In Scharen waren die Mitglieder des Vorarlberger Wirtschaftsbunds am Donnerstagabend nach Dornbirn geströmt. Der Grund: Altkanzler Wolfgang Schüssel hatte sein Kommen angekündigt, um über die anstehenden EU-Wahlen und wirtschaftliche Herausforderungen zu sprechen.
„Die sind alle seinetwegen da“, staunte einer der Besucher, ob der großen Zahl der Zuhörer. Und Schüssel enttäuschte nicht. Deutlich älter geworden und ohne Mascherl, dafür aber mit messerscharfem Verstand und feinsinnigen Humor ausgestattet, erzählte der 78-Jährige zunächst über seine Anfänge in der Politik. „Der Wirtschaftsbund war meine erste politische Heimat. Im vorigen Jahrhundert habe ich als junger Mitarbeiter im Parlamentsklub der ÖVP unter Stefan Koren (Finanzminister unter Kreisky, Anm.) angefangen. Da habe ich viel gelernt und wurde dann Generalsekretär des Österreichischen Wirtschaftsbundes.“
Den Wirtschaftsbund habe er immer als Think-Tank der ÖVP gesehen. „Eine Nach- und Vordenkgruppe, die die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Agenda sehr bereichert hat.“ So sei man beispielsweise nach England gefahren, um die Vor- und Nachteile der Privatisierung genauer anzuschauen.
Die heutige Zeit ist eine, die uns nachdenklich machen sollte. Wir haben geopolitische Spannungen mit einem Krieg mitten in Europa.
Altkanzler Wolfgang Schüssel
Die Zukunft vorausdenken
In Dornbirn trat Schüssel als Impulsgeber auf. Früher wie heute sei es notwendig, sich nicht nur mit der Tagespolitik zu beschäftigen, sondern die Zukunft vorauszudenken. „Die heutige Zeit ist eine, die uns nachdenklich machen sollte. Wir haben geopolitische Spannungen mit einem Krieg mitten in Europa. Die lang verdrängte Frage der Landesverteidigung ist wieder da.“ Die Bedrohungen seien nicht nur militärisch, es gebe Cyberattacken oder andere Versuche, einem Land wirtschaftlich zu schaden.
Auch der Aufstieg Chinas sorge für eine wirtschaftspolitische Challenge. „Da müssen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit steigern und dürfen nicht naiv sein.“ Denn auch die USA, ein Verbündeter in anderen Bereichen, sei im wirtschaftlichen Wettbewerb ein knallharter Konkurrent.
„Viele Fragen sind allein gar nicht lösbar“
Ein weiteres Feld, das aus Schüssels Sicht etwas Weitblick verlangt, ist jenes, das sich mit technologischen Fragen beschäftigt: Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Datenschutz oder Entwicklungen in der Medizin. Viele dieser Frage könne Österreich nicht allein beantworten. Deswegen sei auch die Europäische Union so wichtig.
„Wir sind vor knapp 30 Jahren beigetreten. Das war ein magisches Datum und in den 30 Jahren hat sich unsere Wirtschaftskraft fast verdreifacht. Die Exporte haben sich verfünffacht und die Auslandsinvestitionen nach Österreich verzehnfacht.“
„Schweizer Trittbrettfahrer können nicht mitreden“
Sicher seien Länder wie etwa die Schweiz voll in den europäischen Binnenmarkt integriert. „Sie profitieren als Trittbrettfahrer, können aber nicht mitreden, da sie nicht am Entscheidungstisch sitzen. Sie müssen umsetzen, was beschlossen wurde.“ Und was es heißt, nicht mehr dabei zu sein, würde man an Großbritannien und dem Brexit sehen, der die Briten Schätzungen zufolge rund 150 Milliarden Pfund gekostet habe.
Trotz aller Herausforderungen plädierte Schüssel dafür, positiv zu bleiben: „Es ist eine faszinierende Zeit. Man darf sich nicht fürchten und nicht von Untergangspropheten oder Apokalyptikern ins Bockshorn jagen lassen. Es gibt echte Probleme, aber trauen wir uns zu, diese zu lösen. Nichts ist perfekt – auch nicht die EU.“
Es ist eine faszinierende Zeit. Man darf sich nicht fürchten und nicht von Untergangspropheten oder Apokalyptikern ins Bockshorn jagen lassen. Es gibt echte Probleme, aber trauen wir uns zu, diese zu lösen.
Schüssel
Nahezu perfekt war der Abend – und dies Dank eines Gastes, der viel zu erzählen hatte. Unter anderen über eine Liftfahrt mit Wladimir Putin. Bei der Ski-WM 2001 in St. Anton, damals, als nicht nur die Uhren noch anders tickten.
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