen bin. Ich habe schon in München, Leipzig und in Weimar gewohnt und komme aus Braunschweig. Es gibt aber trotzdem noch ein paar Städte, wo ich noch nicht den besten Laden oder einen bestimmten Kiosk kenne, aber ich habe einfach irrsinnig viele verschiedene WG-Erfahrungen gemacht. Als Daheim würde ich ansonsten aber schon Hamburg bezeichnen, was auch daran liegt, dass meine Tochter hier geboren ist und ihren festen Freundeskreis hat. Früher war es einfach, da bin ich immer umgezogen für jemanden. Dann habe ich mir eine kleine Fußballtruppe aus Musikern gesucht und war dann schnell integriert, habe auch als Kellner gearbeitet. Mittlerweile macht das aber meine Tochter klar, mit ihren festen Freunden und dem Kung-Fu-Verein. Deshalb ist Hamburg eigentlich unser Zuhause.

"Krone": Integration ist ein gutes Stichwort. Wie bekommst du die derzeitige Flüchtlings- und auch Fremdenhasssituation persönlich mit, da du in einer multikulturellen Familie lebst?
Bosse: In meinem direkten Umfeld muss ich darüber nicht einmal diskutieren, ganz klar, insofern habe ich das bislang hauptsächlich medial mitbekommen. Dieses Thema könnte jetzt Stunden füllen, aber grundsätzlich gibt es auf der Welt ganz viele dumme Menschen. Das ist einfach so und so muss man das auch seinem Kind erklären. Diese Typen suchen immer etwas, wo sie ihren eigenen Frust und ihre eigene Wut ablagern und ihren Hass rauslassen können. Das wird auch immer ein Problem bleiben und man muss auf jeden Fall Stellung beziehen und für die Liebe plädieren. Man muss aber auch sagen, dass ohne die ganzen freiwilligen Helfer diese große Anzahl an Flüchtlingen nicht so okay aufgenommen worden wäre. Das ist ein sehr breites Feld und ich bin gespannt, wie es weitergeht.

"Krone": Kommen wir wieder zurück zum Album - im Song "Nachttischlampe" besingst du Rastlosigkeit und Orientierungslosigkeit. Fühlst du dich manchmal selbst so, obwohl du mit einer Familie ziemlich geerdet bist?
Bosse: Eigentlich freue ich mich oft auf dieses Gefühl, weil ich mir dann wieder vorkomme wie 15. Der Song selbst bezieht sich auf einen Tag in Berlin, wo ich tatsächlich in einem schmuddeligen Hotel neben meinem Studio gewohnt habe. Manchmal ist es bei mir beim Schreiben so, dass ich das Gefühl habe, ich wäre der allergrößte Loser auf der ganzen Welt. Das liegt einfach daran, dass ich sehr unglücklich bin, wenn Sachen nicht fertig sind. Vielleicht ist das Musikersein dann auch der total falsche Beruf für mich. (lacht) Jedenfalls beginne ich dann zu grübeln und kann nicht schlafen und muss raus. Manchmal unbetrunken um 4 Uhr morgens durch die neblige Gegend zu eiern, kann schon ein ziemlich gutes Gefühl sein. Auf eine gewisse Art und Weise auch bescheuert. In Hamburg habe ich das kaum, aber öfters in Berlin. Diesen Song habe ich jedenfalls in sieben Minuten geschrieben - das war der einzige, der ganz schnell ging.

"Krone": "Mordor" schlägt in eine ähnliche Kerbe, obwohl es hier eher um Abschied und Veränderung geht. Musstest du persönliche Abschiede nehmen, die dich zu dieser Nummer drängten?
Bosse: Die letzten Jahre waren einigermaßen geprägt davon, was auch ein Indiz für mich ist, dass ich eben keine 20 mehr bin. Ich hatte in meinem direkten Umfeld viel mit Krankheiten und auch Leuten zu tun, von denen ich tatsächlich Abschied nehmen musste. Meistens waren das eben Kollegen, die Pech hatten oder einfach zu hart gefeiert haben. Der Abschied und das Klarkommen damit sind auf jeden Fall zentrale Themen, aber in diesem speziellen Fall geht es eher darum, dass wir früher meine alte Heimat Braunschweig als "Mordor" bezeichneten. Für uns war das immer der Ort des Schreckens, was das Kulturelle betrifft. Auch die Vorstellung, dass wir hier alt werden würden war keine gute. (lacht) Die Nummer schrieb ich eigentlich für meinen besten Freund, weil der zwei Jahre vor mir nach Berlin ging und ich noch zu jung war. Er war damals mein einzig langhaariger Kumpane aus dem Dorf und danach musste ich mich ganz alleine gegen die ganzen Jungnazis wehren. Irgendwie war das einer der krassesten Abschiede meines Lebens, aber durch seinen Umzug wusste ich auch, dass ich ebenso umziehen werde.

"Krone": Interessant finde ich auch den Song "Krumme Symphonie", auf dem auch dein Kumpel Casper zu hören ist. Dich hört man ja im Prinzip fast rappen, ein völlig ungewohntes und unerwartetes Terrain.
Bosse: Naja, auf meinem ersten Album gab’s Songs wie "Keine Panik", da kam Sprechgesang auch schon vor. Hier ist er mir nun einfach so rausgeplumpst und er war anfangs ohne Casper geplant. Irgendwann kam Casper dazu und ich habe das halt durchgezogen. Ich würde das aber niemals Rappen nennen, weil ich ja niemanden beleidigen möchte. (lacht) Aber mir gefiel dieser Blumfeld-Touch mit etwas mehr Schmackes. Das hat hier gepasst, denn sonst finde ich solche Kooperationen meist sehr komisch. Da fängt ein Indie-Song an, dann kommt der Refrain und direkt darauf ein Beat und du weißt schon genau, dass jetzt der Hip Hopper kommt. Dann ist der Hip Hopper fertig, es kommt wieder der Refrain und der Song ist kaputt. Ich wollte da Playback haben, das für alle gilt, wo sich keiner verbiegen muss. Casper fand es super, hat direkt drübergehalten und schnell war der Song dann fertig.

"Krone": Ich fand es übrigens extrem witzig, dass du auf Facebook verlautbart hast, dass dich dein Metal-Nachbar lobte, weil du die Gitarren wieder gefunden hast.
Bosse: Das ist mir fast noch wichtiger als die vier von fünf Sterne im "Musikexpress". Auch das ist aber für Bosse ein Weltwunder, denn beim nächsten Album wird's wohl wieder nur einer. Aber jetzt kann ich angeben. (lacht) Mit dem Typen nebenan hatte ich es richtig schwer und er hat mich immer als Weichi bezeichnet, aber nach den ersten Songs fand er es gut. Das war mir immens wichtig und freut mich einfach ungemein.

Wer "Weichi" Bosse mit neuem Material und allen Hits live sehen möchte, der kann am 4. März ins Grazer ppc oder am 5. März ins Wiener WUK schauen. Alle Infos und Tickets unter www.axelbosse.de.

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